«Was? Fasten und dazu noch wandern – bist du komplett verrückt geworden?!»

  05.04.2022 Saanenland

Vor Ostern ist Fasten ein historischer Brauch. Ob wir während 40 oder vier Tagen verzichten, ist eigentlich egal: Fasten ist immer ein mentaler Kraftakt. Weshalb sich der Verzicht lohnt, erzählen drei Leserinnen gleich selbst.

Für viele Menschen ist der (freiwillige) Verzicht auf feste Nahrung unvorstellbar. Im Rahmen der «Time Out»-Treffen habe ich mir überlegt, wie ich überhaupt zum Fasten kam. Angefangen hat das Ganze, als ich 25-jährig war. Ich wollte zu meinem «ersten Vierteljahrhundert» etwas Besonderes unternehmen und buchte eine Fasten-Wanderwoche in der Toskana. Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich da einliess, war aber sehr positiv überrascht. Zu meinem eigenen Erstaunen fühlte ich mich voller Energie und konnte die Erkundungstouren so richtig geniessen.

Zugegeben, es war eine Herausforderung, auf einer Piazza zu sitzen, ohne Gelati zu essen. Aber ich war stolz, dass ich dies geschafft hatte – und schliesslich konnte ich ja dann noch den ganzen Sommer Glace schlecken. Seither faste ich beinahe jedes Jahr; unterdessen meist daheim im Alltag mit einer Saftwoche. Für mich steht nicht der Verzicht im Vordergrund. Ich sehe eher die Vorteile: meinem Körper etwas Gutes tun, mehr Zeit für mich haben und danach die Fülle an Lebensmitteln wieder viel mehr wertschätzen und geniessen.

ANGELA AEGERTER, SAANEN, 52 JAHRE

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Vor ein paar Jahren besuchte ich Anfang Fastenzeit einen Gottesdienst in der Kirche Saanen bei Pfarrer Bruno Bader. Am Ende jenes Gottesdienstes wurde ich auf einen Flyer von «Time out» vom Blauen Kreuz aufmerksam. Mein Entschluss stand fest: Ich würde 40 Tage auf Schoggi verzichten!

Phu, das war hart! Überall wurde Schoggi angeboten: zum Kafi, auf der Bank, in der Migros gab es sogar eine ganze Tafel gratis, überall duftete es nach feinem Schoggikuchen, auf dem Cappuccino lag eine Schoggihaube, im Tiramisu … Überall gab es Schoggi! Aber ich habe es geschafft.

Am Ostersonntagmorgen um 6 Uhr stand der Frühgottesdienst mit anschliessendem Frühstück und Fastenbrechen auf dem Programm. Nie war ein Schoggiosterhase besser! Seither nehme ich jedes Jahr ein Time-out. Ich melde mich per Formular an und kreuze jeden Tag in meinem Fastenkalender ab. Einmal habe ich auf alles Süsse verzichtet, aber meine Laune…! «Karin, iss mal wieder Schoggi», war der Rat meines Mannes. Sorry, Familie.

Während des Lockdowns habe ich mich sogar an eine richtige Biotta-Saft-Woche gewagt. Das wurde mit einem guten Gefühl belohnt. Deshalb kann ich allen ein Time-out empfehlen und obendrauf bleibt viel Zeit für anderes als Essen, das ist schön. In einer Fastengruppe hat man zudem Gleichgesinnte und kann sich gegenseitig unterstützen. Übrigens hat der Verzicht viele Gesichter. Man kann beispielsweise das Handy, Süssgetränke, Töfflifahren, Alkohol oder Chips weglassen. Und egal auf was verzichtet wird, es sollte eine Herausforderung bleiben und ein wenig weh tun. Das Gefühl, es nach 40 Tagen geschafft zu haben, ist nämlich unbezahlbar.

KARIN NEFF, SAANEN, 42 JAHRE

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Verzicht
Ich verzichte seit ich neun Jahre alt bin jedes Jahr von Aschermittwoch bis Ostersonntag auf Schokolade, Süssigkeiten und Chips. Das sind insgesamt 40 Tage. Ich habe es bis jetzt immer erfolgreich geschafft. Ich habe damit angefangen, weil meine Mutter es auch machte und ich es auch mal ausprobieren wollte. Seitdem mache ich es. Manchmal ist es nicht ganz einfach, weil man den anderen zuschauen muss, wie sie diese Sachen essen. Auch wenn man etwas angeboten bekommt, das man zur Zeit nicht isst und dazu Nein sagen muss, ist das manchmal echt schwer, weil man es ja sonst essen würde. Aber da ich einen tollen Freundeskreis, eine tolle Familie und Verwandte habe, die mich unterstützen, fällt es mir eigentlich sehr leicht.

ALINA KOHLI, FEUTERSOEY, 12 JAHRE


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