Quereinsteigende: Erfahrungen im Klassenzimmer
11.03.2024 BildungDas zweite Schulhalbjahr hat schon vor einer Weile begonnen. Die Schülerinnen und Schüler hatten demnach ein ganzes Semester Zeit, um sich mit neuen Lehrpersonen zu arrangieren. Noch nie waren in der Schweiz so viele Quereinsteiger im Schuldienst angestellt, wie es im Moment der ...
Das zweite Schulhalbjahr hat schon vor einer Weile begonnen. Die Schülerinnen und Schüler hatten demnach ein ganzes Semester Zeit, um sich mit neuen Lehrpersonen zu arrangieren. Noch nie waren in der Schweiz so viele Quereinsteiger im Schuldienst angestellt, wie es im Moment der Fall ist. Wir haben zwei Lehrpersonen getroffen, die für uns ihre persönliche Bilanz ziehen und ihre Pläne für die Zukunft verraten.
«Ich wollte ursprünglich Lehrerin werden»
Timna Schild ist in Gsteig aufgewachsen und gibt augenblicklich an der Volksschule Zweisimmen Unterricht. Für ihre Ausbildung hatte sie vor einigen Jahren das Saanenland verlassen. Der akute Lehrermangel und ihr ursprünglicher Berufswunsch liessen sie im letzten Sommer zum Entschluss kommen, als Klassenlehrerin und Fachlehrerin einzusteigen.
JENNY STERCHI
Timna Schild. (Fotos: Jenny Sterchi)
Welchen Beruf haben Sie ursprünglich erlernt?
Ich habe berufsbegleitend Sozialpädagogin an der BFF Bern studiert. Die ARWO Frutigland hat mir diese Möglichkeit geboten, dort Menschen mit kognitiven, körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen zu betreuen.
Seit wann sind Sie als Lehrperson im Einsatz?
Seit dem Sommer 2023. Es ist das erste Schuljahr, in dem ich als Lehrperson unterwegs bin.
Wie viele Lektionen geben Sie derzeit?
Ich unterrichte 27 Lektionen, bin Klassenlehrperson und habe so fast eine 100-Prozent-Anstellung.
In welcher Stufe unterrichten Sie?
Ich bin auf der Real- und Sekundarstufe 1 tätig.
Woher nehmen Sie die didaktischen Ideen?
Ich bin in der glücklichen Lage, dass mein Vater im Schuldienst tätig ist und über viel Erfahrungen verfügt. Das ist meine wichtigste Quelle. Hinzu kommen wertvolle Anregungen aus dem Kollegium in Zweisimmen und nicht zuletzt auch Vorschläge aus Büchern und Lehrmaterialien.
Werden Sie die Ausbildung zur Lehrperson noch in Angriff nehmen?
Ja, ich habe es vor. Mein ursprünglicher Berufswunsch war eigentlich Lehrerin. Ich hatte nach der der FMS in Thun sogar schon einen Studienplatz an der PH Bern. Aber irgendwie wollte ich zuerst noch etwas anderes machen, etwas mit mehr Praxis und Menschen, nicht wieder nur in der Schule sitzen. Ich weiss noch nicht genau, wann ich die Ausbildung starte. Jetzt, wo ich Berufserfahrung im Schuldienst und Lehrerberuf sammeln durfte, ist es für mich aber klar, dass ich bei dieser Tätigkeit bleiben möchte. Im Moment beansprucht mich das Unterrichten aber noch sehr stark und deshalb ist eine solche Doppelbelastung im ersten Jahr noch keine Option. Die entsprechenden noch nötigen Ausbildungen werde ich aber auf jeden Fall noch nachholen.
Was fasziniert Sie an diesem Beruf?
Die Arbeit mit den Kindern. Das Beobachten und Begleiten ihrer Entwicklung, die sehr vielfältig und unterschiedlich verläuft. Die Fortschritte, die jedes Kind macht, jedes in seinem Tempo. Das ist sehr spannend. Wenn ich ihnen dabei helfen kann, dann ist das sehr schön.
