Im Saanenland fehlen viele Fachkräfte

  15.02.2019 Wirtschaft

Fachkräftemangel ist ein Stichwort, das in der Region immer wieder fällt. Nicht nur im Gastgewerbe und im Tourismus, auch in diversen anderen Branchen fehlen Arbeitskräfte und geeignete Lehrlinge. Woran liegt das?

SABINE REBER
Im alten Hotel Viktoria in Gsteig wohnen neuerdings Angestellte des Gstaader Luxushotels Ultima Gstaad. Vor dem Haus stehen nun ältere Peugeots, Citroëns und Renaults mit französischen Nummernschildern. Auch beim Glacier3000 auf dem Parkplatz stehen in die Jahre gekommene Kleinwagen mit französischen Nummernschildern. Das sind die Autos der Angestellten.

Bernhard Tschannen, CEO Glacier3000, bestätigt: «Bei uns ist es oftmals ein Challenge, Fachkräfte aus der Region zu rekrutieren. Unsere Mitarbeiter kommen grösstenteils aus der Region Gstaad, der Westschweiz oder aus dem Grenzbereich in Frankreich.»

Auch bei den Bergbahnen Destination Gstaad (BDG) ist der Fachkräftemangel ein grosses Thema. Geschäftsführer Matthias In-Albon stellt immer wieder fest: «Besonders technische Fachkräfte sind schwierig zu finden. Wir bilden auch gerne Lehrlinge aus, aber die Nachfrage nach einer Lehrstelle ist klein im Seilbahnbereich.»

Immer zuerst in der Region suchen
In-Albon macht sich grundsätzliche Überlegungen zur Situation, die schon seit einiger Zeit besteht, und meint, theoretisch könnte man natürlich in Tschechien, Polen oder Slowenien Personal rekrutieren. Jedoch sieht er da ein grundsätzliches Problem: «Das entspricht nicht unserer Unternehmensphilosophie. Denn wir wollen volksnah und authentisch bleiben. Das käme bei den Gästen weniger gut an, wenn nur noch Osteuropäer hier arbeiten. Darum gilt bei offenen Stellen immer: Zuerst suchen wir in der Region, dann im ganzen Kanton Bern. Und danach in der übrigen Schweiz. Erst wenn wir gar niemanden finden, dann schauen wir notgedrungen nach Europa. Das ist derzeit in der Gastronomie der Fall. Besonders für die Küche ist es fast unmöglich, in der Schweiz geeignetes Personal zu finden. Auf dem Eggli haben wir nun die Lösung mit den Griechen gefunden. Sie kochen im Sommer in ihrer Heimat in Strandrestaurants, und dann passt es für sie gut, im Winter bei uns zu arbeiten. Davon profitieren beide Seiten.»

Einheimische sind heiss begehrt
David Schmid vom Gewerbeverein Saanenland weiss: «Auf dem Bau, im Detailhandel, überall fehlen gute Leute. Und das, obwohl wir eine attraktive Region sind! Wir hatten einige schwache Jahrgänge, umso mehr sind einheimische Arbeitskräfte heiss begehrt, besonders bei den Lehrstellen. Ich habe zum Beispiel jetzt einen Lehrling aus Adelboden – leider hatten wir in den letzten Jahren keine passende lokale Bewerbung. Die Leute kommen von überall her, um bei uns zu arbeiten.» Die meisten stammen nach wie vor aus Italien, Spanien und Portugal, aber Schmid weiss: «Jedoch gibt es heute fast so viele Osteuropäer, die bei uns Arbeit suchen. In den Chalets arbeiten auch viele, die von ausserhalb des europäischen Raumes kommen. Diese Arbeitskräfte reisen jeweils mit den Gästen mit.»

Genaue Zahlen hat der Gewerbeverein aber nicht, «das wird bei uns nicht statistisch erhoben, woher die Arbeitskräfte in allen Gewerbebetrieben kommen». Der Gewerbeverein ist insbesondere bemüht, mit den Lehrlingsbörsen auf offene, attraktive Lehrstellen in den Schulen oder anlässlich der im Herbst stattfindenden Gstaader Messe aufmerksam zu machen.

