«Take Me Home, Country Roads»

  11.09.2018 Gstaad

Erinnern Sie sich an 1988? Otto Stich ist Bundespräsident der Schweiz. In Frankreich setzt sich Präsident François Mitterrand mit 54 Prozent der Wählerstimmen gegen Jacques Chirac durch. Céline Dions Sieg ist der zweite und bis heute letzte Sieg der Schweiz beim Eurovision Song Contest. In der Hitparade finden sich die «Erste Allgemeine Verunsicherung» mit «Küss die Hand, schöne Frau», Eddy Grant mit «Gimme Hope Joanna» und Michael Jackson mit «Dirty Diana». Es gibt Computer der folgenden Marken: Amstrad, Apple, Atari, den Commodore-264, von IBM und NEC. Seit 1987 gibt es Natel-C, das neue Autotelefonnetz der Schweizer PTT und als Gerät dafür das Motorola DynaTAC 8000X, das fast ein Kilogramm wiegt. West-Berlin wird von Ost-Berlin von einer Mauer getrennt und Russland heisst Sowjetunion. Das Wichtigste an 1988 ist aber, dass ein Jahr später die Country Night Gstaad geboren wird, welche dieses Jahr die 30. Ausgabe feiern kann.

THOMAS RAAFLAUB
1989 standen Loretta Lynn, Conway Twitty, The Forester Sisters, Stella Parton, Vernon Oxford und J.G. Duke auf der Bühne ... und Brett Young war neun Jahre alt. Am letzten Freitag war er es, der mit einer «brandneuen» Show den Abend beschloss: «Ich habe mir dafür nicht Nashville, nicht London, sondern Gstaad ausgesucht.» Das Publikum wusste diese Geste zu schätzen und durfte zusätzlich während des ersten Songs die Hand des Kaliforniers schütteln. In Los Angeles lernte er als Teenager Gitarre spielen. Hauptsächlich war er während seiner Schulzeit aber ein erfolgreicher Baseballspieler, der wegen einer Ellbogenverletzung die Sportkarriere beenden musste. In seinem ersten Auftritt in der Schweiz spielten er und seine Band temporeichere und rockigere Musik, als man bisher von ihm gewohnt war. Dies gepaart mit den leicht zugänglichen Melodien, die Brett Young auf seinem Debütalbum auszeichnen. Er erreichte damit Platz 18 der Albumcharts und Platz 2 unter den Country-Alben. Das Lied «In Case You Didn’t Know» wurde ein weiterer Top-10-Hit in den Country Charts. Es wurde mit Platin ausgezeichnet (was einer Million verkaufter Einheiten entspricht).

In Gstaad überzeugte er mit seiner Musik nicht nur die Jugend und die Frauen, sondern auch ältere Semester, die sich bei einem langsamen Stück im Paartanz übten – mit gutem Erfolg.

Multitalente: «Midland»
Mit «Midland» stand eine der besten US-Gesangsgruppen des Jahres auf der Bühne. Die Band setzt sich aus Mark Wystrach (lead vocals), Cameron Duddy (bass, background vocals) und Jess Carson (lead guitar background vocals) zusammen und wollte man ihre Musik in eine Schublade stecken, dann wäre es diejenige der neotraditionalistischen Country-Musik. In Gstaad verbreitete «Midland» von Beginn weg Fröhlichkeit und gute Laune. Die unbeschwerte Reise durch viele Musikstile und -genres – von Country, über Honky Tonk, Blues, Soul, Rhythm and Blues bis zum Rock ’n ’Roll – war mitreissend. Die vielen A-capella-Einlagen wurden vom Publikum begeistert applaudiert. Mark Wystrach wusste, wie man Stimmung macht: Er suchte den Kontakt zu den Menschen, sprach einige Sätze auf Deutsch und spazierte singend durch die Sitzreihen. Er ist von Musik umgeben aufgewachsen, denn seine Eltern waren sehr musikalisch. Sein Vater spielte R & B und Rockmusik. Vor der Gründung von «Midland» war Wystrach Schauspieler und Model. In der letzten halben Stunde des Konzerts riss die Band das Publikum von den Stühlen. Während auf der Bühne der Schlagzeuger Saxofon spielte und danach auch noch sang, während der Leadgitarrist sein Solo spielte, tanzten alle im Zuschauerraum zu den schwungvollen Rhythmen von «Midland». Die Band ist nach dem Dwight-Yoakam-Song «Fair to Midland» benannt. Mark, Jeff und Cameron kamen im August 2013 in Jackson Hole, Wyoming, für Camerons Hochzeit zusammen. Nach gemeinsamem Singen auf der Veranda von Carsons Hütte entschieden sie sich, eine Band zu gründen. In Gstaad entschied sich das Publikum für einen riesigen Schlussapplaus für «Midland».

