Liebe hat ihre Grenzen
04.12.2025 BildungDie sexuelle Gewalt ist ein immer wieder aufkommendes Thema. Sehr viele Menschen und auch Kinder haben bereits Erfahrungen damit gemacht. Auch das Saanenland bleibt nicht verschont. Um solche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden, wurde das Präventionsprojekt «Love Limits» ...
Die sexuelle Gewalt ist ein immer wieder aufkommendes Thema. Sehr viele Menschen und auch Kinder haben bereits Erfahrungen damit gemacht. Auch das Saanenland bleibt nicht verschont. Um solche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden, wurde das Präventionsprojekt «Love Limits» vom Kinderschutz Schweiz ins Leben gerufen.
PAULA H. MITTAG
Es ist ein kalter, aber dennoch sonniger Vormittag. Der Pumptrack in Saanen liegt unter einer dicken Schneeschicht, und die Juga (Kinder- und Jugendfachstelle Saanenland-Obersimmental) wirkt ruhig und unscheinbar. Man würde kaum vermuten, dass im Innern reges Treiben herrscht. An die 200 Jugendliche nehmen an dem Präventionsprogramm zum Thema Grenzen in Beziehungen teil. Drinnen ist es warm, und die erste Klasse sitzt bereits gemütlich auf den Sofas und hört den Moderator:innen aufmerksam zu, die in den Workshop einführen. In den nächsten zwei Stunden werden die Jugendlichen in diesem Gebäude verschiedene Aufgaben an sechs Stationen (siehe Kasten) lösen, Erfahrungen sammeln und diskutieren. Dies geschieht in Form von Tablet-Umfragen, Fallbeispielen mit Audiodateien und Rollenspielen, bei denen die Kinder versuchen, sich in die jeweils andere Person hineinzuversetzen. Am Ende des Durchgangs tauschen sich die Kinder angeregt aus und geben ein durchwegs positives Feedback zum Präventionsprojekt «Love Limits».
Wieso ist das Präventionsprojekt überhaupt nötig?
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Gefahr sexueller Gewalt bei Jugendlichen überwiegend von Gleichaltrigen ausgeht. In der Schweiz waren bereits 14 Prozent der Jugendlichen mindestens einmal von sexueller Gewalt betroffen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der zunehmende Einfluss und Konsum sozialer Medien, da sexualisierte Gewalt auch dort vorkommt (siehe www.kinderschutz.ch).Aufgrund dieses deutlichen Anstiegssexueller Gewalt und der immer bedeutender werdenden sozialen Medien wurde das Präventionsprojekt «Love Limits» ins Leben gerufen. Das Projekt findet alle drei Jahre statt. Auch in diesem Jahr wurden in den vergangenen zwei Wochen in den Räumen der Juga, Jugendliche der siebten bis neunten Klasse der
Gemeinden Saanen, Gsteig und Lauenen über Konsens in Beziehungen sowie über Gewaltprävention informiert und sensibilisiert. Konzipiert wurde der Parcours von der Fachstelle Kinderschutz Schweiz. Organisiert und durchgeführt wird er von der Kinderund Jugendfachstelle und der Schulsozialarbeit Saanen in enger Zusammenarbeit mit den Schulen im Saanenland.
Nachfolger des Präventionsprojekts «Mein Körper gehört mir»
«Mir ist es sehr wichtig, die Jugendlichen zu informieren und sie zu sensibilisieren, damit sie wahrnehmen, wo die ‹Limits› der Liebe liegen. In diesem Sinne hatten wir auch das Gefühl, dass dieses Projekt eine sinnvolle Ergänzung und passende Erweiterung zu unserem bereits bestehenden Projekt ‹Mein Körper gehört mir› ist», erklärte Evelyne Moser, Schulsozialarbeiterin und Moderatorin des Präventionsprojekts «Love Limits». Das Projekt «Mein Körper gehört mir» richtet sich an jüngere Kinder und beschäftigt sich mit sexualisierter Gewalt. Es ist für Kinder im Alter von vier bis sechs sowie sieben bis neun Jahren konzipiert und stärkt sie darin, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen, «Nein» zu sagen und Hilfe «Wir vermitteln den Jugendlichen, dass man fragen darf. Dass das Gegenüber die Möglichkeit haben muss, Nein zu sagen und dass dieses Nein auch akzeptiert wird. Wichtig ist, dass man sich überlegt: Wie fühlt sich die andere Person gerade?», sagt Stefanie Oehrli, Mitarbeiterin bei der Juga und Moderatorin des Präventionsprojekts «Love Limits». Die Akzeptanz einer Ablehnung sei hierbei zentral. Ebenso bedeutsam sei es, auf das eigene Bauchgefühl zu hören und klare Signale zu senden, die die eigene Haltung unmissverständlich ausdrücken.
