Weniger Gestank dank neuer Technik
11.10.2010 Landwirtschaft«Bschütti» ist allgemein ein heikles Thema, doch die Hintergründe sind kaum bekannt. Dank neusten Methoden wie Schleppschlauch und Güllezusatzmittel lässt sich der Gestank nun effizient vermindern.
Manch einer rümpft die Nase, wenn im Saanenland wieder «bschüttet» wird. Der unangenehme Geruch ist oftmals Anstoss für Diskussionen zwischen den Landwirten und ihren Nachbarn. Was genau hinter dem «Bschütten» steckt, welche Vorschriften es dafür gibt und mit welchen Tricks der Geruch minimiert werden kann, erläutern Gottlieb von Siebenthal, Fritz Würsten und Jörg Trachsel.«‹Bschütti› ist ein natürliches Abfallprodukt der Tierhaltung», erklärt Gottlieb von Siebenthal (70). Er selbst ist Meister-Landwirt, hat seinen Betrieb jedoch mittlerweile an seinen Sohn weitergegeben. Trotzdem sieht man den vierfachen Vater noch oft selbst arbeiten, gehört das landwirtschaftliche Unternehmen eigentumsrechtlich gesehen doch immer noch ihm. Von Siebenthal spricht aus Erfahrung: «In der tierischen Gülle sind alle wichtigen Nährstoffe für das Pflanzenwachstum enthalten: Stickstoff, Phosphor, Kali und Kalk.» Wichtig sei es, dass jeder Bauer bei der Beratung eine Nährstoffbilanz erstellen lasse und abkläre, ob der hofeigene Dünger ein ausgeglichenes Nährstoffverhältnis besitzt. Falls ein Mangel auftritt, kann dieser durch zusätzlich gekaufte Stoffe behoben werden. «Bschütten» – eine Wissenschaft für sich.
Genügend Lagerraum – ein Muss
Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) unterscheidet in der Verordnung über das Inverkehrbringen von Dünger (Dünger-Verordnung, DüV) drei Arten: nicht anmeldepflichtigen, anmeldepflichtigen und bewilligungspflichtigen Dünger. Gottlieb von Siebenthal fasst zusammen: «Für die Landwirte gilt allgemein: ‹Was auf dem Hof anfällt, darf auch auf dem Hof ausgetragen werden.› Wichtig ist es auch, dass jeder Betrieb genügend Lagerraum für sechs Monate zur Verfügung hat, damit die anfallende ‹Bschütti› auch über den Winter gelagert werden kann.» Wie gross das Fassungsvermögen dieses Düngekastens genau sein müsse, sei je nach Betriebsgrösse und Anzahl Tiere unterschiedlich. Dementsprechend schwanke auch der Preis; bei einem grösseren Betrieb könne man mit ungefähr 100000 Franken rechnen.
«Auf Grund dieser bereits hohen Baukosten teilen sich viele Betriebe im Saanenland ein Güllefass», informiert Jörg Trachsel (40), Präsident der Landwirtschaftlichen Vereinigung Saanenland (LVS) und selbst Landwirt, «deshalb können oftmals auch nicht alle Bauern am selben Tag bei den idealsten Witterungsbedingungen düngen.» Als Landwirt sei man manchmal gezwungen, bei eher ungünstigen Bedingungen zu «bschütten», da man oftmals, insbesondere am Hang, gezwungen sei bei trockenem Wetter zu fahren. Der Düngekasten müsse bis Ende Herbst geleert sein, um genügend Platz für die anfallende Gülle des Winters zu haben.
Die Kontaktperson für den Düngeaustrag im Winter
Düngen darf ein Bauer nur dann, wenn der Boden weder schneebedeckt noch gefroren ist, also von Frühling bis Herbst. Im Winter würde sich die «Bschütti» am gefrorenen Boden mit dem Schmelzwasser verbinden und könnte in Bäche oder Seen ablaufen. Dies hätte eine Gewässerverschmutzung zur Folge und wäre für Mensch und Tier gefährlich.
Gerade Mitte November sei das Urteilen für die Bauern oftmals heikel: darf man jetzt noch düngen oder ist es schon zu spät? Bei solchen Fragen müssen sie sich an die «Kontaktperson für den Düngeaustrag im Winter» wenden. Seit 20 Jahren hat Gottlieb von Siebenthal diesen Posten in der Gemeinde Saanen inne: «Wer zur falschen Zeit ‹bschüttet› und somit gegen die Vorschriften zum Düngeraustrag verstösst, wird von der Polizei angezeigt und muss mit einer happigen Busse oder gleich mit einer Gerichtsverhandlung rechnen.»
