Lukas Winterbergers Piste ist die Bühne
18.04.2024 Serie
Das Saanenland war und ist geprägt von Zu- und Wegzügen. Die Leserinnen und Leser des «Anzeigers von Saanen» sind nicht nur im Saanenland zu finden, sondern in der Schweiz und im Ausland – ja, in der ganzen Welt. In diesem Porträt lernen wir Lukas ...
Das Saanenland war und ist geprägt von Zu- und Wegzügen. Die Leserinnen und Leser des «Anzeigers von Saanen» sind nicht nur im Saanenland zu finden, sondern in der Schweiz und im Ausland – ja, in der ganzen Welt. In diesem Porträt lernen wir Lukas Winterberger kennen. Der Schauspieler, der in Schönried aufgewachsen ist, steht zurzeit auf der Theaterbühne der deutschen Stadt Koblenz.
THOMAS RAAFLAUB
«Chunnsch am Abe uber d’Möser in, tuet sich ds Tal vor dinen Ougen uf...», singt Lukas Winterberger zu Beginn des Treffens. Da seine Mutter und seine Schwester berndeutsch und sein Vater haslideutsch sprechen, spricht er als «Schönrieder» kein reines Saanendeutsch, sondern eine Dialektmischung, und musste in Hofwil lernen, dass manchmal Milch «Miuch» heisst. Dort besuchte Lukas Winterberger ab 2009 als Vierzehnjähriger die Quarta des Gymnasiums. Die Gemeinde Saanen unterstützte ihn dabei. Die Wahl für diese Schule entstand an einem Dreigenerationentreffen, welches sein Vater für ihn und seine beiden Grossväter organisiert hatte.
«Wer sich nur selbst spielen kann, ist kein Schauspieler.» Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)
Lukas Winterberger wusste schon als Siebenjähriger, dass er Schauspieler werden wollte. Da traf es sich gut, dass dem Quartaner in Hofwil ein neues Programm in Zusammenarbeit mit der Schauspielschule Bern mit dem Ziel der Theaterförderung angeboten wurde, integriert im normalen Unterricht. In der Sekunda bestand er die Aufnahmeprüfung für diese Talentförderung, welche er bis Ende Prima erleben durfte. Zusammen mit fünf weiteren Hofwiler:innen entwickelte er unter der Leitung von zwei Professorinnen und einem Professor der HKB ein Stück, genoss Tanzund Sprechunterricht. Das selbst geschriebene Stück über die sieben Todsünden, in dem Lukas Winterberger die Eifersucht spielte, wurde in Hofwil und einen Tag nach der Maturitätsprüfung an einem Jugendfestival in München gespielt: «Das war eine sehr aufregende Zeit.»
«Eine angenehme Gestalt, eine wohlklingende Stimme, ein gefühlvolles Herz! Können Schauspieler besser ausgestattet sein?» Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)
Vreni Marti und Christina Caruso förderten den Theaterbegeisterten
Zurück zum Saanenland und zu den Erinnerungen: Lukas Winterbergers Freude am Schauspiel führt auf die Theatererfahrungen im Saanenland zurück. Er erinnert sich an seinen Auftritt als König im «Gestiefelten Kater» in der ersten Klasse. Durch Menschen wie Vreni Marti und Christina Caruso, die in Gstaad eine Sommerjugendtheaterwoche organisierten, sei er im Rüttischulhaus zum ersten Mal auf einer richtigen Bühne gestanden. Er denke auch gerne an Frau Frischknecht im Oberstufenzentrum zurück, welche viele Schultheaterprojekte ermöglichte. Wegen dieser guten Erfahrungen hält Lukas Winterberger ein Plädoyer für das Schultheater: «Die Bühne ist ein Ort, wo sich junge Menschen selbst finden und weiter entwickeln können, wo sie mit ausserschulischen Themen konfrontiert werden, wo sie in eine Rolle hineinschlüpfen können und sich ihrer eigenen Rolle in der Gesellschaft bewusst werden. Mit der Sprache können sie spielerisch umgehen, sich erleben und dabei einen eigenen, persönlichen Ausdruck finden.»
«Ein richtiger Schauspieler ist überall Schauspieler, sogar auf der Bühne.» Michail Genin (1927– 2003)
Der «Furtharige»
Das Verhältnis zum Saanenland ist für Lukas Winterberger aber auch ambivalent. Positiv sieht er das grosse kulturelle Angebot, wie z.B. das Jugendorchester des Menuhinfestivals, in welchem er mit seiner Geige mitspielte. Auch die landschaftliche Schönheit und die Natur schätzt er. Da seine Eltern im Saanenland zugezogen waren, wurde er manchmal als «Furthariger» bezeichnet und fühlte sich so in der eigenen Heimat fremd. Als Einziger seiner Klasse besuchte er in der Grundschule nicht die JO und nahm somit nicht am Slalomtraining am Mittwochnachmittag teil, sondern besuchte bei Paivi Worni einen Malkurs: «Ich eckte mit meiner Persönlichkeit an, da meine Interessen an der Musik und der Kultur wenig geteilt wurden, wie auch meine Ansichten und Meinungen. Ich hatte nicht nur einfache Zeiten in der Schule und der Umstand, kein Saanendeutsch zu sprechen, half auch nicht, die Situation zu verbessern. Der Umzug nach Hofwil bedeutete für mich eine enorme geistige Öffnung. Ich erfuhr dort, dass es mehr Menschen gab, die meine Interessen teilten. Dieser Schritt nach Bern prägt mich bis heute.»