Wie würden Sie sich als Lehrerin beschreiben?
Ich bin zum einen sehr wohlwollend, habe den unerschütterlichen Glauben daran, dass jedes Kind etwas erreichen kann. Ich kann aber sicher auch streng und fordernd sein, denn ich erwarte eine gewisse Disziplin und Arbeitseinstellung von Seiten der Schülerinnen und Schüler.
Gibt es Situationen, die Sie herausfordern?
Ja, natürlich. Allem voran mein Unterricht. Ich hinterfrage meine Arbeit immer wieder. Welche Unterrichtsinhalte sind relevant, sind meine Hilfestellungen hilfreich, stelle ich zu hohe Ansprüche, warum sehen die Resultate so aus? Gerade als «Frischling» stelle ich mir diese Fragen ständig.
Wo liegen Ihrer Ansicht nach mögliche Schwachstellen im derzeitigen Schulsystem und Lehrplan?
Diese Frage kann ich noch nicht beantworten, da ich erst seit Kurzem im Lehrerberuf tätig bin und ich mich zuerst noch richtig einleben und hineinfinden muss. Im Moment habe ich noch andere Fragen und Herausforderungen, welche mich beschäftigen.
Einzig vielleicht: Der Lehrplan 21 scheint mir sehr vielfältig zu sein und er hat meiner Ansicht nach interessante und spannende Ansätze.
«Die Ehrlichkeit und Begeisterungsfähigkeit der Kinder faszinieren mich»
Beat Marmet hat sich für den Quereinstieg in den Lehrerberuf entschieden. Und er geht aufs Ganze. Denn letzten Herbst hat er das Studium an der Pädagogischen Hochschule Bern (PH) aufgenommen. Parallel dazu gibt er in der Schule Gsteig-Feutersoey Unterricht.
JENNY STERCHI
Beat Marmet.
Welchen Beruf haben Sie ursprünglich erlernt?
Als erstes habe ich die Lehre als Zimmermann bei Benz Hauswirth GmbH absolviert, anschliessend die Ausbildung zum Skilehrer in der Skischule Gstaad.
Seit wann sind Sie als Lehrperson im Einsatz?
Seit Anfang April 2022.
Wie viele Lektionen geben Sie derzeit?
Momentan sind es 13 Lektionen. Viel mehr liegt nicht drin. Da ich seit dem Herbst 2023 an der PHBern selbst in die Schule gehe.
In welcher Stufe unterrichten Sie?
In der Primarstufe, hauptsächlich im Zyklus 2. Dies sind die vierte und fünfte Klasse.
Woher nehmen Sie die didaktischen Ideen?
Ich bekomme viele Ideen und Unterstützung vom gesamten Kollegium. Seit ich das Studium angefangen habe, nehme ich viel Gelerntes direkt mit und versuche dies, so gut es geht, umzusetzen.
Sie haben die Ausbildung zur Lehrperson begonnen und geben daneben Schule. Wie meistern Sie die Doppelbelastung?
Ich sehe es eher als Herausforderung denn Belastung.
Das von Ihnen gewählte Modell bietet die Nähe zwischen Theorie und Praxis. Empfinden Sie das als hilfreich?
Auf jeden Fall. Die Theorie hilft mir in der Praxis wie auch die Praxis in der Theorie.
Müssen Sie das gesamte Studium in Originallänge absolvieren, oder können Sie dank Berufsund Lebenserfahrung irgendwo abkürzen?
Leider werden einem weder Lebensnoch Berufserfahrung im Lehrberuf angerechnet. Demnach muss ich das Studium in voller Länge absolvieren. Jedoch durfte ich ohne Berufsmaturität den Vorbereitungskurs besuchen, welcher einen auf die Aufnahmeprüfung vorbereitet. Dies war möglich, da ich über 30 Jahre alt bin und in einem anderen Beruf eine gewisse Anzahl Jahre Berufserfahrung vorweisen konnte.