Als Kontaktperson für die Gemeinde Saanen könnte von Siebenthal in Konflikt mit der Polizei geraten – dies sei bis jetzt jedoch noch nie der Fall gewesen: «Solche Situationen treten nur dann auf, wenn vor dem ‹Bschütten› nicht bei mir angefragt wurde. Bis jetzt liessen sich solche Polizeimassnahmen immer verhindern, indem ich den Boden nachträglich kontrolliert und mit den jeweiligen Bauern darüber geredet habe.»
Pro Jahr erhalte er zwischen fünf und zehn Anfragen, ob man noch düngen dürfe, hauptsächlich weil noch zu viel Gülle in den Kästen sei. Doch die meisten Landwirte hätten mittlerweile genügend Lagerraum erstellt, betont von Siebenthal. Seine Arbeit werde erst dann problematisch, wenn bereits ein wenig Schnee liege, dieser aber bald wieder schmelzen könne: «Dann weiss auch ich nicht genau, ob man jetzt noch düngen darf oder nicht. Deswegen heisst es im Zweifelsfall lieber nein.»
Die «Kontaktpersonen für den Düngeaustrag im Winter» für das restliche Saanenland sind Peter Weissen für die Gemeinde Lauenen und Roger Kohli für die Gemeinde Gsteig.
Der Natur zuliebe
340 landwirtschaftliche Unternehmen gibt es im Saanenland und jedes davon «bschüttet». «Dabei gibt es Betriebe, welche ihre Felder bis zu drei Mal pro Jahr düngen. Einige Flächen werden auch nur alle zwei Jahre gedüngt, das kommt ganz auf die Intensivität der Fläche an», erklärt Jörg Trachsel. Dabei müssen die Bauern stark darauf achten, wo sie ihre Gülle verteilen. Die Vorschriften sind zwar hart, doch zum Guten der Natur: Feuchtgebiete und Trockenstandorte dürfen nicht gedüngt werden. Von Wald und Gewässern muss der Landwirt einen Abstand von drei Metern einhalten und an jenen Orten, wo das Grundwasser durch die Gülle verunreinigt werden könnte, darf auch nicht «bschüttet» werden. Für diese Art von Düngeverbot erhält der Bauer jedoch eine Entschädigung. «Jeder Betrieb muss zusätzlich sieben Prozent seines Landes als Ökofläche ausweisen», betont Gottlieb von Siebenthal, «diese Fläche wird dann nur extensiv genutzt. Das bedeutet, man darf nicht düngen und das Gras eine gewisse Zeit lang nicht mähen, damit die Insekten und Bodentiere genügend Lebensraum zur Verfügung haben.» Aus diesen sieben Prozent werde jedoch im Jahr 2013 als Folge der neugestalteten Agrarpolitik sicherlich mehr, meint von Siebenthal. Die ökologische Vielfalt soll sich weiter ausdehnen und entwickeln.
Geruchsminderung durch Schleppschlauch
«Für das ‹Bschütten› gibt es zwei grundsätzliche Techniken: das Verspritzen und den Schleppschlauch. Beide Systeme sind mit fast jedem Güllefass kompatibel», erklärt Fritz Würsten (63). Der Mechaniker kennt sich mit landwirtschaftlichen Maschinen aus und handelt schon seit Jahren mit diesen: «Momentan wird im Saanenland noch mehr verspritzt. Zwei Betriebe gibt es, die bereits aktiv mit dem Schleppschlauch arbeiten.» Dank dem Anreizsystem des Flächenbeitrages werde die Anzahl an Schleppschläuchen im Saanenland in den nächsten Jahren steigen, weiss Jörg Trachsel. «Der Bauer erhält pro Hektar seines Landes, welches mit dem Schleppschlauchsystem ‹bschüttet› wird, einen Beitrag von 80 Franken. Diese Hilfestellung ist auch nötig, denn ein solcher Schlauch ist sehr kostenintensiv.» Dafür biete er auch zahlreiche Vorteile. Das «Bschütten» sei mit dem Schleppschlauch vor allem effizienter, da die Gülle in unmittelbarer Bodennähe plaziert werde und dadurch weniger Nährstoffe in der Luft verloren gingen. Ein Schleppschlauch eigne sich besonders für grosse und flache Felder. Ein weiterer Vorteil sei die Geruchsminderung. Da weniger Ammoniak in die Luft gelange, sondern direkt am Boden platziert werde, habe der Wind auch weniger die Möglichkeit, dieses geruchsintensive Gas zu den Wohnhäusern zu tragen.
