20 Jahre New Year Music Festival: Wo Nähe zum Prinzip wird
12.12.2025 KulturEin Fest, gewoben aus Licht, Liebe und Zeit: Seit zwei Jahrzehnten macht Prinzessin Caroline Murat den Jahreswechsel zu einem Ereignis voller Musik und Anmut. Von der Kirche in Lauenen bis hin zu kleinen, persönlichen Salons in Gstaad hat sich das Neujahrs-Musikfestival in aller ...
Ein Fest, gewoben aus Licht, Liebe und Zeit: Seit zwei Jahrzehnten macht Prinzessin Caroline Murat den Jahreswechsel zu einem Ereignis voller Musik und Anmut. Von der Kirche in Lauenen bis hin zu kleinen, persönlichen Salons in Gstaad hat sich das Neujahrs-Musikfestival in aller Stille und Schönheit zu einem poetischen Wintertreffen der Schweiz entwickelt. Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums blickt Caroline Murat auf eine Reise zurück, die von der Liebe zur Musik, der Jugend und dem Tal, das ihre Muse wurde, geleitet wurde.
Wenn das Gstaad New Year Music Festival (GNYMF) in diesem Winter sein 20-jähriges Bestehen feiert, sieht seine Gründerin und künstlerische Leiterin, die Pianistin Caroline Murat, diesen Meilenstein wie einen persönlichen Übergangsritus. «Mit zwanzig hat man das Gefühl, dass die Jugendphase vorbei ist, dass man zu etwas geworden ist», sagt sie. «Für das Festival ist es dasselbe. Zwanzig Jahre zu erreichen ist ein Vertrauensbeweis: Die Künstler vertrauen uns, die Mäzene vertrauen uns, und das Publikum glaubt an das, was wir tun.»
Ein Festival, das auf Erfindungsreichtum beruht
Die Anfangsjahre des Festivals waren von Knappheit und Kreativität geprägt. «Wir haben mit sehr kleinen Budgets gearbeitet», erinnert sich Murat. «Aber wenn man wenig hat, muss man erfinderisch sein.»
Eine ihrer schönsten Erinnerungen stammt aus der Kirche von Rougemont: ein ganz besonderer «Boléro» von Ravel, interpretiert mit 24 Kastagnetten, zwei Klavieren und einem Solotänzer. «Das war aussergewöhnlich», sagt sie, und ein Beweis dafür, dass Innovation gerade dann gedeihen kann, wenn die Mittel bescheiden sind.
Heute sieht die Situation ganz anders aus. «Jetzt fragen die grössten Stars an, ob sie hier auftreten können», sagt sie. «Wir sind das einzige Festival in der Schweiz, das sich mehr als zwei Wochen lang ausschliesslich dem Gesang widmet.»
Ein Meilensteinjahr: von Bartoli bis Domingo
Das Programm zum 20-Jahr-Jubiläum vereint Oper, Jazz, Broadway und Chormusik auf eine Art und Weise, die Murats eigene, breit gefächerte musikalische Identität widerspiegelt.
Das Konzert, das ihr in diesem Jahr am meisten am Herzen liegt, ist eine Hommage an Plácido Domingo. «Seine Musikalität, seine Grosszügigkeit, seine Technik, was er der Musik gegeben hat, ist immens. Es hat mir das Herz gebrochen, dass er nicht mehr in den Opernhäusern auftritt. Mit 85 Jahren singt er immer noch wunderbar. Jeder Musiker muss anerkennen, was er geleistet hat.
Ein weiterer Ankerpunkt der Saison ist Cecilia Bartoli, die mit «Les Musiciens du Prince» auftritt – eine symbolische Geste, erklärt Murat, die das Festival mit seinem langjährigen Schirmherrn, Fürst Albert II. von Monaco, verbindet, der im selben Jahr den Thron bestieg, in dem sie das Festival gründete.
Und der Jazz bildet nun ein eigenes Kapitel im Programm: vom Ragtime mit dem New Yorker Pianisten Aaron Diehl über Filmmusik mit Joachim Horsley bis hin zu Musicals mit der Stimme von Golda Schultz. «Für mich ist gute Musik gute Musik», sagt Murat. «Jazz sollte zu jedem Klassikfestival dazugehören.»
Förderung der nächsten Generation
Eine der Konstanten des GNYMF ist Murats Gespür für Talente, die an der Schwelle zum internationalen Durchbruch stehen, etwas, das sie in den Jahren, in denen sie am Aufbau der Verbier Festival Academy beteiligt war, verfeinert hat.
Der aufstrebende Star dieser Saison ist der spanische Tenor Xavier Anduaga, den sie schon engagiert hatte, lange bevor die Kritiker in New York ihn als «den grössten Tenor der Gegenwart» bezeichneten.
Ein weiteres wichtiges Debüt gibt die dramatische Sopranistin Anastasia Bartoli, die ihre Karriere als Hard-Rock-Sängerin begann und nun in Rossini triumphiert. Ihr Auftritt ist besonders symbolträchtig: Murat wählte eine junge Künstlerin, keinen Ersatzstar, um für Nadine Sierra einzuspringen, die derzeit eine Pause für ihre Stimme einlegt. «Alle sind glücklich», sagt sie. «Und einer jungen Künstlerin eine Chance zu geben, das ist das Ethos des Festivals.»
Die Macht der kleinen Räume
Das vielleicht markanteste Merkmal des GNYMF ist sein Beharren auf Intimität. Grosse Stars treten nicht in Zelten oder grossen Sälen auf, sondern in kleinen Alpenkirchen.
