Ein Kirchenjahr neigt sich dem Ende zu …

  26.10.2018 Kirche

MARIANNE AEGERTER
Die Blätter verfärben sich und fallen von den Bäumen. Der Himmel strahlt tiefblau über den Bergen. Schon ist das erste Mal Schnee gefallen … Eben noch blühten die Gärten in voller Farbenpracht und nun werden sie langsam erdenschwarz. Wenn wir aus dem Saanenland ins Unterland fahren, begegnen wir dem Nebel, der durch das Mittelland zieht. Langsam spüre ich, wie die Dunkelheit der kürzer werdenden Tage nach mir greift. Der Atem vereint sich mit der kühleren Luft. Die Welt dreht sich langsam ins Dunkle. Das Leben zieht sich zurück unter die Lichtkegel der Küchenlampen in den warmen Häusern.

Der Herbst ist da. Der Winter kündigt sich an. Ein Jahr unseres Lebens mit all seinen genutzten, aber auch ungenutzten Möglichkeiten, neigt sich im Licht der tief stehenden Sonne langsam dem Ende zu. Es ist gut, jetzt Menschen um sich zu haben, die uns Leben und Freude bringen. Es ist schön, fröhliche Kinder durch das Laub rascheln und toben zu sehen. Es ist schön, mit guten Freunden zu sitzen und Zeit zum Erzählen zu haben.

Und doch machen sich Herbstgedanken in der Seele breit. Inmitten des langsamen Vergehens draussen in der Natur erkennen wir uns selber als begrenzte und abhängige Geschöpfe. Wenn sich die Natur zum Winterschlaf bereit macht, führt uns dies unseren eigenen Weg in dieser Welt vor Augen: Wir stehen an den Gräbern unserer Lieben, die vor uns gegangen sind und müssen lernen, diese Grenze des Lebens zu akzeptieren. Nichts können wir für immer festhalten.

Jetzt ist die Zeit im November, in der jeder von uns zu sich selbst zurückkehrt und diesen Gedanken Raum gibt. Fragen werden laut in meinem Inneren: Worauf setze ich meine Hoffnung? Was trägt und hält mich in der reissenden Unruhe meines Lebens?

Diesen Gedanken, den offenen Fragen und dem Raum für Hoffnung trägt der letzte Sonntag im Kirchenjahr – der sogenannte Ewigkeitssonntag – Rechnung. Mit ihm schliessen wir das Jahr ab und beginnen mit dem ersten Advent neu. Aber woher kommt er eigentlich, dieser Ewigkeitssonntag?

Der Ewigkeitssonntag
1816 ordnete der preussische König Friedrich Wilhelm III. an, einen neuen Feiertag einzurichten – einen Tag, an dem man der Verstorbenen gedenken soll. Schon bald übernahmen auch die anderen protestantischen Landeskirchen diesen neuen Brauch – vor allem, weil nach den zwei Weltkriegen das Gedenken an die Toten noch einmal eine neue Bedeutung bekam. Heute heisst der Ewigkeitssonntag auch Totensonntag. In vielen Kirchgemeinden – wie auch der unsrigen – werden in diesem Gottesdienst die Namen der im vergangenen Jahr Verstorbenen verlesen. Wir beten für sie und ihre Angehörigen und entzünden zu ihrem Gedächtnis je eine Kerze.

Es ist ein Feiertag zum Abschiednehmen. Wir denken an die Menschen, die uns etwas bedeutet haben und von uns gegangen sind. Wir geben der urchristlichen Hoffnung Raum, dass es ein ewiges Leben gibt und Jesus Christus eines Tages wiederkehren und diese Welt – wie es so schön heisst – «vollenden» wird.

Interessanterweise gibt es weder in der Bibel noch in der christlichen Theologie klare und endgültige Aussagen darüber, was eigentlich nach dem Tod passiert. Martin Luther soll einmal gesagt haben: «So wenig die Kinder wissen im Mutterleib von ihrem Anfang, so wenig wissen wir vom ewigen Leben.»

Die Bilder aus dem Alten und Neuen Testament sind nicht so eindeutig, dass daraus ein klares Bild entwickelt werden könnte. Und doch steckt in ihnen die gute und verheissungsvolle Nachricht: Der Gott, der dich ins Leben gerufen hat, lässt dich auch im Sterben nicht fallen. Du brauchst keine Angst vor dem Tod zu haben. Der Tod ist nur eine Schwelle vom diesseitigen zum jenseitigen Leben – geborgen in der Präsenz Gottes. Ganz getreu den Jesuworten: «Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen und ich gehe jetzt hin, um euch dort einen Platz bereit zu machen.» (Joh 14.12)

Wie dieser Platz aussieht und was auf den Menschen jenseits dieser Schwelle, die der Tod im Leben bedeutet, wartet, darüber wird am Ewigkeitssonntag nachgedacht – voller Hoffnung und Zuversicht.

Und so kehren wir zurück zu den uralten Worten des 90. Psalms: «Gott lehre uns, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden.»

Dies heisst nichts anderes, als dass, wer sich mit der eigenen Begrenztheit und Endlichkeit auseinandersetzt, der wird klug. Und Klugheit hat im Alten Testament ganz viel mit Lebenstauglichkeit zu tun. Man könnte also sagen: Wer sich auf stimmige Weise mit diesen «letzten Fragen» auseinandersetzt, der lernt, wie man lebt.

