E-Mountainbike: die Zukunft der Bewegungstherapie

  14.08.2018 Region

Seit 16 Jahren lassen sich Einheimische wie Gäste im Le Grand Bellevue vom Physiotherapeuten und Osteopathen Gabriel Knop behandeln. Der gebürtige Argentinier ist in der Sportlerszene bekannt, weil er auch Profisportler betreut – und weil er die Therapiestunden am liebsten draussen auf dem Fahrrad abhält.

BLANCA BURRI

Sie sind Argentinier, was hat Sie nach Gstaad verschlagen?
In den 80er-Jahren bin ich per Zufall nach Gstaad gekommen, als ich als Student für die argentinische Fussball-Nationalmannschaft gearbeitet habe. 1978 war Argentinien Weltmeister geworden, ein Jahr später spielte es in einem Freundschaftsspiel im alten Wankdorfstadion gegen Holland. Vorgängig zum Spiel war ich eine Woche lang durch die Schweiz gereist und hatte hier meine heutige Frau Elsi Frautschi kennengelernt.

Sind sie sofort im Saanenland geblieben?
Nein, wir waren zwar sehr verliebt, aber sehr jung. Erst zwanzig Jahre später haben wir dort angeknüpft, wo wir damals, ich war 21-jährig, aufgehört hatten. Man darf nicht vergessen, dass die Kommunikationstechnik zu der Zeit noch in den Kinderschuhen steckte.

Und doch sind Sie jetzt hier …
Auf einer weiteren Europareise, 1995, haben Elsi und ich uns wiedergesehen und seit 21 Jahren lebe ich nun in der Schweiz. Der Beginn war eine Herausforderung: die Sprache, die Anerkennung meines Berufs, das Kennenlernen der neuen Kultur. Vor allem wenn man bedenkt, dass ich aus der 20-Millionen-Metropole Buenos Aires stamme. Ich sage aber immer, wenn man den Willen hat, dann erobert man die Berge.

Sie haben schon mit einigen berühmten Sportlern gearbeitet. Wie kam es dazu?
Meine Leidenschaft ist seit jeher der Sport. Was im Saanenland der Skisport ist, ist in Argentinien der Fussball. Ich war schon während der Ausbildung in Kontakt mit gleichgesinnten Sportmedizinern, Traumatologen, Orthopäden und Therapeuten. Wenn man sich auf diesen Bereich spezialisiert, kommen die Sportler fast wie von alleine. Erst vor allem Fussballer, danach auch andere.

Welche Sportgrössen waren bei Ihnen in Behandlung?
Etwa vor acht Jahren kam ich in Kontakt mit der Mountainbike-Ikone Thomas Frischknecht. Er ist der Gründer des Scott-Odlo-Teams, in dem Nino Schurter Leader ist. Ich war während rund fünf Jahren fix im Betreuerteam.

Wieso sind Sie heute nicht mehr dabei?
Hier in Gstaad betreibe ich auch noch meine Praxis. Manchmal war es zeitlich schwierig, alles unter einen Hut zu bringen, denn wenn man mit dem Racing-Team unterwegs ist, ist man rund das halbe Jahr von zu Hause weg. Jemanden in meiner Praxis anstellen wollte ich aber nicht, weil ich meine Patienten gerne selbst behandle und weil die Behandlung auf einem Vertrauensverhältnis beruht.

Werden Sie bei der Mountainbike-Weltmeisterschaft in Lenzerheide als Zuschauer dabei sein?
Für spezielle Anlässe wie diese bin ich noch immer als Betreuer vor Ort.

Vertrauen auch lokale Leistungssportler auf Ihre Fähigkeiten?
Absolut. Mike von Grünigen oder sein Sohn Noel kommen zum Beispiel zu mir.

Haben Sie Angebote auch ausgeschlagen?
Einmal war Ancillo Canepa, Präsident des FC Zürich, hier im Hotel. Als er erfuhr, dass ich für die argentinische Fussballmannschaft gearbeitet hatte, wollte er mich im Betreuerteam des Clubs haben. Da ich mich inzwischen mit vielen anderen Sportarten auseinandergesetzt hatte, interessierte es mich nicht mehr.