Frauenpower: Maddie & Tae
Maddie & Tae verkörperten vor dem Auftritt der Boys von «Midland» mit ihrer Show «Girl Power Spirit», was vielleicht mit «Temperament starker Frauen» übersetzt werden könnte. Das weibliche Duo aus Texas und Oklahoma, das seine Debütsingle 2014 auf Platz 1 der Country Charts brachte, gewann 2016 auch den «Radio Disney Music Award». Die beiden jungen Frauen sprachen mit ihrer Musik besonders das junge Publikum im Gstaader Festivalzelt an. Am Freitagabend lief ihr Konzert nicht nach Plan: Der Mann am Bass lag mit einer Verletzung im Spital und die technische Ersatzlösung funktionierte schlecht. Wer hören wollte, wie Maddie & Tae wirklich tönen, der musste am Samstagabend im Zelt sein. Was dort zu hören war, ist keine traditionelle Country-Musik. Sie ist aber besonders von den Texten her von der Country-Musik inspiriert. Es geht Maddie & Tae darum, Träume zu verwirklichen und sich nicht von Schwierigkeiten auf dem Weg davon abhalten zu lassen – so wie es im Refrain des Liedes «Fly» heisst: «So keep on climbing, though the ground might shake. Just keep on reaching though the limb might break.»

Musikalische Überflieger: Krüger Brothers
Eine Frage: Ist das Zelt jemals so voll gewesen am Anfang des Abends wie beim Auftritt der Krüger Brothers? Die beiden Brüder mit dem Bassisten füllten das Festivalzelt mühelos mit ihrer Musik und die Sitzreihen mit begeisterten Zuhörerinnen und Zuhörern. Diese genossen die ausgewogene Mischung der vorgetragenen Musikstile – variantenreich, virtuos, ein faszinierender Dialog zwischen Instrumenten und Stimmen, ein akrobatisches Turnen in Tonleitern und Harmonien. Die Musik der Krüger Brothers ist ein hervorragendes Mittel gegen Schwermut und Traurigkeit und sollte in der Schweiz als Medikament zugelassen werden … Ursprünglich aus der Schweiz, was bei der Begrüssung und dem Bluegrass-Song auf «Züridütsch» nicht zu überhören war, zogen Jens und Uwe Krüger später nach Wilkes County, North Carolina. Schon früh begannen sie, nordamerikanische Volksmusik zu spielen und wurden besonders von Aufnahmen von Doc Watson, Flatt und Scruggs, Bill Monroe und anderen Vorfahren der Country-, Bluegrass- und Volksmusik inspiriert. Heute wagen sie sich auch in Themen und Formen der klassischen Musik vor, wie es an ihrem Auftritt in Gstaad gut zu hören war. Vor zwanzig Jahren haben sie mit einem Koffer und einer Gitarre die Schweiz verlassen, nun sind die musikalischen Überflieger zurück in die Schweiz und nach Gstaad gekommen – mit einem Koffer und einer Gitarre. Wer sie verpasst hat, kann am Sonntag, 7. Oktober eine Aufzeichnung ihres Konzertes auf SRF1 hören – zusammen mit weiterer Musik der 30. Country Night.

Musikalische Heimat: Country Night Gstaad
In dreissig Jahren ist die Country Night Gstaad für mich zu einem Stück Heimat geworden. Dies betonte auch Marcel Bach in seiner kurzen Ansprache. Die Country-Musik ermögliche einen Blick zurück zu unseren musikalischen Wurzeln, erlaube eine Rückkehr in eine musikalische Heimat, in der Respekt gegenüber anderen Menschen, gegenüber anderen Meinungen noch etwas zähle und wo der Sieger dem Verlierer – wie im Schwingen üblich – das Sägemehl von den Schultern wische. Da sei es gut zu wissen, dass es diese Heimat gebe in einer immer verrückteren Welt, sagte Marcel Bach. Und es ist gut, dass uns diese Heimat niemand nehmen kann: «Take Me Home, Country Roads!» www.countrynight-gstaad.ch


Marlyse Grundisch:  Fan von Hansi Hinterseer

Die Country Night Gstaad ist ein Anlass, an dem man ganz besondere Leute treffen kann: zum Beispiel Marlyse Grundisch. Sie hat Hansi Hinterseer auf einem dreitägigen Ausflug kennengelernt – mit Hunderten anderer Romands und Franzosen, die mit Bussen nach Österreich gekommen waren, um unter anderen Frédéric François zu hören – drei Abende, drei Konzerte – und um ein wenig Ferien zu machen. Damit Einheimische zu den Konzerten kamen, trat auch Hansi Hinterseer auf und seither ist Marlyse Grundisch ein Fan des Österreichers. Deshalb hat sie am Sonntag das Konzert des Schlagerkönigs besucht, das vor ihrer Haustüre stattfand. Übrigens: Marcel Bach und Hansi Hinterseer sind seit langem Freunde und wer sie gerne zusammen sehen möchte, der geht in die «Tenne» nach Kitzbühel, wo Hansi und Marcel jeweils gemeinsam frühstücken.

THOMAS RAAFLAUB


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