Begeisternde Erzählerinnen am 3. Mösner-Stammtisch
03.02.2025 SaanenmöserRebecca Buchs-Wehren, Heidi von Siebenthal-Spozio und Elisabeth von Siebenthal-Wild liessen am Stammtisch im Maison Hornberg ihre neugierigen Gäste in ihre Geschichten eintauchen. Der rote Faden durch die Erzählungen folgte Familiengeschichten und beleuchtete Episoden rund um ...
Rebecca Buchs-Wehren, Heidi von Siebenthal-Spozio und Elisabeth von Siebenthal-Wild liessen am Stammtisch im Maison Hornberg ihre neugierigen Gäste in ihre Geschichten eintauchen. Der rote Faden durch die Erzählungen folgte Familiengeschichten und beleuchtete Episoden rund um die Entstehung der Hotels, die Überwindung von Krisen und den Zusammenhalt in der Mösner Bevölkerung.
EUGEN DORNBIERER-HAUSWIRTH
In früheren Jahren trafen sich am Stammtisch Bürger, die ein grosses Ansehen im Dorf genossen, wie zum Beispiel die Lehrer, der Pfarrer, der Richter, der Arzt, der Förster, der Tierarzt, der Postmeister, der grösste Bauer am Ort oder ein Fabrikbesitzer. Bei heutigen Stammtischen sind alle willkommen. Das war auch am letzten Freitag des Monats Januar 2025 der Fall, als sich gut 50 Einheimische und Gäste zum dritten Mösner-Stammtisch im Maison Hornberg einfanden.
Als Solveig Lanz, Präsidentin der Dorforganisation Saanenmöser, um 19 Uhr ihre Gäste begrüsste, traf sie nicht nur auf zahlreiche weise, erfahrene Häupter, sondern auch auf eine flotte Anzahl jüngerer Damen und Herren. Dieser Umstand, hier im Saal zwei Generationen begrüssen zu dürfen, erfreute die Präsidentin sichtbar. Jedenfalls hatte sie ein Lächeln im Gesicht, das sich ins Ambiente des Maison Hornberg hervorragend einfügte.
Berührendes Schicksal
Carl von Bonstetten schrieb gegen Ende des 18. Jahrhunderts im dritten Brief über ein Schweizer Hirtenland: «Es ist ein Wohlbehagen in diesem anmutigen Lande den Sommer zu leben. Abend und Morgen sind kühl, denn die Sonne geht spät auf und früh unter. Bei jedem Schritte quillt ein Brunn und rauscht ein klarer Bach im Dunkel der Tannen.»
Als ob Rebecca Buchs-Wehren die Worte Bonstettens in ihrem Herzen behütet hätte, eröffnete sie mit den Worten: «Ja, so muss es auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts hier in Saanenmöser, auf 1300 Metern über Meer, gewesen sein. Ein Paradies auf Erden. Trotz dieser Pracht hielten sich die Fremden hier nicht auf, denn es gab keine Pensionen. Vergleichbar mit einem Urknall kam dann alles plötzlich ‹gleitig›. Am 6. Juli 1905 wurde als letztes Teilstück der MOB die Strecke Gstaad–Zweisimmen in Betrieb genommen. Bereits im Jahr 1908 eröffnete mein Urgrossvater Rudolf Wehren, Sohn des Verlegers des ‹Anzeigers von Saanen›, das Hotel Bahnhof. Wenn der kein Pionier war!», betonte Rebecca Buchs-Wehren mit etwas zittriger Stimme – nicht etwa, weil sie Mühe mit dem Erzählen gehabt hätte, sondern aus tiefer Dankbarkeit gegenüber ihrem Urgrossvater, der die veränderte Situation erkannt hatte und heute mit Recht Pionier genannt werden darf. «Mit in jeder Beziehung bescheidenen Mitteln erschuf er sein Bahnhöfli, das sich im Verlaufe der Jahre zu einem veritablen Treffpunkt entwickelte. Obwohl der Erste Weltkrieg, 1914 bis 1918, den Tourismusstrom unterbrach, erloschen die Lichter im Bahnhöfli nicht. Die Gäste aus nah und fern, mitunter auch Adlige, mochten die heimelige, ‹urchige› Stimmung im schmucken Kleinode auf den Mösern.
