Es weihnachtet sehr …

  18.12.2018 Leserbriefe

Während sich die Nebelwolken meiner Narkose lichten (bei dieser Gelegenheit nochmal ein grosses Merci an die Belegschaft des Spitals Zweisimmen!), gehen mir teils weihnachtliche, teils wirre, aber auch weniger wirre und weniger weihnachtliche Gedanken durch den Kopf … und da die verantwortliche Pflegefachperson gerade meine Vitalwerte ohne Anzeichen grösserer Beunruhigung zur Kenntnis genommen hat, hole ich jetzt ein wenig Luft und bringe diese (die Gedanken, nicht die Pflegefachperson) zu Papier:

Wie die Fellachen sich seit Jahrtausenden auf das alljährliche Nilhochwasser freuen, freut sich das Saanenland jedes Jahr wieder auf die Flut der Gäste und man bricht sich ohne Rücksicht auf Verluste einen ab, um Gstaad zu dem zu machen, was die Gäste angeblich in ihm sehen wollen. Wenn ein Angestellter eines Chalets mit vier brechend vollen Einkaufswagen an der Kasse steht, wenn das Oberbort unter der Blechlawine der Handwerkerautos ächzt, wenn schwarzglänzende SUVs mit laufendem Motor und Swarovsky-Schneeketten die Trottoirs verstopfen und der Ordnungsdienst zunehmend resigniert, kann Weihnachten nicht mehr weit sein – apropos, ich habe ja noch gar keinen Adventskranz!

Flyer und Einladungen zu Apéros und Events blockieren Briefkästen und Entscheidungskraft, vor der Rütti-Pizzeria wird der mittlerweile vertraute bunte Wachmops durch einen noch weniger weihnachtlichen Chromstahl-Gorilla ersetzt, die Schneekanonen schneien, was das Zeug hält, die Saison steht vor der Tür …

Etwas anders kündet sich die Adventszeit in der Arztpraxis an. Der Vorweihnachtsstress treibt bei vielen Menschen bunte Krankheitsblüten, gegen welche die Grippeimpfung auch dieses Jahr nichts nützt. Alles pressiert noch mehr als sonst, Notfälle werden noch nötiger, Zeugnisse, Verordnungen und Rezepte noch dringender, die Gemüter der Patientinnen und Patienten lassen sich durch unsere Weihnachtsdekoration nicht besänftigen, wenn wieder Mal kein Termin möglich ist, die Nerven liegen blank, die unseres Personals ebenfalls, Tranquilizer können hier keine Lösung sein, bei Patienten nicht und erst recht nicht beim Personal.

Da kommt mir der Reminder im «GstaadLife» – im «Anzeiger» konnten wirs ja schon mal lesen – über die Zukunft der Gesundheitsversorgung in der Region grad recht: Innerhalb eines Jahres (inzwischen innerhalb von neun Monaten … ticktack …) wird eine Trägerschaft bestehen, die Finanzierung wird geklärt sein und man wird wissen, was und wo gebaut wird! Da muss ich unbedingt im Herbst mal nachfragen! Die im gleichen Artikel beruhigend gemeinte Äusserung, dass wir im Moment gut mit Hausärzten/innen versorgt sind, muss definitiv von einem Gesunden stammen und ist leider falsch. Wir können nämlich längst nicht mehr all diejenigen, welche ärztliche Hilfe suchen, wunschgerecht bedienen, wie gesagt, die Nerven liegen blank.

Auch die Hochglanzinserate des Hotels Ultima (die Rütti-Pizzeria gibts gar nicht mehr!), das nebst Spa auch eine «Clinic» anbietet, entschärfen die Versorgungslage leider nur hinsichtlich kosmetischer Notfälle. Unsere Bemühungen, von diesen Ärztinnen etwas Entlastung bei unserem Notfalldienst zu erhalten, wurden konsequent abgewimmelt.

Die hausärztliche Versorgungslage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Als Trost bleibt die wissenschaftlich gut belegte, und nebenbei sehr kostengünstige Tatsache – die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen hängt nämlich von Leistungserbringern und von Leistungsbezügern ab –, dass die Gesundheit von Bewegung und einem guten sozialen Netzwerk weit mehr profitiert als von Pillen und Ärzten.

In diesem Sinne: Pflegen Sie das Zwischenmenschliche, bewegen Sie sich, fragen Sie nicht gleich Ihren Arzt oder Ihren Apotheker, und wenn Sie bis jetzt noch nicht dazu gekommen sind, einen Adventskranz zu besorgen, probieren Sie es mal ohne! Fröhliche Weihnachten!

NICK HOYER, GSTAAD


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