Handyverbot an Schulen
19.08.2025 SaanenlandIn der Schweiz gehen die Kantone unterschiedlich mit dem Handyverbot an Schulen um. Der Kanton Bern setzt auf Eigenverantwortung der Schulen. Im Saanenland zeigt sich: Fast überall gelten klare Einschränkungen – zwei Schulen gehen einen anderen ...
In der Schweiz gehen die Kantone unterschiedlich mit dem Handyverbot an Schulen um. Der Kanton Bern setzt auf Eigenverantwortung der Schulen. Im Saanenland zeigt sich: Fast überall gelten klare Einschränkungen – zwei Schulen gehen einen anderen Weg.
JONATHAN SCHOPFER
Welche Regeln gibt es in Schweizer Kantonen?
Die Haltung zur Handynutzung ist uneinheitlich. Der Kanton Waadt führte 2018 an ausgewählten Schulen ein Pilotprojekt zum Handyverbot durch. Auf dieser Basis gilt seit dem 1. August 2019 ein kantonsweites Verbot. Andere Kantone wie Aargau und Nidwalden haben ein kantonales Verbot ab 2025 eingeführt. Der Kanton Wallis wird nachziehen. Andere Kantone wie Solothurn, Luzern und Bern setzen auf individuelle Regelungen der Schulen.
Gibt es eine einheitliche Regelung im Kanton Bern?
Nein. Der Berner Regierungsrat sieht keinen Bedarf einer kantonalen Regelung der Handynutzung an Schulen. Er sieht die Verantwortung bei den Schulen selbst. Er erklärt, dass die bestehenden Bestimmungen im Volksschulgesetz (VSG), im Mittelschulgesetz (MiSG) sowie in der Verordnung über die Berufsbildung, die Weiterbildung und die Berufsberatung (BerV) ausreichen, um die Handynutzung einzuschränken.
Lehrpersonen seien bereits heute befugt, alle nötigen Massnahmen für einen geordneten Schulbetrieb zu ergreifen – dazu gehöre auch der vorübergehende Einzug von Smartphones.
Welche Argumente führen Befürworter eines Handyverbots an?
Die Beweggründe sind vielfältig. In der Politik hofft man, dass ein Verbot die Lehrpersonen entlastet. Ausserdem argumentieren Politiker:innen, dass sie mit einem Verbot die Kinder schützen wollen. Oft zitieren sie Forschende, welche auf die Gefahren der Handynutzung hinweisen. So wurde bei der Motion in Bern der Psychologe Jonathan Haidt und die Psychologin Jean Twenge aufgeführt, die darauf hinweisen, dass seit der Verbreitung von Smartphones die Zahl von Depressionen, Angstzuständen und Suizidgedanken bei Jugendlichen deutlich gestiegen ist.
Ihre Arbeiten legen nahe, dass Smartphones die psychische Gesundheit, die Konzentrations- und Lernfähigkeit beeinträchtigen und ein suchtähnliches Nutzungsverhalten fördern können.
In der Schweiz setzt sich die Neurowissenschaftlerin und Dozentin an der Universität Bern Barbara Studer prominent für einen bewussten Umgang mit digitalen Geräten ein. So befürwortete sie auf sozialen Kanälen ein Handyverbot bei Kindern an der Schule Köniz, da jugendliche Gehirne besonders empfindlich seien.
Kritik und Gegenstimmen
In einem Faktenblatt von 2024 lehnt der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) ein vollständiges Handyverbot an Schulen ab. Stattdessen fordert er stufengerechte Regelungen, die Lehrpersonen und Schulleitungen gemeinsam erarbeiten. Ziel sei es, den Schülerinnen und Schülern einen verantwortungsvollen, reflektierten Umgang mit dem Handy zu vermitteln – positive Nutzungsmöglichkeiten zu fördern und negative Auswirkungen mit gezielten Massnahmen einzudämmen.
Ausserdem sind sich Forschende uneinig, ob die Handynutzung tatsächlich die Ursache für eine höhere Depressionsrate ist.
Was dürfen Lehrpersonen?
Lehrpersonen und Schulleitungen dürfen Regeln für den Einsatz von Handys und anderen digitalen Geräten festlegen, wenn dies für den Unterricht oder einen geordneten Schulbetrieb nötig ist. Die Bestimmungen sollten im Schulhausreglement stehen und stufengerecht gemeinsam erarbeitet werden.
Bei Regelverstössen dürfen Geräte wie Handys, Smartwatches oder Tablets vorübergehend eingezogen werden – etwa bei unerlaubter Nutzung im Unterricht. Laut einem Artikel der Schulinfo Zug muss die Beschlagnahmung verhältnismässig sein und in der Regel noch am gleichen Tag enden. Eine längere Einbehaltung, etwa über mehrere Tage, gilt als unzulässig. Das Kantonsgericht Freiburg etwa erklärte 2024 eine Obergrenze von 14 Tagen als unverhältnismässig.
SCHULLEITER MARTIN STÄHLI IM INTERVIEW
«Die Veränderungen sind frappant»
Am Oberstufenzentrum (OSZ) Ebnit in Gstaad gilt seit einem Jahr ein Handyverbot. Schulleiter Martin Stähli erklärt im Interview, wie sich diese Regelung auf die Schulkultur ausgewirkt hat.
JONATHAN SCHOPFER
Martin Stähli, wie sieht das Handyreglement am OSZ Ebnit aktuell aus?