Unverhofft und unbarmherzig schlug das Schicksal im trauten Kreis der Wehrens zu. Am 23. September 1923 verunglückte Ferdinand Wehren – der Bruder des Besitzers des Sporthotels, Rudolf Wehren – anlässlich eines Gordon-Bennet-Wettfliegens. Der Ballon ‹Genève›, mit dem er und sein Freund Christian von Grünigen am Wettfliegen teilnahmen, wurde von einem Blitz getroffen, verbrannte und stürzte in Beverlo (Provinz Limburg in Belgien) ab.» Diese traurige Geschichte liess die Stimme der Erzählerin hörbar stocken. In Demut vor dem Leben und der Lebensleistung ihres Urgrossvaters beendete sie ihre Erzählung.
In einem Essay schrieb Rebecca Buchs-Wehren: «Wir haben vergessen, dass wir nicht weniger und nicht mehr ein Teil unseres Lebensraumes sind, als ein Stein, ein Grashalm oder ein Wasserstoffatom.»
Obwohl die Gäste die Erzählung mit Applaus belohnten, war die Stimmung im Saal eher gedämpft. Wehrens Schicksal liess niemanden unberührt.
Bewegte Geschichte
Heidi von Siebenthal-Spozio gelang es, das Eis zu brechen. Mit ihrer Stimme, der Tonlage Sopran ähnelnd, führte sie stilsicher durch ihre Erfahrungen rund um die bewegte Geschichte der Entstehung der Hotellerie auf den Mösern. Und sie wusste viel, sehr viel zu erzählen. Gut und gerne hätte man ihr bis weit nach Mitternacht zugehört. Im Wissen darum, dass nach ihr noch ihre Schwägerin Lisbeth von Siebenthal-Wild erzählen würde, beschränkte sie sich auf einige Begebenheiten auf der Zeitschiene von 1905 bis 2021.
Bauherren wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts viele Steine in den Weg gelegt. Sie wären auch gute Hindernisläufer geworden. Im Jahr 1910 soll Rudolf Wehren dem Gemeinderat von Saanen ein neues Gesuch für ein Hotelpatent für das Sport-Hotel und Kurhaus Saanenmöser gestellt haben. Dieses wurde vom Regierungsstatthalteramt abgewiesen. Begründung: «Da Wehren bereits Inhaber eines Jahreswirtschaftspatents ist, so kann dem vorliegenden Gesuch nicht entsprochen werden, weil gemäss einem Gesetz aus dem Jahr 1894, der nämlichen Person nicht für mehrere Wirtschaften, welche das ganze Jahr betrieben werden, Patente erteilt werden dürfen.»
Eine besonders amüsante Geschichte ist jene der Skilehrerin Bethli von Siebenthal: 1953 gab es in der Skischule Saanenmöser jeweils am Freitag das Skirennen mit Preisverteilung im Saal des Sporthotels mit Tanz zu Livemusik. Auch nach dem Skifahren traf man sich oft im «Bärengraben» zu einem Glühwein, wo man auch in Skischuhen tanzen durfte. Junge Skischüler vom Sporthotel sollen Heidi von Siebenthal-Spozio erzählt haben, dass sie nicht genug geschlafen hätten, weil sie durch ein Astloch in der Holzwand die Nachbarn im Nebenzimmer beobachten mussten…
Ein gern gesehener Gast war Feldmarschall Montgomery. Im Dezember des Jahres 1936 weilte er zum letzten Mal in Saanenmöser. Neun Jahre später verbrachte er wiederum Winterferien im Paradies des Saanenlandes, in Saanenmöser. Welche Gedanken mögen den hohen Gast auf dem Hotelbalkon in Saanenmöser, angesichts der Schweizer Berge und der friedlichen Winterlandschaft, bewegt haben?
