«Hier bin ich in den Ferien»

  12.10.2018 Interview

ROGER SEIFRITZ IM INTERVIEW

Vor bald acht Jahren zog es den ehemaligen Tourismusdirektor von Gstaad, Roger Seifritz, nach Bern. Im Interview erzählt der Reka-Direktor, was an der Lenk geplant ist und dass das Konzerthaus Les Arts Gstaad eine grosse Chance für das Saanenland ist.

BLANCA BURRI

Roger Seifritz, als Sie den Posten als Tourismusdirektor von Gstaad Saanenland Tourismus aufgaben, wollten Sie hoch hinaus. Sie träumten vom Gleitschirmpilotbrevet. Haben Sie sich diesen Traum erfüllt?
Nein, das habe ich nicht, weil meine Woche einfach zu wenig Tage hat. Ich bin sehr gerne in den Bergen unterwegs, aber ich steige nicht gerne vom Gipfel ins Tal.

Sie wollten Ihre Knie schonen und ins Tal fliegen?
Ja, genau. Inzwischen habe ich durch Gespräche mit ähnlich Gesinnten aber festgestellt, dass man den schweren Gleitschirm oft wieder ins Tal trägt, wenn die Windverhältnisse ungünstig sind. Ausserdem habe ich schon von einigen Unfällen gehört, wenn die Piloten ein zu grosses Risiko eingegangen und trotz unsicheren Bedingungen geflogen sind. Das sind auch die Gründe, weshalb ich das Brevet nie in Angriff genommen habe.

Inzwischen leiten Sie seit bald acht Jahren die Schweizer Reisekasse. Wie gefällt es Ihnen in Bern?
Gut! Es ist spannend! Die Themenvielfalt bei der Reka ist sehr breit und abwechslungsreich.

Entspricht es Ihnen, in der Stadt zu leben?
Mein Lebensmittelpunkt ist noch immer in Saanenmöser. Ich habe in Bern zwar eine Wohnung, fahre aber immer erst am Montagmorgen hin. Meist komme ich unter der Woche auch einmal ins Saanenland. Meine Freizeit verbringe ich somit im Saanenland. Natürlich habe ich während diesem Hitzesommer nach Feierabend ab und zu ein Bad in der Aare genossen, aber vom Angebot, das Bern bietet, nehme ich sehr wenig in Anspruch.

Was ist einfacher: die Reisekasse zu führen oder Tourismusdirektor zu sein?
Es ist beides anspruchsvoll. Als Tourismusdirektor führt man einerseits ein kleines KMU-Unternehmen, was an und für sich einfach ist. Man hat darüber hinaus aber eine weitere Funktion, die mit vielen sich zum Teil widersprechenden Erwartungen und Vorstellungen von Ansprechpartnern für Leistungsträger und weiteren Anspruchsgruppen verknüpft ist. In dieser Hauptaufgabe kann man nur koordinierend wirken und Einfluss nehmen, weil man keine Entscheidungsgewalt hat. Ich empfand diesen Teil meiner Arbeit als komplex und anspruchsvoll.

Was ist bei der Reka anspruchsvoll?
Die Breite der Themen und die Grösse des Unternehmens. Das Unternehmen macht 100 Millionen Franken Umsatz pro Jahr und es beschäftigt 700 Mitarbeiter. Durch Reka-Geld sind wir Teil der Finanzdienstleistungsbranche, mit den Reka-Dörfern aber auch im Feriensektor tätig. Was mir gut gefällt, ist, dass man in einem Unternehmen im Gegensatz zum Tourismusdirektor die meisten Entscheidungen selbst treffen kann und Resultate direkt sieht (schmunzelt) .

Bisher haben Sie wahrscheinlich gut entschieden, sonst wären Sie wohl nicht mehr auf diesem Posten …
Schon, aber die Veränderungen durch die Digitalisierung in der globalen Wirtschaft sind enorm. Da ist nichts in Stein gemeisselt. Es gibt x Branchen, welche verschwinden, weil es sie einfach nicht mehr braucht, das stimmt mich nachdenklich. Die grossen Fotofilmhersteller wie Kodak etc. haben in ihrer Blütezeit bestimmt nie daran gedacht, dass es ihr Kerngeschäft, die Filmherstellung, irgendeinmal nicht mehr braucht.