Mit Home Office überbrücken
Auch Richard Müller, Inhaber und Creative Director Müller Marketing & Druck, kann ein Lied singen über den Fachkräftemangel. Derzeit sucht er vor allem Polygrafen/Grafiker. Er erzählt: «Es gibt allgemein zu wenig Polygrafen, und der Fachkräftemangel ist in der ganzen Schweiz ein Problem. Bei uns in den Bergregionen verschärft es sich.» Gerade die Jüngeren hätten ein riesiges Bedürfnis, in Stadtnähe zu wohnen. Viele wollten zwar im Grünen leben, aber dafür maximal 30 Minuten Weg in die nächste grössere Stadt in Kauf nehmen, weiss Müller aus vielen Rekrutierungsgesprächen. Er sieht verschiedene Lösungsansätze, um trotzdem genug gute Fachkräfte zu finden: Bei Müller Marketing & Druck arbeiten nun einzelne Polygrafinnen im Home Office von daheim aus. So können sie den Alltag mit kleinen Kindern mit der Arbeit verbinden, und die räumliche Distanz ist kein Problem mehr. In einigen Bereichen lässt sich das aber nicht machen. Müller: «Zum Drucken muss man physisch vor Ort sein, weil die Druckmaschinen in unseren Räumlichkeiten stehen. Und ausserdem frage ich mich, ob zu viel Home Office auf die Dauer gut ist für das Sozialleben der Menschen. In dieser Hinsicht sind gewiss die Co-Working Spaces interessant, die nun in verschiedenen Städten entstehen.»

Umzüge und Umschulungen
Ein zweiter Ansatz ist, interessierte Leute aus anderen Berufen umzuschulen. Auch Wiedereinsteigerinnen auszubilden ist eine Option. Bei Müller Marketing & Druck werden so immer wieder Teilzeitstellen geschaffen. Auch der Lehrlingsausbildung kommt ein wichtiger Stellenwert zu. Richard Müller: «Wir haben derzeit vier Lehrlinge und tragen damit unseren Teil dazu bei, dass guter Nachwuchs nachkommt.» Ausserdem geht er nun einen weiteren neuen Weg, um Polygrafen zu finden – und hat erstmals in der Zeitschrift «Die Alpen» des Schweizerischen Alpenclubs (SAC) ein Stelleninserat platziert. Müller: «Vielleicht gelingt es uns auf diesem Weg, Menschen anzusprechen, die explizit in die Berge kommen und den Beruf mit ihren Privatinteressen verbinden möchten.»

Maurer haben gute Chancen
Auch auf dem Bau macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar. Ein Vertreter aus der Baubranche in Gstaad sagt gegenüber dem «Anzeiger von Saanen», manchmal melde sich schlicht gar niemand auf Inserate. Trotzdem würde man nur in der Region und höchstens bis nach Zweisimmen hinunter und ein Stück weit auf der welschen Seite suchen, denn «das Deplacement der Leute ist nicht so einfach.» Und im Ausland rekrutieren, das bringe schon nur von der Sprache und der unterschiedlichen Arbeitsweise her Probleme. Auch die Qualifikationen seien nicht die gleichen. Auf dem Bau sei es insbesondere auch schwierig, gute Lehrlinge zu finden, denn: «Viele wollen sich heute die Hände nicht mehr dreckig machen. Dabei hätten gerade Maurer beste Chancen für Weiterbildungen, sie können Vorarbeiter und Polier werden und es bis zum Bauführer bringen.»

In der Statistik erst ab drei Monaten
Die Arbeitgeber haben heute die Möglichkeit, online selber eine Arbeitsbewilligung zu beantragen, wenn die Arbeitsdauer weniger als drei Monate beträgt. Karin Würsten von der Gemeinde Gsteig sagt: «Alle diese Ausländer müssen sich nicht bei der Gemeinde anmelden.» Diejenigen Ausländer, die drei Monate bis 364 Tage pro Jahr in der Schweiz arbeiten, erhalten eine L-Bewiligung, gestützt auf einen befristeten Arbeitsvertrag. Sie müssen sich anmelden. Im Januar hatte Gsteig 21 Ausländer mit L-Bewilligung, alle kommen aus EU-Ländern. Würsten: «Die Hälfte von ihnen stammt aus Frankreich und Italien.» Ausserdem waren in Gsteig im Januar dieses Jahres 99 Ausländer mit Niederlassungsbewilligung C angemeldet, sowie 76 Ausländerinnen und Ausländer mit Aufenthaltsbewilligung B.

In Lauenen ist der Ausländeranteil etwas weniger hoch. Gemäss Gemeindeverwalter Hansueli Perreten sind derzeit total 733 Schweizer und 101 Ausländer angemeldet.

In der Gemeinde Saanen waren per 11. Januar 722 Kurzaufenthalter mit einer L-Bewilligung angemeldet. Thomas Bollmann von der Einwohnergemeinde Saanen: «Dazu kommen noch etwa 1800 Ausländerinnen und Ausländer mit länger gültigen Aufenthaltsbewilligungen hinzu. Bei einem grossen Teil davon handelt es sich ebenfalls um Personen, die wegen der Arbeit in die Schweiz gekommen sind.» Bollmann relativiert aber, in dieser Zahl seien auch Partnerinnen und Partner sowie Kinder mitgezählt.

Auch wenn diese Zahlen hoch erscheinen, es reicht noch lange nicht – und die Gewerbler aus den verschiedenen Bereichen sind weiterhin fleissig am Ausschauhalten nach guten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.


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