Gott der Rache, erscheine!

  23.02.2018 Kirche

KORNELIA FRITZ
Erneut werden wir durch die Medien indirekt Augenzeugen eines grausamen Krieges, den die Türkei gegen die Kurden in Syrien führt. So auch im «Weltspiegel» vom 28. Januar 2018. Inmitten der Panzer sehen wir ein geschlachtetes Schaf am Boden liegen. «Jedes Mal, wenn ein Lamm für die Soldaten geschlachtet wird, wird es von Gott anerkannt und das Blut der Soldaten wird gerettet», erklärt ein Soldat einem Journalisten auf seine Frage. Dass Gott an der Seite der Soldaten mitkämpft und ihre Feinde vernichten wird, ist für die türkischen Soldaten selbstverständlich. Für uns sind solche Bilder und Erklärungen zwar nicht völlig unbekannt, in der heutigen Zeit trotzdem irritierend und fremd und sie gehören für uns zu einem längst vergangenen Zeitalter. Gewöhnlich wird uns dann entgegengehalten, dass auch das Alte Testament an vielen Stellen – besonders in den Psalmen – direkt oder indirekt den Wunsch und die Bitte an Gott richtet, er möge ihre Feinde vernichten. Es ist so: Das Alte Testament spricht wohl über 100 Mal von Rache und Vernichtung. Zum Teil auf grausamste Art, ohne sich je scharf und grundsätzlich davon zu distanzieren. In Psalm 58 zum Beispiel heisst es: «Gott zerbrich ihre Zähne im Maul. Der Gerechte wird sich freuen, wenn er solche Rache sieht und wird seine Füsse baden in des Gottlosen Blut.»

Trotzdem ist für uns heute die Bitte an Gott, an unserer Seite zu kämpfen, den Feind zu besiegen oder gar zu vernichten, unmöglich geworden. Gewaltfantasien und Rachewünsche kommen uns schlecht über die Lippen, und schon gar nicht als Bitte an Gott gerichtet. Die Worte Rache und Vergeltung lösen bei vielen Menschen ungute Gefühle aus. Das gilt als unerwachsen und unzivilisiert. Aus psychologischer Sicht sind Rache und Vergeltung eine besonders feindselige und destruktive Form menschlicher Aggressivität. Und jedes geordnete Staatswesen wird gut daran tun, dafür zu sorgen, dass der Einzelne nicht auf eigene Faust Rache ausübt.

Heisst das nun, dass wir bessere, zivilisiertere Menschen sind als viele Psalmbeter früher? Können wir das alles so einfach als alttestamentarische Sichtweise abtun, von dem sich der Gott des Neuen Testaments wohltuend unterscheidet? Und sind wir wirklich frei von allen Rachewünschen? Wünschen wir uns nicht die ganze Mafia zur Hölle, wenn wir hören, wie sie in den Armenvierteln Lateinamerikas unzählige Kinder und Jugendliche ermordet, weil der Organhandel inzwischen so viel Geld einbringt wie der Drogenhandel? Was wünschen wir Machthabern wie zum Beispiel einem Assad in Syrien, der Tausende von Menschenleben willkürlich opfert, nur um selber an der Macht bleiben zu können? Waren wir nicht erleichtert, als wir hörten, dass die Luftwaffe der USA auf einen Schlag 70 IS-Kämpfer getötet hat? Waren wir nicht froh, als wir hörten, dass immer mehr Staaten in den Krieg gegen die Islamisten ziehen, mit dem Ziel, diesem Spuk endgültig ein Ende zu machen? Ich denke, wir waren erleichtert darüber. Trotzdem würden wir nie die Bitte an Gott richten, er möge die Islamisten im Kugelhagel sterben lassen. Wir vertrauen da lieber auf die Überlegenheit der Nato mit ihrem ganzen Waffenarsenal. Im privaten Leben hoffen wir eher, dass sich ein anonymes Schicksal rächen soll oder in einem späteren Leben die Gesetze eines Karmas den Täter Gleiches erleben lässt.

Wir sind nicht frei von Wünschen der Rache und Vergeltung, wir richten sie nur nicht an Gott. Doch warum sind wir so erpicht darauf, unser Gottesbild frei von allen Formen der Gewalt zu halten? Warum muss Gott unbedingt ein lieber Gott sein und bleiben?

