«Der kleine Kite passt in eine Handtasche»
23.05.2018 InterviewDer Winter hat sich verabschiedet aus dem Saanenland. Was machen ambitionierte Wintersportler wie Snowkitefahrer Oliver Willi aus Feutersoey in diesen Tagen? Im Interview sprach er über seine Sommeraktivitäten, darüber, wie er zu diesem aussergewöhnlichen Sport kam und welches seine Ambitionen sind.
JENNY STERCHI
Wie heisst es eigentlich richtig? Snowkitefahren oder Snowkitesegeln?
Laut Definition gehört das Snowkiten zum Drachensegelsport. Aber «Schnee-Drachensegeln» wäre sehr kompliziert und so reduzieren wir es auf «Snowkiten» und gehen der Entscheidung zwischen Fahren und Segeln aus dem Weg.
Laut Definition wird auf grossen, weiten Ebenen das Snowkiten betrieben. Wie kamen Sie – in Feutersoey daheim – ausgerechnet auf diesen Sport?
Ich bin als aktiver Athlet Snowboardrennen gefahren. An einem Rennwochenende im Engadin vor etwa 15 Jahren durfte ich auf dem Silvaplanersee das Snowkiten ausprobieren. Wieder daheim im Saanenland habe ich dann festgestellt, dass es auch hier passendes Gelände dafür gibt. Auf dem Glacier 3000 funktioniert es sehr gut. Und auch der Flugplatz in Zweisimmen bietet sich an, da es dort keinen Winterflugbetrieb gibt.
Warum Snowkite und nicht Alpinski?
Nachdem ich den Snowboard-Rennsport verlassen habe, hatte ich zunächst die Nase voll von Schnee und Winter. Daher verlagerte ich vor rund sechs Jahren mein Interesse auf das Wasser und gelangte in Italien in eine Kitesurfschule. Ich wurde Kitesurflehrer. Das Bändigen der enormen Kräfte, die entstehen, wenn der Wind in den Kite greift, ist für mich Spass und Herausforderung zugleich.
Wäre dann nicht eine Karriere als Kitesurf-Athlet naheliegend gewesen?
Die Trainingsmöglichkeiten hierfür sind doch etwas eingeschränkt. Die Schweiz liegt nicht am Meer und der Arnensee ist zu wenig windsicher. Das Leistungsniveau der Kitesurf-Profis an der Weltspitze ist sehr hoch. Und da ich nach einiger Zeit doch wieder mal den Schnee spüren wollte, war für mich das Snowkiten die optimale Sportart.
Sind Sie heute mit Ihrem Kite auch hin und wieder noch auf dem Wasser unterwegs?
Das Kiten auf dem Wasser – in kurzen Hosen – ist für mich auch heute eine willkommene Abwechslung nach den Wintermonaten.
Was ist Ihrer Ansicht nach einfacher: Kitesurfen oder Snowkiten?
Ich halte das Kitesurfen, zumindest beim Erlernen, für schwieriger. Neben dem Stehen auf dem Brett und dem Steuern des Kites kommt der Umgang mit dem Element Wasser dazu, der mitunter sehr kräftezehrend sein kann.
Wie sieht der Trainingsplan eines Snowkiters aus?
Die Trainingsmöglichkeiten auf dem Glacier 3000 sind für mich sehr gut. So kann ich Sommer wie Winter die verschiedenen Manöver, wie sie in den von mir bevorzugten Kursrennen gefahren werden müssen, trainieren. Ich mache kein durchstrukturiertes Konditionstraining. Ich bin eher polysportiv in Bewegung. Und spezifisches Training kann ich jetzt natürlich beim Kitesurfen auf dem Wasser ausüben.
Angenommen, es interessiert sich jemand aus dem Saanenland dafür, das Snowkiten zu erlernen. Wie sollte er vorgehen?
Der kann sich gern bei mir melden. Die Flächen auf dem Glacier 3000 sind für Anfänger gut zu befahren. Wenn genügend Schnee liegt, bietet sich auch der Flugplatz in Zweisimmen an, um sich das erste Mal von einem Kite ziehen zu lassen.