Gab es auch andere Gründe?
Wenn ich ehrlich bin, war es vor allem die Distanz nach Zürich, die mich abgehalten hat.

Ist der Praxisraum in einem 5-Sterne-Hotel eine Hemmschwelle für die Einheimischen?
Am Anfang schon, jetzt aber nicht mehr. Die Durchmischung der Patienten finde ich toll und spannend, denn ich behandle alle Berufsgattungen: Landwirte, Hausfrauen, Sportler und Manager. Ich habe auch in der Zwischensaison offen, wenn das Hotel gschlossen ist – ausser, wenn ich in den Ferien weile (lacht spontan).

Was unterscheidet Ihr Heimatland Argentinien von Ihrer neue Heimat am meisten?
(Ein grosser Seufzer) Haben Sie zwei Monate Zeit? (lacht) Aus der medizinischen Sicht sind alle Menschen anatomisch gleich aufgebaut. Die Kreuzbandrisse beispielsweise sehen auf der ganzen Welt ähnlich aus. Trotzdem habe ich noch nie zwei Menschen gleich behandelt, weil es auf die Seele des Menschen ankommt, wie man vorgeht. Dafür braucht man intakte Sinne, die man unter Berücksichtigung der kulturellen und sozialen Aspekte einsetzen muss. Trotzdem möchte ich noch etwas über Argentinien sagen. 70 % der Fläche sind Berge, es wurde um 1200 besiedelt und hatte durch die Not während der Weltkriege in Europa immer sehr viele Immigranten. Das merkt man auch an meinem Namen. Knop tönt nicht sehr argentinisch, aber ich bin inzwischen argentinisch-schweizerischer Doppelbürger.

Wo fühlen Sie sich jetzt zu Hause?
Ich glaube, ich kenne die Schweiz viel besser als viele Schweizer. Beim Einbürgerungsgespräch in Saanen kam das sehr gut heraus, als ich den Behördenvertretern eine Geografiestunde gegeben habe. Ich lernte die Schweiz auf dem Velo kennen, das gibt profunde Kenntnisse.

Vermissen Sie die Stadt nicht?
Mit der heutigen Kommunikationstechnologie bin ich immer mitten im Geschehen. Ich vermisse hier nichts. Was mir sehr gut gefällt, ist, dass man sich kennt. In Buenos Aires könnte ich 40 Jahre lang denselben Arbeitsweg zu Fuss gehen und niemand würde mich grüssen.

Sie selbst waren passionierter Fussballer.
Das stimmt, ich hatte grosse Freude am Sport, an den Matches, dem Austausch mit den Kollegen und den anderen Mannschaften, aber das Talent reichte nicht für eine professionelle Karriere.

Wie wichtig ist Sport für das Allgemeinwohl?
Ich erlebe die negativen Seiten der Zivilisation: Bewegungsmangel führen zu Zuckerkrankheiten, Übergewicht und Schlaganfällen. Die Situation ist vor allem in den grossen Agglomerationen alarmierend, das beweisen auch repräsentative Statistiken.

Welche Art von Bewegung verbieten Sie Ihren Patienten?
Wenn man mit der Bahn auf den Berg fährt, dort zu viel und zu ungesund isst und danach hinunterspaziert. Das ist ungesund für die Knie und gibt Arthrose – dafür ist unser Körper nicht gebaut. Besser ist es, wenn man auf den Berg hinaufläuft und mit der Bahn hinunterfährt.

Das könnte für einige aber zu anspruchsvoll sein …
Es gibt verschiedene Schwierigkeitsgrade, die man wählen kann. Man darf sich nicht überfordern.

Wie stehen Sie zum Radfahren?
Das ist aus meiner Sicht die perfekte Form von Therapie, weil es Gleichgewichtübungen mit Kraft- und Konditionstraining verbindet. Ich finde die Entwicklung von Elektrovelos sehr interessant. Es ist nicht nur ein Spielzeug, sondern ein medizinisches Gerät.