Aus christlicher Sicht, könnten wir sagen, ist ein Gott der Rache und der Vergeltung unmöglich. Sollte nicht der, der in Jesus Christus die Feindesliebe gefordert hat, auf jegliche Vergeltung verzichten wollen? Wie sollte er, der sich durch die Gewalt und das Unrecht der Menschen verwunden liess, von grausamen Qualen und Schmerzen nicht verschont, schliesslich ohnmächtig ermordet wurde. Einer, der sich nicht einmal selber helfen konnte. Wie sollte er sich rächen wollen? Doch könnte es nicht auch andere Gründe geben, dass wir Gott von jeder Vergeltung freihalten wollen? Einen Gott der Rache anzurufen, würde heissen, zu wünschen, dass sich die Verhältnisse grundlegend ändern. Doch wollen wir das wirklich? Ahnen wir instinktiv, dass ein Gott, der sofort eingreift und für Recht und Ordnung sorgt, fast ein wenig zu schön, zu billig wäre und über unsere Köpfe hinweg agieren müsste? Haben wir Angst, dass ein rächender Gott sich auch an uns rächen könnte? Oder ist da nicht die Gefahr, dass wir unsere Feinde automatisch mit Gottes Feinden gleichsetzen? Wird da nicht die Welt einseitig in Gute und Böse eingeteilt? Spüren wir vielleicht allzu genau, was das für uns bedeuten könnte? Und ist das womöglich unser hintergründiges Motiv, unser Gottesbild vom Gedanken der Rache und Vergeltung freizuhalten? Am sichersten bleibt der liebe Gott doch lieb, wenn er sich stillhält, wenn er nicht allzu viel tut.

Dieser gewaltlose Gott hat eine problematische Kehrseite. Je mehr Gewalt und Grausamkeiten wir in der Welt erleben, desto mehr müssen wir auf andere Mächte vertrauen, die uns schützen oder die vergelten und unsere Feinde töten. Im Privaten sagen wir dann etwa: «Es wird sich rächen.» Doch was genau ist das, das sich rächen wird? Das, was wir Gott nicht zutrauen wollen, schieben wir gern diesem ominösen «Es» zu. Sind da die Menschen in der Bibel nicht ehrlicher? Zumal wir nicht vergessen dürfen: Der Schrei nach Rache ist in der Bibel nie aus der Position des Überlegenen gekommen, nie aus der Position eines kalt berechneten Planes. Es ist immer der Aufschrei aus unerträglicher Not. Der Schrei von Eltern, deren Kinder vor ihren Augen ermordet im Blut liegen. Diese Menschen wussten, wenn Gott vergisst oder einfach vergibt, was hier geschehen ist, dann gibt es nur den gleichgültigen Gott. Doch ein Gott der Liebe vergisst Unrecht, Gewalt und Mord nicht einfach.

Auf dem Friedhof in Kiew liegen 650 000 Opfer aus dem Zweiten Weltkrieg begraben. Soldaten, Männer, Frauen und Kinder. Zwischen den Gräbern steht auf einem grossen Steinblock der Satz: «Wisse ein jeder – niemand ist vergessen. Und nichts ist vergessen.» Der Stein sagt mehr als die meisten Menschen in Kiew ahnen. Niemand ist vergessen. Die Opfer nicht, die Mörder nicht. Doch wer oder was genau sorgt nun dafür, dass diese Stadt nicht zur Ruhe kommen kann, dass Gewalt immer wieder erneut auflodert? Ist es Gott oder ein unbekanntes Schicksal oder sind es die Schreie der Ermordeten oder die ihrer Angehörigen? Wir wissen es nicht.

Wir jedenfalls leben in einem Widerspruch. Wir wollen keinen Gott, der Vergeltung und Rache übt, und wir wollen nicht, dass die Opfer und die Mörder vergessen werden. Vielleicht sind da die Schreie und Gebete nach Rache in der Bibel doch ehrlicher. Denn die Betenden rächen sich nicht selber. Sie überlassen ihren Schmerz, ihren Zorn und die Vergeltung Gott. Er soll diesen Widerspruch, den sie ja auch kannten, auflösen. Nur Gott selber kann den Riss, der zwischen Opfer und Gewalttäter klafft, mit seiner Gegenwart auffüllen. Ein Riss, der, durch das Kreuz verbunden, zur Wohnstätte Gottes auf Erden geworden ist.

Ich möchte abschliessen mit einer für mich wunderschönen Erzählung von Manès Sperber.


SCHMERZLICHES GELÄCHTER

Winter 1942 in Polen. Ein Flüchtling aus dem benachbarten Städtel berichtete über die Gewalttaten der Nazis: böswillige Quälereien, namenlose Demütigung, Raub und Totschlag, Deportationen, Erschiessungen auf dem Marktplatz und im benachbarten Wäldchen. Man fragte ihn. «Was habt ihr da gemacht?» – «Nach den letzten Aktionen haben wir nicht wie sonst nur die ersten 75 Psalmen aufgesagt, sondern alle 150 bis zum allerletzten Wort, und ausserdem haben wir gefastet wie am Versöhnungstag.» – «So wars recht», antwortete man ihm. «Man darf sich nicht alles gefallen lassen. Man muss sich wehren!»


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