Das wird den Jugendlichen vermittelt
«Das Thema Konsens zieht sich durch den gesamten Parcours. Es beginnt mit dem Einstiegsvideo, in dem den Jugendlichen in ihrer Sprache erklärt wird, was Konsens bedeutet. Das Einverständnis begleitet sie durch jede einzelne Station», erläutert Stefanie Oehrli gegenüber dieser Zeitung. «Wie bereits bei unserem anderen Projekt, ist das Einverständnis beider Seiten ganz wichtig. Dazu gehört, dass man zu seiner Meinung stehen und Nein sagen kann – aber auch, dass man die eigenen Grenzen erkennt», ergänzt Evelyne Moser. (Für das Programm siehe Kasten.) Es sei zentral, mit den Jugendlichen empathische Fähigkeiten zu üben: «Gerade Jugendliche sind oft stark mit sich selbst beschäftigt. Man muss mit ihnen trainieren, den Blick auf andere zu richten und sich nicht im eigenen Erleben zu verlieren», sagte Moser.
Vertrauter Rahmen, vertraute Kinder
Der vertraute Rahmen trägt dazu bei, dass sich die Jugendlichen wohl fühlen. Sie durchlaufen den Parcours klassenweise und kennen sich in der Regel untereinander. Ein wichtiger Faktor für das Wohlbefinden der Jugendlichen sind zudem die Moderator:innen und ihr Umgang mit der Situation. «Wir geben uns stets grosse Mühe, alle Jugendlichen einzubeziehen und möglichst gut auf spontane Ereignisse zu reagieren», erklärt Stefanie Oehrli. Zu Beginn werden die Jugendlichen über die Schweigepflicht der Moderator:innen bzw. Betreuer:innen informiert – ebenso über die Meldepflicht, die greift, sobald etwas Ernstes ans Licht kommt. «Wir bitten die Jugendlichen auch, Sorge füreinander zu tragen und vertrauliche Informationen nicht weiterzugeben. Zudem haben sie jederzeit die Möglichkeit, den Raum zu verlassen, wenn es ihnen zu viel wird.»
Weniger Medien, mehr Interaktion
«Wir haben die Stationen in diesem Jahr angepasst: Wir haben den Medieneinsatz reduziert (inhaltlich die Vorgaben beibehalten), denn wir möchten die Diskussionsfähigkeit der Jugendlichen stärken und soziale Interaktionen fördern, statt dass sie hinter dem Bildschirm sitzen. Der Anstieg an direktem Austausch hat sich bisher sehr bewährt», erklärt Evelyne Moser. Ein Beispiel für diese neue Herangehensweise im Präventionsprojekt sei das Rollenspiel. «Die Jugendlichen sind begeistert, und es kommt viel Bewegung in die Gruppe. Zack – und schon sind die rund 15 Minuten an der Station vorbei und auf gehts zur nächsten», so Moser.
DIE SECHS STATIONEN
Insgesamt sind es sechs Stationen. Es gibt insgesamt drei Gruppen von sechs bis acht Personen, die jeweils abwechselnd die verschiedenen Stationen besuchen.
1. Station: Schmetterlinge im Bauch: Wie fühlt sich Liebe und Verliebtsein an?
2. Station: Wenn Träume platzen:Was ist wenn, eine Liebesbeziehung nicht bestehen bleibt, wenn eine Beziehung auseinandergeht oder wie sie mit Liebeskummer umgehen können.
3. Station: Unter Freundinnen: Wieverhalte ich mich in einer Gruppe? Was passiert, wenn Gruppenzwang entsteht?
4. Station: Alles was recht ist:Rechtliche Aspekte: Bei Jugendlichen stösst dieses Thema auf grosses Interesse.
5. Station: Ich bin ich: Sie kennensich selbst am besten. Sie sind die Experten und sie können selbst Grenzen setzen.
6. Station: Hilfe holen: Wo und wiehole ich mir Hilfe? Welches sind die Anlaufstellen der Region?
PAM



