Kommt der grosse Börsencrash?

  19.10.2018 Wirtschaft

Diese Frage beantwortete letzten Mittwochabend der Kapitalmarktstratege Philipp Vorndran all jenen, die der Einladung zum Börsenbarometer 2018 der Saanen Bank ins Hotel Ermitage Schönried gefolgt waren.

ÇETIN KÖKSAL
Philipp Vorndran ist seit 2009 der Kapitalmarktstratege des Vermögensverwalters Flossbach von Storch und referierte bereits zum fünften Mal in Folge am jährlichen Börsenbarometer der Saanen Bank. Nach der Begrüssung der geladenen Gäste durch Dominique Huwiler, Leiter Private Banking und Vizedirektor der Saanen Bank, begann der Referent mit seinem Vortrag. Zur Beantwortung der Frage «Kommt der grosse Crash?» hinterfragte er drei schon oft gehörte Thesen.

Die drei Thesen
Die aktuelle Börsenhausse ist die längste aller Zeiten. Stimmt diese erste These überhaupt und warum ist diese Frage von Bedeutung? Je länger ein Börsenaufschwung oder -abschwung dauert, desto nervöser werden die Investoren. Das hat weniger mit den ökonomischen Fakten zu tun als mit menschlicher Psychologie. Dauert eine Hausse oder Baisse also länger als je zuvor, schwindet der Glaube der Marktteilnehmer an eine Fortsetzung dieses Trends, weil es noch nie vorher geschehen ist. Glauben jetzt viele Investoren, dass die aktuelle Hausse ihren Zenit erreicht hat, neigen sie viel eher dazu, ihre Wertpapiere zu verkaufen, und wenn viele verkaufen, sinken logischerweise die Börsenkurse. Im schlimmsten Fall will möglichst jeder sein Investment loswerden, was zu Massenverkäufen und schliesslich zu einem sogenannten Börsencrash führen kann.

Die Frage, ob wir uns momentan in der längsten Börsenhausse der Geschichte befinden, ist also durchaus von Bedeutung. Philipp Vorndran konnte sie eindeutig mit Nein beantworten. Der längste Börsenaufschwung dauerte von 1987 bis 2000 und der aktuelle begann 2008. Wir haben also noch zwei bis drei Jahre bis zum grossen Nervenflattern.

Stimmt denn die zweite These, die da behauptet, dass Aktien momentan generell zu teuer seien, und wie kann man dies denn überhaupt beurteilen? Die üblichste Methode ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis einer Aktie. Steigt der Aktienkurs überdurchschnittlich im Verhältnis zu den Dividenden, besteht die Gefahr einer Überbewertung, wobei man auch hier selbstverständlich differenzieren muss. Bewertet man nun beispielsweise die Amazon-Aktie nach diesem Kriterium, könnte man zum Schluss kommen, dass jene überbewertet sei. Warum sind die Amazon-Investoren nicht dieser Meinung? Weil sie wissen, dass Amazon sämtliche Gewinne reinvestiert, um so seine sehr ambitionierte Wachstumsstrategie voranzutreiben und dadurch seine Marktdominanz auszubauen. Der Investor glaubt also an den zukünftigen Erfolg von Amazon, kauft weiterhin Aktien und treibt damit den Kurs in die Höhe.

Sind denn nun generell die Aktien zu teuer? Nein, Philipp Vorndran belegte dies mit einer breit angelegten Analyse der Kurs-Gewinn-Verhältnisse, die noch als gesund bezeichnet werden dürfen.

Zu guter Letzt behandelte der Referent die grosse, immer wieder angekündigte, bis jetzt aber nicht eingetroffene Zinswende. Kommt sie oder kommt sie nicht, wenn ja wo, wann und wie stark? Um diese Frage beantworten zu können, holte Vorndran ein bisschen weiter aus und legte zuerst einmal dar, welche Ursachen überhaupt für die tiefen Zinsen verantwortlich sind. Sind es die Zentralbanken mit ihrer Tiefzinspolitik? Wenn ja, warum betreiben sie diese Politik? Zentralbanken beschliessen Zinssenkungen bei geringem oder negativem Wirtschaftswachstum und tiefer Inflation. Damit sollen Kredite günstig, Investitionen gefördert und somit das Wirtschaftswachstum angekurbelt werden. Wächst dann die Wirtschaft und steigt die Inflationsrate, erhöhen die Zentralbanken ab einem gewissen Zeitpunkt wieder sukzessive die Leitzinsen, um eine Überhitzung der Wirtschaft, einhergehend mit hoher Inflation, zu verhindern. Würde die Wirtschaft also in den Industrieländern zufriedenstellend wachsen, hätten die Zentralbanken die Zinsen längst erhöht, was im Übrigen in den USA in diesem Jahr in bescheidenem Ausmass auch geschehen ist.

Das gerade in Europa nicht stattfindende Wirtschaftswachstum ist der Hauptgrund für die noch immer tiefen Zinsen. Die enormen Staatsverschuldungen sind natürlich ein weiterer, gewichtiger Grund, denn es ist eine unerfreuliche Tatsache, dass einige europäische Länder bei einer Zinserhöhung ihrem Schuldendienst nicht mehr nachkommen könnten. Hoch verschuldete Staaten (und Private) haben infolgedessen kein Interesse an höheren Zinsen. In Europa werden die Zinsen deshalb in absehbarer Zeit nicht wesentlich steigen und in den USA vermutlich auch nicht mehr, denn die Administration Trump beschert dem Land ja auch einen ansehnlichen Schuldenberg, der bedient werden muss.

Echo aus dem Publikum und Fazit
Nach dem mit viel Herzblut vorgetragenen Referat von Philipp Vorndran beendete Simon Graa, Private Banking und Vizedirektor der Saanen Bank, den Vortragsabend mit einem Schlusswort und der Aufforderung zu lebhaften Gesprächen beim gemeinsamen Apéro. «Was denken Sie, hat Philipp Vorndran recht mit seiner Prognose?» Zusammenfassend darf man das Echo der Zuhörer und Anleger folgendermassen auslegen: Die grosse Begeisterung für Aktien teilen nicht alle so bedingungslos wie der Referent. Einig gehen sie wohl aber mit seiner glaubhaft widerlegten Prognose, dass ein Crash unmittelbar bevorsteht. Der grosse Börsencrash bedroht uns also nicht, noch nicht …


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