Stefan Mösching ist einer der wenigen Bauern im Saanenland, welche schon auf den Schleppschlauch umgestiegen sind. Um sich einen Grossteil der Kosten zu sparen, hat der Mechaniker die Konstruktion selbst angefertigt: «Ungefähr 15000 Franken habe ich für das Material ausgegeben. Zwar ist der Schlauch zum Aufstellen etwas aufwendiger als das Spritz-System, jedoch kann ich ihn viel intensiver einsetzen.» Auch über den Geruch kann Mösching nur Gutes sagen: «Mit dem Schleppschlauch riecht es viel weniger streng, jedoch kommt das auch stark auf die Gülle an.» Stefan Mösching ist mit seinem Schleppschlauch zufrieden und auch wenn der Preis und die Anschaffung ein grosser Nachteil seien, empfehle er das neuartige System allen Bauern.
Effektive Mikroorganismen
Wie der Landwirt dem unangenehmen Geruch auch sonst entgegenwirken kann, weiss Fritz Würsten: «Die Bauern müssen auf das Wetter achten und nicht dann ‹bschütten›, wenn es heiss und windig ist, sondern an kühlen und leicht regnerischen Tagen. Dadurch steigt das Ammoniak nicht auf, sondern bleibt am Boden.» Eine weitere, neue Methode sind die sogenannten «effektiven Mikroorganismen» (EM). Die Mischung aus Milchsäure-, Fotosynthese- und Hefebakterien wird dabei in den Düngekasten gegeben und leicht umgerührt. Die Bakterien entwickeln sich und verhindern die Fäulnisbildung, wodurch die Gülle weniger streng riecht. Die Bakterienmischung sei in der Genossenschaft erhältlich, informiert Gottlieb von Siebenthal. Er arbeitet selbst seit mehr als 20 Jahren mit den Mikroorganismen: «Je nach Grösse des Betriebs kosten EM einige 100 Franken pro Jahr. Für diesen Betrag wird nicht nur der Gestank reduziert, auch die Qualität der ‹Bschütti› wird gesteigert.» Dank dem Zusatzmittel könnten die Pflanzen den Dünger besser aufnehmen und der Boden werde geschont. Dies merkt Gottlieb von Siebenthal vor allem daran, dass die Würmer seltener absterben. Die Gestanksminderung trete jedoch nicht sofort ein: «Je länger man die Gülle lagert, desto weniger intensiv riecht sie.»
Es gäbe auch noch andere Produkte mit ähnlicher Wirkung, so zum Beispiel Amalgerol, Bio-Lit, Biplantol, penergetic oder Grandertechnologie. Je nach Kastengrösse können diese auch mit Wasser verdünnt werden.
Gegenseitiges Verständnis
«Es ist ein sehr heikles Thema», sagt Jörg Trachsel, «jedoch erhalten wir momentan nicht so viele Beschwerden wegen dem ‹Bschütten› wie zum Teil an anderen Orten. Ich bin jedem Landwirt dankbar, wenn er bestmöglich Rücksicht nimmt und die vor- und nachgenannten Punkte beim Güllen beachtet. Ebenso danke ich der übrigen Bevölkerung für ihre Toleranz gegenüber dem speziellen Geschmack.» Alle drei Experten sind sich einig, dass es wichtig sei, dass der Bauer Verständnis für seine Nachbarn zeige. «Man muss ja nicht gerade am Wochenende neben den Wohngegenden düngen oder wenn ein grosser Event stattfindet», betont Fritz Würsten. Auch das Wetter sollte man als Landwirt stets im Auge behalten und versuchen, möglichst zu geeigneten Zeitpunkten zu düngen.
«Auch die Bevölkerung muss versuchen, die Bauern zu verstehen», fügt Gottlieb von Siebenthal hinzu, «schliesslich sind wir gezwungen zu düngen und haben auch das Recht dazu. Falls der Gestank wirklich stört, kann man ja das Fenster schliessen.» Ein weiterer Punkt, der von Siebenthal besonders am Herzen liegt, ist, «dass man neben den Menschen auch auf die Natur achtet und sie nicht vollkommen aus dem Gleichgewicht bringt».
Von Sheila Matti