Was machen Sie, damit es der Reka nicht gleicht geht?
Wir befassen uns damit und geben Gegensteuer. So sind z.B. drei Viertel unseres Verkaufsgeschäftes im Ferienbereich inzwischen digital. Mit Reka-Geld 3.0, das vor ein paar Monaten live gegangen ist, haben wir die Fähigkeit erworben, im digitalen Zahlungsmarkt selber Issuer, Acquirer und Processor zu sein. Damit können wir z.B. selber neue Zahlungsmittelprodukte entwickeln. Wir sind aber auch eine Genossenschaft mit 80 Jahren Geschichte und entsprechenden Erwartungen unserer Kunden. Wir können nicht einfach unsere Wurzeln verlassen. Dies ganz im Gegensatz zu Start-ups, die sich eine Nische aussuchen und sich in diesem Bereich profilieren können, ohne dass es einen Rucksack mitzutragen gilt.

Was ist bei Reka die grösste Herausforderung?
Herausfordernd ist heute nicht eine spezielle Herausforderung, sondern die Summe der Herausforderungen! Die Digitalisierung ist natürlich zentral. Aber zum Beispiel auch der starke Franken war in den letzten Jahren ein grosses Thema. Oder uns beschäftigt die Finanzmarktregulierung, weil es wegen der Bankenkrise 2008 Kollateralschäden gibt, welche nun auch uns betreffen. Aber auch Entwicklungen wie Harmos gehört zu den Herausforderungen.

Was hat Harmos mit Reka zu tun?
Durch die Angleichung des Schulsystems an inzwischen alle grossen Kantone werden die Kinder bis zu zwei Jahre früher eingeschult. Familien sind für unsere familienfreundlichen Ferienanlagen die Hauptzielgruppe. In der Hauptreisezeit könnten wir die Wohnungen somit an den meisten Standorten zwei- bis dreimal vermieten, dafür sind sie nun vermehrt in der Nebensaison schlechter ausgelastet. Somit müssen wir neue Gästesegmente ansprechen.

Welche neuen Zielgruppen bearbeiten Sie, um die Ferienwonhnungen auch in der Zwischensaison zu belegen?
Wir erweitern unsere Zielgruppe. Zu uns passen natürlich primär Leute, welche unser Angebot bereits kennen, weil sie als Kind oder Eltern bei uns waren. Wir verfügen hier über ein grosses Kundenpotenzial, das es noch besser zu nutzen gilt. Hinsichtlich Lebensphase stehen hier Paare im Vordergrund, deren Kinder ausgeflogen sind. Wir stecken mitten in einem Investitionsprogramm, um den Bedürfnissen dieser Zielgruppe noch gerechter zu werden.

Können Sie das genauer erklären?
Traditionell vermieten wir Wohnungen in Ferienanlagen, die ein Gesamtangebot mit besonderem Nutzen für Familien beinhalten, z.B. betreffend der Einrichtung oder Kinderbetreuung. Familien agieren dabei als Selbstversorger, d.h. sie kochen und reinigen selber. Familien werden auch in Zukunft unser Kerngeschäft bleiben. Für eine erweiterte Zielgruppe gilt es aber zusätzlich hybride Hotelleistungen anzubieten.

Was sind hybride Leistungen?
Im Gegensatz zu Familien entstehen zusätzliche Bedürfnisse. Es gibt ein bedeutendes Gästepotenzial, das den Komfort einer eigenen Wohnung statt eines Hotelzimmers spezifisch wünscht, aber auch bestimmte Erwartungen an die Dienstleistungen hat. Das sind z.B. ein Frühstückbuffet, die Raumpflege oder Animationsangebote wie Bikevermietung und geführte Touren. Gäste buchen sodann ein Basispaket, das sie mit Zusatzleistungen ihrer Wahl ergänzen. Zusätzlich investieren wir ins Thema Wohlfühlen. An der Lenk sind zum Beispiel ein kleiner Wellnessbereich und ein Innenpool, aber auch ein grosszügiger Aussenbereich mit einer schönen Terrassen- und Gartenanlage geplant.

