Wegen versuchter Vergewaltigung: Taki Theodoracopoulos verurteilt
09.10.2023 GerichtLetzte Woche hatte sich der 87-jährige Panagiotis «Taki» Theodoracopoulos vor dem Strafrichter in Thun zu verantworten. Dem Beschuldigten wurde vorgeworfen, Anfang 2009 in seiner Residenz in Gstaad gegenüber einer damals 32-jährigen Journalistin einen ...
Letzte Woche hatte sich der 87-jährige Panagiotis «Taki» Theodoracopoulos vor dem Strafrichter in Thun zu verantworten. Dem Beschuldigten wurde vorgeworfen, Anfang 2009 in seiner Residenz in Gstaad gegenüber einer damals 32-jährigen Journalistin einen Vergewaltigungsversuch begangen zu haben. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Der Vollzug wurde aufgeschoben und eine Probezeit von zwei Jahren festgesetzt. Sein Anwalt legte Berufung ein.
HANSUELI GAMMETER
Der Beschuldigte, der sich vor dem Regionalgericht Oberland verantworten musste, ist Taki Theodoracopoulos. Er ist Grieche und wurde in eine reiche Reederdynastie hineingeboren. Er hält sich wechselweise in seinen Residenzen in Gstaad, London und New York auf. In seiner Jugend bewährte er sich in den griechischen Tennis- und Karate-Nationalmannschaften. Heute ist er als Journalist und Kolumnist tätig.
Was geschah 2009 nach Mitternacht in Gstaad?
Theodoracopoulos lud Ende Januar/ Anfang Februar 2009 einen befreundeten Redaktor, dessen Assistentin sowie zwei weitere junge Journalistinnen für ein Wochenende nach Gstaad ein. Sie genossen den ersten Abend bei einem Dinner auswärts und später zu Hause bei zahlreichen Drinks. Die drei Damen hatten sich zwei Schlafzimmer zu teilen. Die Klägerin teilte ihr Zimmer mit einer der anderen Damen, die am nächsten Tag abreiste. Den zweiten Tag verbrachte man beim Skifahren, die Klägerin begab sich auf einen Spaziergang. Am Abend war die Gesellschaft vom Gastgeber in das Restaurant eines Fünfsternehotels eingeladen. Auch an diesem Abend gab es noch mehrere Drinks, bevor man zu Bett ging. Diese Vorgänge wurden im grossen und ganzen von beiden Beteiligten bestätigt.
Gemäss der Anklageschrift erschien der Beschuldigte, nachdem sich die Klägerin zu Bett gelegt hatte, in ihrem Zimmer und setzte sich neben sie auf das Bett. Er versuchte, sie zu küssen – sie stiess ihn zurück. Er drückte sie mit aller Kraft an den Schultern aufs Bett und versuchte, sie zu vergewaltigen.
Was sagen die Parteien zu dieser Darstellung?
Der Beschuldigte erinnerte sich an den ersten Abend, weil er den Damen damals zum ersten Mal begegnete. Am zweiten, entscheidenden Abend sei man früh auswärts essen gegangen und anschliessend habe man sich zur Ruhe zurückgezogen. Was die Klägerin von sich gebe, sei eine «monströse Lüge», er habe diese Frau nie in ihrem Schlafzimmer aufgesucht, sagte er vor Gericht. Er denke, es handle sich um einen Komplott zwischen seinem Freund, dem erwähnten Redaktor, der ebenfalls eingeladen war, und der Klägerin. Er habe nachträglich vernehmen müssen, dass die beiden viel Nachteiliges über ihn verbreitet hätten, um ihm zu schaden.
Demgegenüber hatte die Klägerin die Vorgänge bereits bei der Polizei in London und bei der Staatsanwaltschaft – abgesehen von geringfügigen Abweichungen – geschildert, wie sie in der Anklageschrift wiedergegeben werden. Man habe nach der Heimkehr vom Fünfsternehotel getrunken und geflirtet, es sei ein anregender Abend gewesen. Ihre Freundin, der sie den Vorfall am Morgen geschildert habe, habe sie gefragt, ob sie keinen Brief erhalten habe. Es fanden sich tatsächlich drei Schriftstücke im Zimmer, die unter der Tür ins Zimmer geschoben worden waren. Es handelte sich um Schreiben des Beschuldigten, in denen neben Zitaten aus der klassischen Literatur stand, er sei traurig, dass sie ihn zurückgewiesen habe.
Weshalb hat sie die Anzeige so spät erhoben?
