Erfüllte Erwartungen – Berührendes und Explosives

  21.08.2017 Konzert, Kultur

Auch wenn Jaap van Zweden bereits vor einer Woche für den verhinderten Dirigenten Long Yu aufgetreten war, stellte das Konzert vom vergangenen Samstag das eigentliche Willkommensfest für den neuen künstlerischen Leiter des Gstaad Festival Orchestras und der Conducting Academy dar. Zusammen mit der wiederum grossartig aufspielenden Cellistin Sol Gabetta und dem hervorragenden hauseigenen Orchester begeisterte er mit einem Konzert der Superlative.

KLAUS BURKHALTER
Die gespannte Vorfreude auf die erste Begegnung mit Jaap van Zweden war in den Vorräumen des Festivalzeltes echt spürbar, sie war präsent in allen Gesprächen, beim Cüpli- und Kaffeetrinken, unter den Wartenden vor der Kasse, den herumschlendernden Besuchern im eleganten Abendkleid und schliesslich beim drängenden Einmarsch in den grossen Konzertraum.

Einstimmung mit Ravel
Dann der grosse Moment: Van Zweden trat auf, gab nach kurzer Begrüssungs-Verbeugung den ersten Einsatz zur «Pavane» von Maurice Ravel – und dieser war sanft, fein, fast bedächtig, genau so, wie es der französische Komponist vorgesehen hatte. Diese «Pavane pour une infante défunte» ist eine Art langsamer Prozessionstanz, keine Trauerklage. Sie ist eine antike Miniatur, die des Komponisten nostalgische Begeisterung für spanische Bräuche und Empfindungen aufzeigt. Das kurze Werk war geeignet, einen Vorgeschmack, eine Einstimmung in alles Bevorstehende zu geben. Erstmals liessen die Bläser aufhorchen, ebenso hörte man das Orchester aus der grossen Ruhe heraus mächtig anschwellen, bereits eine Vorahnung auf die Gestaltung der Tschaikowsky-Sinfonie. Und der Chef hielt die Bedächtigkeit durch, liess sich nicht zu einem Anfangs-Furioso hinreissen. Der musikalische Teppich war ausgelegt.

Ein Kleinod unter den Cellokonzerten
Dann trat Sol Gabetta auf – energiegeladen und spielfreudig zog sie das Publikum sofort in ihren Bann. Und van Zweden mit seinem riesigen Orchester-Apparat stieg augenblicklich in das Wechselspiel von Solo- und Tuttistellen ein. Er zeigte das perfekte Einvernehmen mit der Solistin im Zusammengehen, bei den Tempi, bei ruhig empfundenen- oder überraschend tänzerischen Stellen. Er hielt das Orchester bewunderungswürdig zurück, um Sol Gabetta den Raum zur Entfaltung ihrer herrlichen Passagen zu ermöglichen. Und wie sie dies tat: Sie spielte Edouard Lalos für viele unbekannte Cellokonzert d-Moll in die Herzen der Zuhörerschaft. Sie meisterte das technisch anspruchsvolle Werk scheinbar mühelos, brachte die Kontraste zwischen feuriger Eleganz und schwelgerischer Ruhe perfekt zum Ausdruck, beherrschte schwierigste Arpeggien und rasende 16tel-Läufe mit Leichtigkeit, um gleich wieder mit ihrem angenehmen Vibrato oft volksliedhafte Melodien auszusingen. Ein Highlight war sicher die Gestaltung des Mittelsatzes, in welchem plötzlich ein rhythmisch-spanisches Aufflackern den Humor und die Spielbegeisterung der Solistin besonders untermalte. Auch im abschliessenden Allegro kam ihre enorme Virtuosität nochmals zum Ausdruck. Das Orchester leistete Hervorragendes. Es war rhythmisch stark gefordert, ging total aufmerksam auf die Intentionen seines Chefs ein, liess herrliche Bläser-Lichter aufblitzen und zeigte echte Freude an Lalos Werk. Die Begeisterungsstürme des Publikums wurden belohnt: Sol Gabetta spielte zusammen mit dem Cello-Register des Orchesters ein katalanisches Lied, «Song oft he birds», welches Pablo Casals bearbeitet und selbst oft als Zugabe verwendet hatte. Bei dieser zarten Musik herrschte im grossen Zeltraum «Mucks-Mäuschen-Stille».

Das grosse Geschenk des Jaap van Zweden
In der 5. Sinfonie e-Moll op.64 von Peter Tschaikowsky präsentierte der Dirigent der in hellen Scharen aufmarschierten Zuhörerschaft seine grosse Meisterschaft in Orchesterführung und Gestaltung eines monumentalen Werkes. Diese Sinfonie strahlt ihre Wirkung erst aus, wenn sie in all ihren Stimmungen und Empfindungen ausgeleuchtet wird. Denn das Werk war 1888 nach schlimmen Jahren des Komponisten entstanden. Es ist eine Art Spiegelbild einer krisendurchbebten Zeit, seelisch zwischen Höhenflügen und tiefer Verzweiflung. Ein zyklisches Thema, das «Schicksalsmotiv», kehrt in jedem der vier Sätze wieder. Die Sinfonie bot also eine ideale Plattform für Dirigent und Orchester, ihre ausserordentlichen Qualitäten ausbreiten zu können. Beide Teile waren nun gefordert. Was sie in ihrer Interpretation boten, war schlichtweg phänomenal. Eigentlich müsste man im Wörterbuch noch nach gesteigerten Ausdrücken suchen. Das Gstaad Festival Orchestra ist zu einem Klangkörper der Spitzenklasse aufgestiegen. Alle Register sind hervorragend besetzt. Tiefe Eindrücke bleiben haften: Die Flut der Violinen, die total präzis in Bogenführung und Fingerfertigkeit wie aus einem Guss die schwierigsten Passagen meisterten; die tiefen Streicherstimmen, die ihren grossen Instrumenten erstaunlich Virtuoses entlockten; die Blech- und Holzbläser, die meisterhaft in vielen Solostellen, lichtvollen Einwürfen und herrlichen Melodiebögen Kernaufgaben beizusteuern hatten; schliesslich auch der Paukist, dem die Freude ob seiner gewaltigen Einsätze im Gesichtsausdruck abzulesen war.

Und diese grosse Musikergemeinschaft führte der neue Chef überlegen durch alle Klippen und Ebenen der grossen Sinfonie. Er gestaltete jeden Ton, er lebte mit, holte die einzelnen Register hervor, er trieb an und beruhigte gleich wieder. Er liess den Orchesterton in typischer Tschaikowsky-Art unerhört anschwellen und wieder versinken. Van Zwedens Bewegungen waren klar, mit vielen Variationen, die unmissverständlich seine Absichten ausdrückten: Da war seine oft flatternde linke Hand, sein exaktes Schlagen, sein oft fast lauernder oder mithüpfender Körper, sein Achselzucken, da waren seine schwingenden grossen Armbewegungen, seine auffordernden Blicke und klaren Einsatzzeichen. Man spürte sein Engagement, das grosse Werk in allen Facetten «hinüberzubringen». Mit dem Ausloten aller Stimmungen, vom zart Berührenden bis zur explosiven Wucht, gelang ihm dies vollkommen. Die orkanartigen Begeisterungsstürme am Schluss des grossen Konzerterlebnisses waren berechtigt. Zur bevorstehenden Tournee wünscht man dem Gstaad-Aushängeschild viel Erfolg. Das Publikum der Elb-Philharmonie in Hamburg darf sich freuen!


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