«Schauspieler ist kein Beruf, sondern eine Diagnose.» Sprichwort aus Griechenland
Von der Schweiz in den Kosovo
Es ist Lukas Winterberger wichtig, nicht zu verallgemeinern, nicht zu pauschalisieren: «Viele Leute im Saanenland sind offen, liebevoll und tolerant. Das durfte ich bei meiner Arbeit in Hotels, im Schwimmbad Saanen, als Kellner, in der Küche in Lauenen beim Abwaschen erfahren. Dabei erlebte ich, dass Reichtum nicht automatisch zu Glück und Zufriedenheit führt.» Seine Einsätze als Zivildienstleistender im Zirkus Lollipop, in Rumänien und im Kosovo hätten ihm die Augen geöffnet für andere Wirklichkeiten als die schweizerische: «Ich erlebte, wie Menschen in sehr prekären Verhältnissen aufwachsen, wie sie mit wenig materiellen Gütern auskommen und in ihrem Leben immer wieder unter Gewalt leiden müssen. Die Freundlichkeit und Offenheit, die ich trotz den Umständen erfahren durfte, haben mich sehr berührt.»
In Hannover trifft Lukas Winterberger wieder auf eine Gstaaderin
Fern vom Saanenland arbeitete Lukas Winterberger weiter an seiner Schauspielkarriere, was alles andere als einfach war, denn an den staatlichen Schauspielschulen sprechen oft 800 bis 1000 Kandidatinnen und Kandidaten vor – aufgenommen werden zehn. Nach Bewerbungen in Berlin, Hamburg und München wurde er in Hannover an der Hochschule für Musik, Theater und Medien aufgenommen: «Ich hatte in Hannover ein Riesenglück, so wie ich in Hofwil riesiges Glück hatte. Dabei hatte ich keine Ahnung von Deutschland, traf aber in Hannover wieder auf Emilia Reichenbach aus dem Saanenland, die schon ein Jahr an der Hochschule hinter sich hatte. Emilia half mir sehr, in Deutschland anzukommen, dafür bin ich ihr dankbar. Zurzeit hat sie eine Festanstellung am Staatstheater Kassel.» Während des Studiums engagierte sich Lukas Winterberger als stellvertretender Student in einem europäischen Netzwerk für Schauspielschulen (EUTS:A). Dieses Amt brachte ihn nach Budapest, Glasgow, Paris und St. Petersburg. Nützlich waren ihm dabei auch seine Sprachen, die er beherrscht: den Dialekt, Bühnenhochdeutsch, Englisch, Italienisch und Französisch – Spanisch ist er am Lernen.
«Lasst uns die Schauspieler gut behandeln, denn sie sind der Spiegel und die abgekürzte Chronik des Zeitalters.» William Shakespeare (1564–1616)
Bühne, Film, Fernsehen oder Radio?
2019 bekommt er sein erstes Engagement im Theater von Koblenz, einer Stadt, die etwa so gross ist wie Bern und mit einem Spartentheater mit Ballett, Oper, Schau- und sogar Puppenspiel. Lukas Winterberger profitiert von den verschiedenen Möglichkeiten des Mehrspartenhauses. Neben unterschiedlichen Schauspielrollen tanzt er zum Beispiel in Musicals, hatte eine Sprechrolle in einer Operette und lernte, mit Klappmaulpuppen (Muppets) zu spielen. Koblenz liegt auch näher an der Heimat als Hannover. Nach fünf Jahren in Koblenz braucht er jetzt eine Veränderung: «Ich bin offen dafür, was die Zukunft bringen wird, da ich noch nicht weiss, wie es nach Koblenz weitergehen wird. Ich kann mir vorstellen, in Basel, Bern oder Zürich aufzutreten oder in Deutschland zu bleiben, nach Österreich zu ziehen oder sonst wo auf der Welt zu arbeiten. Man kann überall Bretter finden, die die Welt bedeuten. Eine Anstellung in einem Film, im Fernsehen oder beim Radio wären auch schöne nächste Schritte.» Wer Lukas Winterberger auf der Bühne in Koblenz sehen möchte, kann dies bis im Juli dieses Jahres noch tun. Die Deutsche Bahn fährt in weniger als sechs Stunden dorthin – regelmässig, aber oft verspätet.