Sie habe damals gedacht, der Beschuldigte sei ein reicher, angesehener Mann. Man würde ihr nie Glauben schenken, wenn sie bei der Polizei aussagen sollte, sagte sie vor dem Regionalgericht. Ausserdem habe sie ihrem Vorgesetzten, mit dem sie nach Gstaad gekommen war, keine Schwierigkeiten bereiten wollen. Sie habe aber auch ihre Karriere als Autorin und Journalistin nicht gefährden wollen. Sie habe damals gerade ihr zweites Buch publiziert. Was sie schliesslich zur Anzeige veranlasst habe, sei eine Kolumne, die der Beschuldigte geschrieben habe. Er habe dort den Filmproduzenten Harvey Weinstein in Schutz genommen und sich mokiert über die vielen sogenannten «Opfer», die sich bloss als Aktivistinnen in Szene setzen wollten. Im übrigen habe ihr damaliger Freund – ein Professor, der heute Abgeordneter ist – sie erneut aufgefordert, die Sache zur Anzeige zu bringen. Er habe dies auch schon nach dem fraglichen Wochenende getan. Er habe auch ihre blauen Flecken fotografiert.
Was sagt der Richter?
Nachdem die Anwältin der Klägerin und der Anwalt des Beschuldigten ihre Anträge gestellt und begründet hatten, zog sich der Richter für zweieinhalb Stunden zurück, um sich ein abschliessendes Urteil zurechtzulegen. Es lohnt sich, seine Begründung hier etwas breiter darzustellen. Es handelt sich um ein Vier-Augen-Delikt, Aussage steht gegen Aussage, Zeugen gibt es nicht. Die in den 1960er- und 70er-Jahren entwickelte Aussagepsychologie gibt dem Richter einen Kriterienkatalog in die Hand, aufgrund dessen er konkrete Aussagen dahingehend einschätzen kann, ob die beschriebenen Ereignisse tatsächlich stattgefunden haben oder ob sie erfunden sind. Der Richter nahm sich die Aussagen der Beteiligten vor und prüfte sie auf ihre Glaubhaftigkeit.
Bei den Aussagen des Beschuldigten fiel ihm auf, dass er sich an den ersten Abend einigermassen erinnern konnte, über den zweiten Abend aber kaum mehr etwas sagen konnte. Bei der Staatsanwaltschaft sagte er auf Vorhalt, es könnte sein, dass man im Fünfsternehotel gewesen sei. Vor dem Richter war er sich auf einmal sicher, dass man früh in dieses Hotel gegangen und dann gleich zu Bett gegangen sei. Auf das Kerngeschehen angesprochen, blieb er bei seiner allgemeinen Bestreitung. Angesprochen auf die Schreiben im Zimmer der Klägerin, sagte er, dass er sich für unangemessene Witze entschuldigen wollte. Ein anlässlich der Hauptverhandlung eingereichter Kalender des damaligen Begleiters der Damen vermerkt, man sei um 20 Uhr ins Hotel gegangen. Der Richter stellte fest, man habe sich somit kaum früh ins Bett begeben.
Demgegenüber fanden sich in den Aussagen der Klägerin mehrere Realitätskriterien: Sie hatte die Vorgänge bei allen drei Einvernahmen – abgesehen von nicht wesentlichen Abweichungen – immer gleich dargestellt. Ihre Aussagen enthielten zahlreiche Einzelheiten, sie schilderte ihre Gefühle, sie sagte, weil sie sich einem starken Mann gegenüber gesehen habe, habe sie sich überlegt, das «Ganze einfach geschehen zu lassen». Sie erinnerte sich auch an eine kurze Unterhaltung während des ungebetenen Besuchs im Schlafzimmer. Sie beschrieb den Beschuldigten als anregenden, charmanten Gesprächspartner, mit dem sie, als die Gesellschaft im Wohnzimmer gewesen sei, auch geflirtet habe. Sie sagte also auch Dinge, die man gegen sie verwenden könnte. Der Richter fasste am Schluss zusammen: «Die Aussagen der Klägerin betreffend das Kerngeschehen waren lehrbuchmässig glaubhaft.» Er gab auch zu bedenken, die Frau hätte sich wohl kaum auf ein Verfahren in einem fremden Land eingelassen, sich unangenehmen Befragungen ausgesetzt und riskiert, am Schluss hohe Kosten tragen zu müssen, wenn nicht etwas Gravierendes vorgefallen wäre.
Er folgte deshalb den Anträgen der Staatsanwaltschaft: Der Beschuldigte wurde zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Der Vollzug wurde aufgeschoben und eine Probezeit von zwei Jahren festgesetzt. Ausserdem wurde er verurteilt, der Klägerin eine Genugtuung von 5000 Franken sowie die entstandenen Verteidigungs- und Verfahrenskosten zu bezahlen. Als das Verfahren um 18.15 Uhr geschlossen wurde, legte der Anwalt des Beschuldigten Berufung ein.