Sie nehmen diesen Aufwand dennoch auf sich. Heisst das, der Lehrerberuf hat Sie so richtig gepackt?
Definitiv Ja. Das Arbeiten mit Kindern und auch Erwachsenen ist für mich etwas vom schönsten und hat mich schon immer interessiert. Das Unterrichten und Vermitteln von Wissen an Kinder macht mir grossen Spass und es ist mir ein Anliegen, sie nach bestem Wissen und Gewissen auf das Erwachsenenleben vorzubereiten.
Wie funktioniert das Zusammenspiel mit den erfahrenen Lehrpersonen?
In meiner jetzigen Anstellung in der Schule Gsteig-Feutersoey sehr gut. Ich erhalte viel Unterstützung und es wird mir enorm viel Vertrauen und Freiheit geschenkt. Bei Fragen und Unsicherheiten zur Unterrichtsgestaltung und Didaktik darf ich jederzeit im Kollegium um Rat fragen.
Was fasziniert Sie an diesem Beruf?
Die Ehrlichkeit und Begeisterungsfähigkeit der Kinder, sowie die Zusammenarbeit mit den Eltern, dem Kollegium und den Heilpädagoginnen und Heilpädagogen. Man spürt, dass alle nur das Beste für die Schüler:innen wollen. Die grossen und vielfältigen Umsetzungsmöglichkeiten im Unterricht sind einerseits eine grosse Herausforderung, machen diesen Beruf aber auch sehr spannend. Langweilig wird es einem sicher nicht.
Was fordert Sie dabei heraus?
Jedes Kind ist anders und lernt auf eine andere Art und Weise. Genau dies macht diesen Beruf herausfordernd aber gleichzeitig auch spannend. Eine grosse Herausforderung ist zudem, jedem Kind gerecht zu werden und ihm genügend Zeit zu widmen. Manchmal gelingt dies sehr gut und manchmal reicht die Zeit nicht so aus, wie ich es mir wünschen würde. Heilpädagog:innen und andere Speziallehrkräfte sind hierbei sowohl für mich wie auch für die Schülerinnen und Schüler eine grosse Hilfe. Speziallehrkräfte sind für Kinder mit besonderen Bedürfnissen eine grosse Bereicherung. Es ist enorm schön zu sehen, dass die Speziallehrkräfte heute vermehrt als Chance für die Kinder angesehen werden und somit einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Schüler:innen haben. Zu meiner Schulzeit hat es dies noch nicht in diesem Ausmass gegeben und hatte dabei bei Eltern und Kindern oft für Verunsicherung gesorgt. Heute gehört der Spezialunterricht zum Schulalltag wie die grosse Pause.
Wo liegen Ihrer Ansicht nach mögliche Schwachstellen im derzeitigen Schulsystem und Lehrplan?
Für eine umfassende Antwort fehlt mir hier noch die Erfahrung. Den Lehrplan 21, welcher auf dem Erwerb von Kompetenzen beruht, finde ich spannend und zeitgemäss. Er ist sehr umfangreich und ich bin nach wie vor in der Erwerbsund Kennenlernphase.
Vervollständigen Sie bitte den Satz nach Ihren Vorstellungen: Die Schule der Zukunft …
…stelle ich mir so vor, dass sie «läbt und fägt». Mir gefällt der Leitsatz: «Stell dir vor, morgen ist Schule, und alle gehen gerne hin!», mit dem die PH NMS Bern für das Studium wirbt. Dieser liegt schon sehr nahe am Motto der Schule Gsteig-Feutersoey: «Bi üns läbts.» Ich wünsche mir, dass dies immer für alle Beteiligten das Ziel sein soll. Dazu fällt mir ein prägendes Erlebnis ein. Ein Schüler beantragte einen Halbtag, um mit den Eltern einen Skitag zu erleben. Am besagten Tag stand er zu meiner Überraschung im Schulzimmer an seinem Pult. Er hatte sich an diesem Morgen für die Schule entschieden.