Heidi von Siebenthal-Spozio schloss ihre, mit grosser Begeisterung vorgetragene Erzählung mit dem Hinweis auf die Panoramawandbilder im Restaurant Bärengraben im Golfhotel Les Hauts de Gstaad & Spa. Der Berner Kunstgewerbelehrer Paul Wyss hatte diese im Jahr 1922 gemalt. Der vielseitige Künstler zeichnete humorvolle Bärenkarikaturen mit menschlichen Zügen. Zu erkennen sind zum Beispiel der damalige Besitzer Rudolf Wehren, der Fotograf Nägeli, der Bergführer Romang und Grossrat Reichenbach.
Das Klatschen der Gäste dauerte länger als die für den Vortrag aufgewendete Zeit.
Ein Blick in die Vergangenheit
Elisabeth von Siebenthal-Wild war die Dritte des Trios. Die Letzte der Vortragenden zu sein, irritierte Elisabeth keineswegs, erinnerte sie sich doch an die Redewendung: «Die Letzten werden die Ersten sein.»
Obwohl sie auf ein enorm reiches Leben zurückblicken darf, wirkte sie demütig – im Sinne, sich nicht so wichtig zu nehmen. Voller Dankbarkeit erwähnte sie ihre Schwiegereltern, Werner und Helene von Siebenthal, die aus bescheidenen Verhältnissen, aus geringen Chancen Gold machten. Aus dieser Erfahrung schöpft Elisabeth von Siebenthal-Wild die Lebensfreude, die sich nachhaltig auf die Anwesenden übertrug.
Im Jahr 1936 eröffnete die Pension Hornberg. Die ersten Gäste glaubten bei der Anreise, auf einer Baustelle gelandet zu sein. Fliessendes Wasser zu haben, war für die Söhne Peter und Werner etwas sehr Seltsames, jedenfalls rannten sie schreiend davon, weil sie keine Ahnung hatten, was da gerade passierte.
Der Zweite Weltkrieg (1939–1945) blieb für die erwachende Hotellerie im Saanenland nicht ohne Folgen. In der Pension von Helene und Werner von Siebenthal erlosch die Ferienstimmung.
Bethli und Chrigel von Siebenthal waren für den Hornberg wichtige Personen. Sie brachten vielen Gästen das Skifahren bei. Bethli von Siebenthal, die im Jahr 1952 in Adelboden das Skilehrerinnenpatent erwarb, war die erste Skilehrerin im Berner Oberland.
«Die Erfindung des Funischlittens löste für einige Zeit eine kleine Revolution in der Wintertourismusnation Schweiz aus. Auch in Saanenmöser profitierten in den Jahren von 1938 bis 1986 weiss ich wie viele Hundert Skifahrende vom Pioniergeist des bescheidenen Laueners Arnold Annen», erzählte Elisabeth von Siebenthal-Wild. Aber auch Curlingturniere, auch zwischen Gästen und Einheimischen, sowie Eislaufen beherrschten die Wintersportszene.
«Obwohl es noch sehr viel mehr zu erzählen gäbe, möchte ich euch, liebe Gäste, die folgende Begebenheit nicht vorenthalten: Im Jahr 1952 war Helene im Spital. Werner soll bei Reservationsanfragen einfach gesagt haben: ‹Chömet nume, es geit de scho.› Das war zwar gut gemeint, doch fehlten auf einmal Zimmer und Betten.»
Elisabeth von Siebenthal-Wild dankte für das Zuhören und wünschte spannende Gespräche beim Apéro. Und ganz Seniorchefin fügte sie an: «Denkt daran, wenn die Glocke läutet, ist es Zeit für das Abendessen.» Der Beifall stürmte bis hinunter zur Hotelbar und motivierte die fröhlichen Feriengäste, noch eine Runde zu bestellen.