Haben Sie in diesem Bereich bereits Erfahrungen gesammelt?
Ja, das Reka-Feriendorf Zinal haben wir letztes Jahr nach einer Renovation und Erweiterung weitgehend nach dem angepassten Konzept eröffnet.

Wie ist es bei den Gästen angekommen?
Sehr gut. Die Auslastung konnten wir um 30 % steigern, zum Teil mit neuen Kunden. Zusätzlich sind die Preise, die wir realisieren können, besser!

Reka wird an der Lenk 30 Mio. Schweizer Franken investieren. Was genau ist geplant?
Ein Ersatzneubau der sechs bestehenden Häuser. Wir investieren mehr in sogenannte Gemeinschaftsräume und Wohlfühlflächen. Zudem enthält die Anlage einen auf unsere Bedürfnisse ausgerichteten Wellnessbereich. An der Lenk sind neben Ferienwohnungen auch ein paar Doppelzimmer geplant – total 58 Wohneinheiten mit etwa 300 Betten.

Wie weit ist das Projekt?

Die Überbauungsordnung läuft, wobei die Mitwirkung bereits abgeschlossen ist. Wenn die Überbauungsordnung von der Behörde genehmigt worden ist, können wir das definitive Bauprojekt erarbeiten. Dieses soll Ende 2019 vorliegen.

Wie gross ist die Auslastung der Reka-Dörfchen im Durchschnitt?
2017 lag die durchschnittliche Belegung pro Ferienwohnung bei 194 Tagen. Die Tendenz ist wieder zunehmend. Unsere Ferienanlage-Spitzenreiter erreichen knapp 240 Belegungstage pro Wohnung. Über das ganze Unternehmen betrachtet, hat Reka eine Auslastung von durchschnittlich 70 % während der Öffnungszeiten von durchschnittlich 45 Wochen pro Jahr. Die 2016 erneuerte Reka-Résidence in Rougemont liegt z.B. 7 % über dem Vorjahr und 17 % über dem Schnitt vor dem Umbau. Die Hotels im Saanenland liegen bei 36 %.

Wann entsteht im Saanenland das erste Reka-Feriendorf?
Leider nie. Wir haben in Rougemont und an der Lenk unsere Standorte, dadurch dürfen wir uns mit einer Anlage in Gstaad nicht selber konkurrenzieren. In Rougemont generieren wir rund 8000 Übernachtungen pro Jahr, diese Gäste bewegen sich meist im Saanenland. Viele sagen, dass sie nach Gstaad in die Ferien fahren, obwohl sie in Rougemont wohnen.

Skywork war ein Partner von Reka. Was bedeutet das Grounding für Sie?
Skywork hatte einen regelmässigen Flug nach Elba. Nach dem Zwischenstopp auf der Insel ist sie nach Grosseto (Toskana) weitergeflogen, in die Nähe des Reka-Resorts «Golfo del Sole». Das Grounding betrifft also auch einige unserer Gäste.

Wie haben Sie auf das Grounding reagiert?
Wir haben keine Verluste gemacht, weil die Buchungen der Kunden direkt über Skywork erfolgt sind. Auch ich selber war betroffen, weil ich erst kürzlich in die Toskana gereist bin und schliesslich neu buchen musste.

Ob Sie in den Bergen unterwegs sind oder als Pilot im Flugzeug sitzen, Sie lieben die Vogelperspektive. Was sagen Sie aus diesem Blickwinkel zur Entwicklung von Gstaad?
Ich beobachte die Entwicklung nicht so genau. Ich nehme das Saanenland heute nur noch als Gast wahr. Das ist herrlich! Wenn ich im Saanenland bin, fühle ich mich wie in den Ferien. Deshalb bin ich dankbar, dass ich den Wohnsitz in Saanenmöser habe. Das war anders, als ich noch Tourismusdirektor war. Damals habe ich vor allem wahrgenommen, was noch nicht perfekt war. Ich wurde logischerweise auf der Strasse auch oft mit Anliegen konfrontiert.

