Von Lauenen nach Las Vegas
20.10.2017 Lauenen, FamilieAUSLAND Die gebürtige Lauenerin Isabelle Guechida-Oehrli ist vor zwölf Jahren in die USA ausgewandert. Im Interview verrät sie, dass sie den amerikanischen Pass beantragt.
BLANCA BURRI
Zwölf Jahre ist es her, dass Kamel Guechida, Isabelle Guechida-Oehrlis Ehemann, eine Stelle als Chef-Patissier in Las Vegas angenommen hat. Mit dem Job in Amerika ist die Familie vom beschaulichen Gstaad in die Spielerstadt Las Vegas gezogen. Inzwischen arbeitet Kamel Guechida für den internationalen Wolfgang-Puck-Konzern und ist dadurch auf der ganzen Welt unterwegs. Wolfgang Puck ist ein in Österreich geborener Amerikaner – ein Starkoch, Restaurantbetreiber, Buchautor und Gelegenheitsschauspieler.
Aus zwei Jahren wurden zwölf Jahre
Als Isabelle, Kamel und die fünf Monate alte Noémie nach Amerika aufbrachen, war ein Aufenthalt von zwei Jahren geplant. Aus den zwei sind inzwischen zwölf Jahre geworden – an eine Rückkehr denkt die Familie nicht. «Manchmal würde es mich zwar schon reizen, wieder in die Schweiz zuziehen», lacht sie verschmitzt. Doch die Kinder und auch sie selber hätten ein wunderbares soziales Umfeld aufgebaut, das sie nicht verlassen möchten. Und dann ist da noch die Sache mit der Sprache: Während Noémie Englisch und Französisch spricht, konzentriert sich Noa aufs Englische. Und was ist mit der Muttersprache? «Leider sprechen meine Kinder kein Deutsch», bedauert Isabelle Guechida. Zwar habe sie am Anfang versucht, den Kindern ihre Muttersprache beizubringen. Sie habe mit ihnen immer Schweizerdeutsch gesprochen. Das habe mitunter zu unangenehmen Situationen geführt. «Wenn ich auf dem Spielplatz mit meinen Kindern Deutsch gesprochen habe, haben die anderen Eltern nicht verstanden, was ich ihnen gesagt habe. Das hat uns ausgegrenzt.» Deswegen sei sie schon bald zu Englisch übergegangen. «Das ist halt bei den Familienbesuchen ein bisschen schade. Aber jetzt ist es halt so.»
Bisher verfügte die Familie über Green Cards, im Herbst stellt sie aber den Antrag für die Einbürgerung. Danach werden alle den Schweizer, den französischen und den amerikanischen Pass haben.
«Wir wohnen nicht am Strip»
«Die meisten meiner Schweizer Freunde dachten anfangs, wir wohnten am Strip», lacht Isabelle Guechida. Im Zentrum von Las Vegas, dem sogenannten Strip, hat es vor allem Hotels, Spielbanken, Shops und ein paar Luxusüberbauungen. «Der Strip ist hauptsächlich für die Touristen, nicht für die Einwohner …», resümiert sie. Isabelle, Kamel und die beiden Kinder Noémie (13) und Noa (7) wohnen in einem Einfamilienhaus-Quartier am Rand der 600 000-Seelen-Stadt. Dieses Quartier verfügt über kleine Lebensmittelgeschäfte und eine Apotheke und ist in sich geschlossen. «Wir fühlen uns in diesem Quartier sehr wohl», sagt die gebürtige Lauenerin. Vor allem ihre Tochter Noémie könne sich einen Umzug überhaupt nicht vorstellen. «Sie möchte nicht einmal in ein anderes Quartier ziehen», lacht die fröhliche 37-Jährige.
Gute Lage
Nicht nur der Tochter, auch der Mutter gefällt die Stadt. «Sie ist überschaubar, hat ein gutes Schulsystem und das Naherholungsgebiet ist wild und schön. Dort gehen wir oft wandern.» Wenn es die Familie ans Meer und in die Millionenmetropole Los Angeles zieht, so fahre sie nur gerade vier Stunden westwärts. Im Osten warten im Winter schneebedeckte Gipfel auf die skihungrigen Schweizer.
Kinderbetreuung vor Beruf
Die gelernte Verkäuferin Isabelle Guechida kümmert sich in den USA hauptsächlich um die zwei Kinder. Eigentlich würde sie gerne auch arbeiten, doch die Schulzeiten lassen dies nicht zu. «Die Kinder haben noch keine Blockzeiten, deswegen müssten sie fremdbetreut werden, wenn ich arbeiten wollte.» Das kommt für sie allerdings nicht infrage. Es sei ihr wichtig, sich selbst um die zwei Kinder zu kümmern.