Für die Musiker kann das eine Offenbarung sein. Murat erzählt, wie ein berühmter Tenor während einer Probe im winzigen Rougemont in Panik geriet: «Aber es ist so klein!», sagte er, nur um ihr hinterher zu sagen, dass es «das grösste Geschenk» war, sein Publikum zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt wiederzusehen.
Roberto Alagna sang einmal in Saanen 45 Minuten lang Zugaben, weil er einfach nicht wollte, dass das Konzert zu Ende geht. «Diese Momente rechtfertigen den ganzen Aufwand», sagt Murat. «Die Künstler wissen, dass ich das aus Liebe zur Musik mache. Es geht nicht um finanzielle Interessen.»
Für Ersthörer empfiehlt sie das Konzert von Golda Schultz am 8. Januar, «weil es die perfekte Brücke zwischen Klassik und Jazz, Gershwin, Broadway, amerikanischen Liedern und nur ein oder zwei Arien aus dem grossen Repertoire ist».
Wenn ein Festival sich nach aussen wendet
Die Offenheit des Festivals zeigt sich in den drei Gratiskonzerten (Rougemont am 1. Januar und Château-d’Oex und Saanen am 10. Januar mit der Pianistin Elizabeth Sombart, die die berühmten Mozart-Konzerte 21 und 23 spielt) und dem kostenlosen Eintritt für unter 25-Jährige. «Wir wollen ein neues Publikum aufbauen», sagt Murat. «In New York ist die Oper voll von jungen Leuten. Ich hoffe, dass wir hier dasselbe erleben werden.»
Ein besonders bedeutsames Projekt ist ihr Versuch, die Musik direkt in die örtlichen Altersheime zu bringen, worüber sie mit sichtbarem Engagement spricht: «Ältere Menschen werden zu oft so behandelt, als hätten sie keinen Verstand und keine Würde. Musik kann Menschen mit Alzheimer, mit Parkinson und mit Einsamkeit helfen. Letztes Jahr haben wir sie umsonst eingeladen, aber dieses Jahr gehen wir zu ihnen.»
Die Organisation dieser Konzerte war herausfordernd: Zugesagte Finanzmittel wurden gestrichen, ein Koordinator verliess das Projekt und die Kosten blieben ungedeckt. «Es ist ein wunderbares Projekt», sagt sie. «Aber ohne Hilfe können wir es nicht durchführen.»
Ein grosses Festival ohne offizielles Büro
Eines der grössten Rätsel des GNYMF ist, wie es überhaupt weiterbestehen kann. Es gibt kein Büro, keine festen Mitarbeiter, keinen institutionellen Sponsor – nur Murat, ihren Esstisch zu Hause, das Kommunikationsteam und drei Techniker, die jedes Jahr am 26. Dezember anreisen.
«Ich bereite alles selbst vor - Reisen, Hotels, Gebühren, Budgets usw. Die letzten zwei Monate schlafe ich kaum noch», lacht sie. «Mit einem Büro wäre es einfacher. Aber ich ziehe fantastische Konzerte den Bürokosten vor.»
Da Gesang zu den kostspieligsten Programmpunkten im klassischen Bereich zählt, ist jeder Mäzen wichtig. Und Murat spricht offen über die wirtschaftlichen Aspekte: «Ohne den ‹Club des Amis› könnten wir das Festival vergessen. Schon 300 Franken von einem Freund helfen enorm.»
Ihre Philosophie ist geprägt von einer langen Karriere in der Musik und von der Enttäuschung darüber, wie das Geld in der Kunst oft zirkuliert. «Bei Wohltätigkeitsveranstaltungen zahlen die Spender zu oft für das Abendessen, nicht für die Sache. Hier fliesst das Geld direkt in die Musik. Auch Musiker müssen von etwas leben.»
Ein persönlicher Bogen – von Verbier nach Lauenen
Murat spricht mit tiefer Zuneigung von ihrem künstlerischen Mentor Martin Engström, dem Gründer des Verbier Festivals, der sie dazu drängte, ihr eigenes Festival zu gründen. «Ohne ihn wäre ich nie auf diese Idee gekommen. Verbier hat mir den Weg gezeigt.»
Aber es ist Lauenen, das ihr die Klarheit gibt, es zu leiten. «Jedes Mal, wenn ich ankomme und die Berge sehe, beruhigt sich etwas in mir. Es ist mein Paradies», sagt sie. Sie und ihr Mann haben ihr Haus vor zehn Jahren gekauft, nachdem sie jahrzehntelang in das Tal zurückgekehrt waren. «Wenn ich aus New York komme, wo sich alles um Geld, Erfolg und Image dreht, atme ich hier wieder auf. Ich werde ich selbst.»
Das New Year Music Festival ist im Grunde genommen ein Porträt seiner Gründerin: kompromisslos, intim, der Schönheit verpflichtet und weniger bürokratisch. Sein 20-jähriges Bestehen ist nicht nur ein Meilenstein, sondern auch eine Bestätigung dafür, dass Musik – echte Musik, die in einem engen Rahmen geteilt wird – immer noch wichtig ist.
Wie Caroline Murat sagt: «Ruhe finde ich irgendwann auf dem Friedhof. Bis dahin möchte ich arbeiten, gestalten und den Menschen Musik bringen – wo immer sie sind.»
JEANETTE WICHMANN
Das vollständige Programm finden Sie auf gstaadnewyearmusicfestival.ch.x