Stimmt die Richtung, die Gstaad eingeschlagen hat, oder müsste man etwas ändern?
Grundsätzlich macht das Saanenland seinen Job gut. Das sieht man auch in den Zahlen. Es hatte in den vergangenen Jahren deutlich weniger Einbussen als andere Bergregionen. Mir fällt aber auf, dass noch immer überdurchschnittlich viel über die Bergbahnen diskutiert wird, aus meiner Sicht zu viel, weil der klassische Wintersport in Zukunft ein Auslaufmodell sein wird.

Einige wenige Destinationen werden sich in diesem Markt behaupten können.
Schon. Deshalb lohnt es sich, ein wohl kleineres, aber dafür sehr gutes Wintersportangebot aufrechtzuerhalten. Der Massentourismus im Wintersport wird künftig nicht in der Schweiz, sondern in Asien stattfinden. Dort entwickeln sich veritable Skidestinationen. Sie investieren Milliarden in Skiresorts und Bergbahnen, wovon auch die europäischen Bergbahnbauer profitieren. Sobald die Schweizer Babyboom-Generation ins Alter kommt und mit dem Skifahren aufhört, wird das leider einen massiven Einfluss auf die Wintersport-Gästezahlen in der Schweiz haben. Das ist heute schon feststellbar. Viele meiner Arbeitskollegen und Bekannten in Bern haben sich vom Thema Skifahren leider verabschiedet, sogar wenn sie im Tourismussektor arbeiten. Aus meiner Sicht wird in Gstaad heute zu viel Geld in das Thema Wintersport investiert. Der Fokus müsste verändert werden.

Was hat Gstaad in den letzten acht Jahren besonders gut gemacht?
Gstaad ist ein super Gastgeber. Ich bin gerne Gast und zahle hier auch gerne Steuern.

Wo hat Gstaad Potenzial?
Etwa bei Projekten wie Les Arts Gstaad! Nicht viele alpine Orte haben ein Kundenpotenzial, das einen Konzertsaal in dieser Qualität nutzen würde. Nicht nur das Projekt ist gut, Gstaad hat bereits ein bestehendes Publikum, das in der Region verankert ist. Die vorhandene Infrastruktur ist mehrheitlich auf diese Art von Gästen ausgerichtet. Aus meiner Vogelperspektive erfährt das Projekt nicht die Unterstützung, die es verdient und wie sie andere Infrastrukturen haben, z.B. Bergbahnen oder das Sportzentrum. Der Grund dafür ist mir natürlich schon klar: Im Schneesport gibt es viel mehr Einheimische, welche direkt damit verknüpft sind und deshalb indirekt als Anwälte für die Bergbahnen fungieren. Diese breite Unterstützung fehlt Les Arts Gstaad. Projekte dieser Art werden aber für die Zukunft von Gstaad nach dem vorhersehbaren Einbruch der Schneesport-Nachfrage relevant sein.

Wie wird Gstaad in Bern wahrgenommen?
Viele Leute, die ich in meinem Arbeitsumfeld kenne, kommen regelmässig nach Gstaad. Es sind Leute wie du und ich, ihnen gefällt die Authentizität und sie lieben es, dass die Region nicht überfüllt ist. Und natürlich hat das Saanenland auch das Renommee einer Luxusdestination.


BERN AIRPORT ODER GSTAAD AIRPORT?
Zweisimmen Airport! (Lacht) Dort ist das Flugzeug stationiert, mit dem ich jeweils fliege.

KURSAAL BERN ODER GSTAAD MENUHIN FESTIVAL?
Gstaad Menuhin Festival, im Kursaal bin ich jeweils nur für Businessverantstaltungen.

GSTELLIHORN ODER MATTERHORN?
Das ist schwierig. Ich bin zwar der Gstellihorn-Typ, weil man dort schöne Skitouren machen kann und es wenig Leute hat, ich mag aber höhere Berge lieber.

WELCHE DREI ANGEBOTE LIEBEN SIE IN GSTAAD?
Einen ruhigen Berg, wie den Giferspitz. Alles, was mit gutem Essen und Trinken zu tun hat – das geht im Saanenland hervorragend, weil es so viele tolle Restaurants und Angebote gibt, sogar im rustikalen Sektor, zum Beispiel das «Refuge» auf dem Glacier 3000. Ich finde auch die Veranstaltungen toll und besuche sie, wenn immer möglich.


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