Variieren die Kite-Grössen?
Ja, es gibt verschiedene Kite-Grössen. Man wählt sie je nach Windverhältnissen aus. Der Kleinste, den ich bei hohen Windgeschwindigkeiten benutze, hat eine Oberfläche von neun Quadratmetern.
Von welchen Windgeschwindigkeiten sprechen wir da?
Dann darf der Wind schon zwischen 70 und 80 Kilometern pro Stunde blasen. Dann kann ich keinesfalls auf meinen grössten Kite zurückgreifen. Mit seinen 21 Quadratmetern Fläche würde er bei starkem Wind mit mir machen, was er will. Um mich von ihm ziehen zu lassen, reicht schon eine Windgeschwindigkeit von zehn Kilometern pro Stunde.
Und was machen Sie, wenn sich die Windverhältnisse innert kurzer Zeit ändern?
Das Packmass der Kites ist verglichen mit ihrer Oberfläche sehr klein. Sorgfältig zusammengelegt passen die kleinen Kites in eine Handtasche. Nicht selten habe ich mehrere Kites in meinem Rucksack bei mir. Ausserdem kann man einen zu grossen Kite trimmen. Das bedeutet, den Anstellwinkel zu verändern und so die Zugstärke regulieren zu können.
Was machen Sie, wenn sie nicht gerade am Kite «hängen»?
Ich arbeite als Schreiner und finanziere mir auf diesem Weg meine Saison. Daneben mache ich noch eine Ausbildung zum Therapeuten.
Gibt es für das Snowkiten als Randsportart in der Schweiz einen Verband?
Die Swiss Kitesailing Association, so der Name des Schweizer Kitesurf-Verbandes, ist in der Schweiz die am weitesten entwickelte und am meisten anerkannte Organisation. Darin haben sich alle Kite-Sportarten zusammengeschlossen. Also finden sich neben den Kite-Surfern auch Snowkiter und Buggy-Fahrer am Kite unter diesem «Dach».
Gibt es im Snowkiten eine Schweizer Nationalmannschaft?
Nein. Es gibt eine Weltcup-Wertung, die allen Snowkitern offensteht. In der befanden sich in der letzten Saison 40 Athleten aus der ganzen Welt. Die Gruppe der Spitzenfahrer ist zwar klein, aber sehr stark. Daneben gibt es die Swiss Snowkite Tour. Das ist eine Wertung verschiedener Rennen, meist an Orten in der Schweiz und mit ebenso internationaler Beteiligung.
Und gibt es neben Ihnen noch andere Schweizer Athleten, die auf diesem Niveau unterwegs sind?
Ja, wir sind eine Gruppe von etwa sieben Kite-Sportlern, die auf gleichem Niveau fahren. Wir kennen einander gut und es besteht ein sehr kollegiales Verhältnis untereinander. Während die Weltcup-Rennen schon sehr professionell durchgeführt werden, organisieren wir Athleten mit Unterstützung durch einen Kite-Event-Partner die Rennen der Swiss Snowkite Tour weitestgehend selber. Die Anforderungen an die Fahrer sind aber keinesfalls geringer.
Wie schätzen Sie für sich die vergangene Saison ein?
Ich bin sehr zufrieden mit dem Saisonverlauf. Auch die vorhergehende Saison war für mich sehr erfolgreich. Ich begann, internationale Rennen zu fahren. In der letzten Saison konnte ich die Swiss Snowkite Tour auf dem dritten Rang beenden. Dazu kam die Weltmeisterschaft in Lahti, die ich auf Rang 6 beenden konnte und die Teilnahme an einigen Weltcuprennen.
Haben Sie Ihre sportlichen Ziele für die Zukunft bereits definiert?