Damit ergibt sich ein ganz befreiender Gedankengang: Wer darauf vertrauen kann, dass Leben mehr ist als irdischer Erfolg, der wird nicht nur sein Dasein viel gelassener und entspannter angehen. Er wird auch nicht dem Druck nachgeben, aus allem immer das Beste herausholen zu müssen. Ausserdem wird er angesichts des irdischen Endes den Wert des Lebens nie vergessen und die eigene Existenz nicht als selbstverständlich, sondern als Geschenk ansehen, das es zu behüten, zu pflegen und zu geniessen gilt.

Ewigkeitssonntag in der Kirchgemeinde Saanen-Gsteig
Am Ewigkeitssonntag wollen wir den Angehörigen unserer Verstorbenen des letzten Jahres zeigen, dass wir an sie denken und für sie da sind.

Aus diesem Grund versenden wir Anfang November Einladungsbriefe an die Hinterbliebenen zum Gottesdienst am Ewigkeitssonntag, 25. November 2018 in Gsteig oder Saanen. In diesem Gottesdienst entzünden wir für jeden und jede Verstorbene/n eine Kerze, die die Angehörigen anschliessend mit nach Hause nehmen oder auf das Grab stellen können. So tragen wir ein Licht in die Zukunft, das uns daran erinnert, dass wir die Zeit durch den Abschied nicht alleine gehen. Wir stehen als Gemeinde einander zur Seite und Gott bleibt bei uns.

Wir Menschen brauchen in der Hektik unserer Zeit den Platz und die Ruhe, um all diesen Gedanken und Gefühlen freien Lauf lassen zu können. Gott selber hält unser ganzes Leben, unsere Freude, unser Scheitern, das Elend, unser Triumphieren und Verzagen in seinen zärtlichen Händen. Nichts war vergeblich von dem, was wir verschenkt haben. Keine Träne und kein Lächeln geht verloren. Wir sind IHM wertvoll und seine grosse Liebe ist unser Leben. Und das so schmerzliche Vergehen, das Altern, das Abschiednehmen ist letztendlich der menschliche Weg, um alles loszulassen und in den Himmel hineinzuwachsen.

So versuchen wir, uns mit all unseren Fragen und Gedanken auf Gott zu verlassen. Wir legen vertrauensvoll alles in seine Hände, was uns bewegt.

Gottes Segen soll Sie durch die Tage des abnehmenden Lichtes tragen, damit Ihre Seele aufatmen kann. Gottes Segen möge Sie in Licht und Dunkelheit begleiten!


ZWEI HERZENSKAMMERN

Eines Tages begegnete ich einer alten Frau. Ihr Gesicht hatte Furchen, kreuz und quer. Über ihren Augen zogen sich traurige Linien zusammen, aber in ihren alten Wangen waren die Grübchen ihres Lachens geblieben. Sie schaute mich an und sagte: «In deinem Gesicht ist lauter Trauer. Deine Augen sind ohne Glanz und dein Mund ist hart geworden.»
«Ich bin in Trauer», sagte ich entschuldigend. Da sagte die alte Frau: «Richte in deinem Herzen zwei Kammern ein: eine für die Freude und eine für die Trauer. Kommt Trauer über dich, dann öffne die Kammer der Trauer. Kommt aber Freude über dich, dann öffne die Kammer der Freude.»
Und mit einem Lächeln fügte sie bei: «Den Toten ist es wohler in den Kammern der Freude.»

VON CHARLOTTE KNÖPFI-WIDMER


Auszüge aus Psalm 90 – nach der berndeutschen Übersetzung von Bietenhards

DER EWIG GOTT UND DER STÄRBLECH MÖNSCH

1 Es Gebätt vom Mose, em Gottesmaa.
2 Herr, du bisch üsi Zueflucht gsi dür alli Generatione.
3 Bevor d Bärge gebore sy und der Ärdbode sech i de Wehe het gchrümmt, bisch du, Gott, vo Ewigkeit zu Ewigkeit.
3 Du lasch der Mönsch zrügg ga i Stoub und seisch: Chömet ume, Mönschechinder!
4 Vor dir sy tuusig Jahr wi der geschterig Tag, wo verby isch, und wi d Zyt vo re Nachtwach.

5 Du sääisch sen uus, vo Jahr zu Jahr. De blüeje si uuf wi ds Gras:

6 Am Morge wachst es und blüeit, am Abe verwelkt’s und verdooret’s.

10 Sibezg Jahr duuret üses Läbä und we’s höch chunnt, syn es achzg. Und no ds Beschte drannen isch Büez und Chrampf. Im Chut geit’s verby, mir flüge derdüür.

12 Lehr üüs üsi Tage zelle, de bringe mir es Härz vo Wysheit hei.

13 Chumm wider zuen is, Herr – wi lang duuret’s no? Häb doch Erbarme mit dyne Chnächte!
14 Mach is am Morge satt mit dyr Gnad, dass mir üser Läbtig chöi juble und is fröie.
16 La dyni Chnächte la erläbe, wi du am Wärk bisch, und iri Chinder, wi herrlech du bisch.
17 D Güeti vom Herr, üsem Gott, söll üüs bhüete.


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