In der Schule fühlen sich die Kinder wohl, obwohl sie sich das Schulhaus mit 1000 anderen Kindern teilen. «Das Angebot ist unglaublich gross.» Die Qualität der Hauptfächer sei nicht geringer als die Schweiz. Vor allem das Programm «no child is left behind», das Barack Obama eingeführt hatte, beeindruckt Isabelle Guechida. Jede Schule habe Sonderklassen für Kinder mit Lernschwierigkeiten, wo sie individuell gefördert würden.
Beste Freundin
Trotz regelmässigen Besuchen in der alten Heimat Lauenen und bei den Eltern von Kamel in Frankreich fühlt sich Familie Guechida in Las Vegas ganz zu Hause. Nicht zuletzt wegen den tollen Freundschaften, die sie aufgebaut hat. Isabelle Guechida bestätigt indes das Cliché, dass Bekanntschaften in Amerika etwas oberflächlicher sind als in Europa. «Man kommt zwar schnell ins Gespräch, aber das Ganze bleibt doch recht belanglos.» Mit einer Französin, welche ebenfalls nach Las Vegas ausgewandert ist, versteht sich Isabelle Guechida besonders gut. Überhaupt gebe es in der Casinometropole viele Franzosen, welche in den Gourmetrestaurants angestellt seien.
Im heissen Sommer in der Schweiz
Während den Sommermonaten geniessen Isabelle Guechida und ihre Familie Europa. Meist reisen sie erst nach Frankreich und später nach Lauenen. In dieser Zeit in Frankreich und in der Schweiz bereisen sie gerne auch andere Regionen, um Europa besser kennenzulernen. «Ich bin dankbar, dass wir in dieser Zeit den heissen Temperaturen in Las Vegas entkommen und über grüne Blumenwiesen spazieren können.» In Gedanken an diese Momente wird sie auch etwas melancholisch: «Die Familie, die Landschaft, die Berge, das Bimmeln der Kuhglocken, die frische Luft und das Wandern über die saftigen Matten fehlen mir in Las Vegas manchmal schon etwas.» Auch die vier Jahreszeiten gebe es in Nevada nicht, was sie schade findet. Da sie aber nicht gerne friere, sei das schon recht.
Fernweh
«Ich habe schon als Kind gewusst, dass ich nicht in Lauenen bleiben werde», gesteht Isabelle Guechida. Sie wisse auch nicht wieso, aber sie habe sich im Bergdorf nie ganz zugehörig gefühlt. Dass sie gerade nach Amerika reist, hätte sie aber nie gedacht. Grosse Freude hat die junge Frau, wenn ihre Familienangehörigen und Freunde sie in Las Vegas besuchen und sie von dort gemeinsame Ausflüge unternehmen.
Ein Stückchen Schweiz in Amerika
Auch Teile von Amerika hat die Familie bereits bereist. Das Meer, San Diego, San Francisco, die Nationalparks Yosemite, Bryce Canyon und Grand Canyon seien wunderschön. Was den Kindern besonders gefallen habe, seien der Lake Tahoe und der Bundesstaat Colorado, die beide der Schweiz ähneln. «Wenn ich Heimweh habe, zieht es mich am Wochenende Richtung Colorado, wenn ich nicht an zu Hause denke, fahren wir ans Meer.» Grundsätzlich gefallen ihr ländliche Regionen immer noch besser als städtische.
Nachhaltigkeit in Frage gestellt
In den ersten Jahren in den USA hat sich Isabelle Guechida politisch nicht stark interessiert. Dies hat sich mit der letzten Präsidentschaftswahl geändert. Sie habe Mühe gehabt, sich für Trump oder Clinton zu entscheiden. Aus ihrer Sicht seien beide nicht optimal für den einflussreichsten Posten der Welt gewesen. Seit der Wahl habe sie aber festgestellt, dass Donald Trump von den Medien zum Teil schlechter dargestellt werde, als er sei. Trotzdem habe sie das Gefühl, dass die USA unter Trump, was die Nachhaltigkeit betrifft, einen grossen Rückschritt mache. Im Alltag habe man Trumps Einfluss noch nicht bemerkt, aber die Beschlüsse würden sicherlich dazu führen, dass zur Natur weniger Sorge getragen werde.
Sie freut sich, dass man in Kalifornien in den letzten Jahren begonnen habe zu recyceln und nachhaltiger zu leben. In Nevada, zu dem auch Las Vegas gehört, habe das aber noch nicht Einzug gehalten. «Das stört mich extrem.»
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