Ich verwende das Wort Ziel nicht. Für mich bedeutet, ein Ziel zu erreichen, etwas zu beenden. Ich finde, jeder Mensch sollte nur ein Ziel haben, nämlich gesund und vollkommen sterben zu dürfen. Ich bezeichne meine Ambitionen lieber als Resultate. Sportliche Erfolge sind Resultate, die den Weg zum Ziel schmücken. Meiner Ansicht nach sollte ein Sportler, der seine Karriere nicht beenden will, nie von seinen Zielen, sondern von Resultaten sprechen. Wer zum Beispiel vom Ziel «Weltmeister werden» spricht und es erreicht, der fällt sehr oft in eine Lustlosigkeit und verliert die Freude und den Ehrgeiz. Das kostet den Körper zusätzlich Energie, die man im Rennsport anders nutzen sollte. Als angestrebtes Resultat bezeichnet, wird es immer eines bleiben, das der Sportler erreichen und immer wieder bestätigen kann. Ich möchte auf jeden Fall die guten Resultate der vergangenen Saison im kommenden Winter bestätigen. Besser geht immer. Und mit Erfolg macht’s ja auch mehr Spass. Vor allem möchte ich Freude am Sport haben. Neben Muskelkraft halte ich auch die mentale Stärke für eine äusserst wichtige Bedingung im Sport.
Und vielleicht auch Geld damit verdienen?
Ich bin weit davon entfernt, mit dem Snowkiten Geld zu verdienen. Als Randsportart ist sie halt für potenzielle Sponsoren nicht sehr attraktiv. Im Moment kostet mich eine Wintersaison rund 20 000 Franken.
WER IST OLIVER WILLI?
- geboren am: 7. Februar 1991
- geboren in: Basel
- mit 10 Jahren ins Simmental gekommen
- seit drei Jahren in Feutersoey daheim
- von Beruf Schreiner
- in einer Ausbildung zum Therapeuten
- 1.92 Meter gross
- Seine Ski (Speedski) sind 2.38 Meter lang und haben einen Radius von 96 Metern.
- seine Passion: Tempo
KITE-LEXIKON
Kursrennen: Ähnlich wie bei einer Segelregatta legen Kitesurfer respektive Snowkiter nach Massenstart eine genau definierte Strecke und Rundenzahl mit mehreren Kontrollpunkten in möglichst kurzer Zeit zurück. Wer die Anzahl vorgegebener Runden zuerst absolviert hat, ist Sieger. Pro Tag fährt ein Athlet maximal acht Rennen.
Distanzrennen: Längere Strecken zwischen 40 und 70 bis sogar 150 Kilometern müssen zurückgelegt werden. Die Sportler sind dafür – abhängig von den Windverhältnissen – zwischen zwei und fünf Stunden mit ihrem Kite unterwegs.
GPS-Rennen: Der Athlet mit den meisten gefahrenen Kilometern und überwundenen Höhenmetern in der vorher festgelegten Zeit gewinnt das Rennen. Der Streckenverlauf wird am Ende des Rennens mittels aufgezeichneter Daten und GPS kontrolliert.
Kite: Der Kite, der für die Fortbewegung der Sportler sorgt, ist ein Lenkdrachen mit sehr spezifischem Zubehör. Der Sportler ist über das Trapez – eine Art Beckengurt – mit der Bar – dem Steuerbügel – verbunden. An der Bar sind die Steuer und Zugleinen des Kites befestigt.
Parafoil-Kite: Dieser Kite ist aufgebaut wie ein Gleitschirm. Der Drachen füllt sich durch den Wind mit Luft. Er ist über ein Leinensystem steuerbar und wird meist für die Kite-Sportarten an Land genutzt. Bei der Nutzung auf dem Wasser braucht es gute Kenntnisse. Bei einer Landung im Wasser muss der Sportler wissen, was zu tun ist, da sich die Kammern mit Wasser füllen.
Tube-Kite: Er ist ebenso lenkbar wie ein Parafoil-Kite. Wesentlicher Unterschied ist, dass der Schirm durch geschlossene Kammern eine feste Form bekommt. Der Schirm wird bereits vor dem Start aufgepumpt. Da er so von selbst schwimmt, wird er vielfach beim Kitesurfen und zur Schulung auf dem Wasser genutzt.