Aber?
Aber es fehlt eine professionelle Beratung. Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe der Veloverkäufer ist, mit den Käufern gemeinsam Touren zu fahren und ihnen alles zu erklären. Doch ich finde, dass es mehr medizinisch ausgebildete Personen bräuchte, welche solche Touren anbieten. Sie sollen aufzeigen, mit welcher Unterstützung sie fahren sollten, damit ihr Kreislauf optimal trainiert wird.

Das Elektrovelo hat mit den vielen Unfällen auch Schattenseiten.
Ich rede nicht von den Pendlern, welche das Fahrrad als Autoersatz brauchen, um damit grosse Distanzen im dichten Verkehr zurückzulegen. Ich spreche von den E-Mountainbikes, mit denen man ins Gelände geht. Bei denen gibt es wenig Unfälle.

Bieten Sie Therapien auf dem Fahrrad an?
Ja, genau. Wenn immer es geht und uns genug Zeit zur Verfügung steht, bin ich mit den Patienten für eine medizinische Trainingstherapie auf dem Rad.

Was sagen Sie zu den modernen Übungsformen im Kraftraum?
Dagegen bin etwas kritisch eingestellt, weil man an diesen Geräten passive Behandlungen macht. Zwar aktiviert man damit eine bestimmte Zielmuskulatur, aber der menschliche Körper ist viel komplexer. Auch das Gleichgewicht, die Koordination und Kondition müssen trainiert werden. Mit dem Training in der Natur sind all diese Möglichkeiten gegeben. Gleichzeitig kann man die Aussicht geniessen.

Was macht Ihnen bei der Schweizer Bevölkerung am meisten Sorgen?
Dass jedes fünfte Kind übergewichtig ist, heisst auch, dass sie früher oder später mit Zuckerkrankheiten zu tun haben werden. Das ist eine grosse Hypothek, welche die Schweiz teuer zu stehen kommen wird.

Wie könnte man dem begegnen?
Wichtig sind die Bewegung und die Ernährung. Nur Cervelat und Brot können nicht gesund sein. Es müssen viel Gemüse und Früchte auf dem Speiseplan stehen. Am besten ist, wenn man den Schul- oder Arbeitsweg zu Fuss oder mit dem Velo bewältigt, dann hat man die Bewegung bereits in den Alltag eingebaut.

Wir leben in einer leistungsorientierten Gesellschaft.
Ja, das spüre ich auch in der Praxis. Es gibt einige Eltern, die denken, sie hätten einen kleinen von Grünigen zu Hause. Manchmal werden die Kinder gar nicht gefragt, ob sie am Leistungssport Freude haben, sondern werden dort hineingestossen.

Kann man in der Physiotherapie das körperliche vom mentalen Training trennen?
Diese Frage darf man gar nicht stellen, weil sie untrennbar sind. Eine Verletzung hat nämlich immer auch einen grossen Einfluss auf das soziale Leben. Wenn jemand hinkt oder einen Arm in einer Schlaufe hat, fällt das auf. Bei Profisportlern ist das noch viel extremer, denn jeder Mensch hat ein Schmerzgedächtnis, das es bei der Wiederaufnahme des Trainings zu überwinden gilt.

Gibt es Menschen, welche die Übungen nie machen und deshalb nicht gesund werden?
(Verdreht die Augen) Ich muss immer analysieren, ob ein gewisses Burnout oder Depressionen im Spiel sind, welche diese Reaktionen auslösen. Das ist manchmal ein bisschen schwierig, weil ich genau das Gegenteil bin, übersprühend und lebenslustig.

In welchem Fall hatten Sie besonders viel Freude an der Genesung eines Patienten?
(Überlegt lange) Es gibt sehr viele Erlebnisse, besonders schön war einmal, als eine 85-jährige Dame aus Lauenen mir eine Trockenwurst schenkte, weil sie schmerzfrei war. Das war wie eine Goldmedaille. Aber auch als Nino Schurter Weltmeister wurde und mir danach das Trikot schenkte.


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