Seit einem Jahr geben die Schülerinnen und Schüler ihre Handys vor Unterrichtsbeginn ab. Die Geräte kommen in eine verschlossene Kiste. Am Mittag erhalten sie die Handys zurück, und am Nachmittag, vor Unterrichtsbeginn, geben sie die Handys erneut ab. Die Regel gilt für den ganzen Schultag – auch in den Pausen sind die Handys nicht verfügbar.
Wie kamen Sie zu diesem Beschluss?
Wir haben das Thema im Lehrerkollegium intensiv diskutiert und schliesslich im Plenum gemeinsam beschlossen. Natürlich gab es unterschiedliche Meinungen, gerade weil wir Lehrpersonen aus verschiedenen Generationen sind. Aber am Ende waren wir uns einig: Wir brauchen eine klare Lösung.
Gab es damals Widerstand gegen diese neue Regelung?
Kaum. Zwei, drei Schüler haben gefragt: «Muss das wirklich sein?» Aber nachdem wir ihnen erklärt haben, warum wir das eingeführt haben, war das Thema erledigt. Auf 160 Schüler waren das wirklich nur Einzelfälle.
Und von den Eltern?
Von der Elternseite kamen nach der Einführung ein paar positive Rückmeldungen, aber keine einzige negative.
Was hat sich seit der Einführung verändert?
Die Veränderungen sind frappant. Früher verbrachten viele Schülerinnen und Schüler die Pausen über ihre Handys gebeugt. Einzelne spielten vielleicht noch, aber auf dem Pausenplatz oder in den Schulgängen war es deutlich ruhiger. Das hat sich nun grundlegend geändert: In den grossen Pausen wird wieder gespielt, geredet und gemeinsam gelacht.
Wie gehen Sie mit Regelverstössen um?
Wenn jemand das Handy nicht abgibt oder es trotzdem benutzt und etwa eine Nachricht eintrifft, dann wird das Gerät eingezogen. Die Eltern müssen es persönlich abholen – das ist unsere klare Regel. Sie unterschreiben auch ein Formular, mit dem sie den Verstoss zur Kenntnis nehmen.
Gibt es Ausnahmen für den Unterricht?
Ja, das liegt im Ermessen der Lehrpersonen. Wenn eine Lehrperson das Handy im Unterricht einsetzen will, ist das erlaubt. Es kann zum Beispiel für Bild- , Ton- oder Textaufnahmen eingesetzt werden.
Sie haben das Aufkommen des Smartphones miterlebt, was hat sich ihrer Meinung nach verändert?
Ich glaube, dass man früher differenzierter geschrieben und kommuniziert hat. Heute wird vieles nur noch überflogen. Das spüren wir auch im Schulalltag: Texte werden gelesen, aber nicht verstanden. Auch die Ausdrucksweise hat gelitten und eine gewisse Verbindlichkeit. Wenn früher etwas abgemacht wurde, dann war man da. Heute wird schnell umdisponiert oder gar nicht erst klar abgemacht.
Was ist ihr Fazit für das Handyverbot?
Sehr gut. Wir haben keine grösseren Probleme mit der Umsetzung. Und das Wichtigste: Die Massnahme hat etwas Positives ausgelöst. Die Schule ist wieder mehr ein Ort des Miteinanders geworden – nicht nur ein Ort mit WLAN.
Andere Ansätze
An den meisten Schulen im Saanenland wird die Handynutzung eingeschränkt. Zwei Schulen gehen jedoch einen anderen Weg.
«Der Handygebrauch ist während des Unterrichts nur für schulische Zwecke erlaubt. Für die Proben geben die Schüler:innen ihr Handy vorgängig ab», heisst es seitens des Gymnasiums. Zudem gäbe es häufig Lehrpersonen-spezifische Zusatzregeln wie zum Beispiel, wenn ein Handy surrt oder klingelt, müsse ein Kuchen gebracht werden.
«Unser Credo ist es, den Handygebrauch nicht zu verbieten, sondern den sinnvollen Gebrauch, als auch Chancen, Gefahren, Grenzen und No-Gos, mit den Schüler:innen als Teil der heutigen Realität zu üben, zu diskutieren und zu erarbeiten.»
Weiter erklärt das Gymnasium, dass die Handys auch für IT-Anwendungen wie Zwei-Faktor-Authentifizierung oder Video-Projekte genutzt werden. Da viele Apps auch auf den schuleigenen Computern liefen, gelte für beide Geräte ähnliche Regeln.
Auch die Wirtschaftsschule Thun in Gstaad (WST) handhabt das Thema anders: «Grundsätzlich werden Handys im Unterricht nicht gebraucht.» Und weiter: «Jedoch gehören Notebooks heute zum Unterricht. Das gesamte Unterrichtsmaterial inklusive der Lernmedien ist heute digital aufbereitet. Das heisst, dass die Lernenden grundsätzlich immer online sind. In diesem Kontext ist es schwierig, eine Regelung bezüglich Handys einzuführen oder durchzusetzen, da die entsprechenden Apps ja alle auch auf den Notebooks installiert sind.»
In der WST wird aber das Thema besprochen: «Wir haben das Thema sowohl in der Schulleitung als auch mit unseren Lehrpersonen ausführlich diskutiert.» Ausserdem gäbe es Schulungen innerhalb des Lehrkörpers über die Medienkompetenz.