Was bedeutet ein harter Brexit für das Saanenland?

  12.02.2019 Wirtschaft

Bald ist es so weit: Die Briten werden voraussichtlich am 29. März die Europäische Union verlassen. Vieles über die Umstände und Folgen des EU-Austritts von Grossbritannien bleibt bis zuletzt ungewiss. Auch die Vor- und Nachteile für das Saanenland sind noch schwer abzusehen.

SABINE REBER
Das Einzige, was in nächster Zeit sicher ist, wird die Unsicherheit sein. Niemand in Europa weiss wirklich, was der Brexit für Folgen haben wird. Und auch in der Schweiz ist es schwer abzuschätzen, ob und in welcher Form wir den Austritt Grossbritanniens aus der EU zu spüren bekommen werden. Im Saanenland könnten sich für den gehobenen Tourismus eventuell sogar Vorteile ergeben. Denn ein Szenario könnte sein, dass manche sehr wohlhabende Kreise ihr Geld aus London abziehen und bei den Privatbanken in Genf anlegen werden. Wenn sie dort ihre Bankgeschäfte getätigt haben, gönnen sie sich dann vielleicht noch ein paar gemütliche Tage in Gstaad. Anderseits kann es auch sein, dass das Pfund gegenüber dem Franken soweit absinkt, dass Ferien im Saanenland dann für viele Engländer nicht mehr erschwinglich scheinen.

Unsicherheit schadet dem Tourismus
Tourismusdirektor Sébastien Epiney sieht das aber nicht allzu dramatisch. Im Gespräch mit dem «Anzeiger von Saanen» sagte er: «Die Briten machen rund fünf Prozent unserer Gäste aus. Diejenigen Familien, die schon seit Generationen ins Saanenland kommen und hier Häuser besitzen, werden sicher weiterhin kommen. Von dem her sehe ich das nicht allzu dramatisch. Die aktuelle Unsicherheit ist aber nicht förderlich für den Tourismus. Je nach Ausgang der Verhandlungen werden wir überlegen müssen, wie wir den Markt Grossbritannien weiterhin bearbeiten werden.»

Christof Huber, Präsident Hotelierverein Gstaad-Saanenland: «Wir haben nicht so viele englische Gäste wie andere Ferienorte im Berner Oberland. Dort werden die Hotels sicher viel stärker betroffen sein. Aber auch bei uns ist es so, dass die Briten wichtige Gäste sind.»

Man warte nun erst einmal ab und beobachte, ob es tatsächlich zu einem harten Brexit komme und wie sich dann das Pfund entwickeln werde. Huber: «Bei einem harten Brexit müssen wir sicher davon ausgehen, dass es einen leichten Rückgang bei den englischen Touristen geben wird.» Wenn das Pfund stark an Wert verliere, dann habe das ganz bestimmt Folgen für die Region Gstaad-Saanenland.

Huber erinnert an den Frankenschock vor vier Jahren und sagt: «Damals gingen die Logiernächte aus dem europäischen Raum extrem zurück. Die Situation erholte sich dann zwar wieder, aber das dauerte mehrere Jahre. Bei derart einschneidenden Ereignissen braucht es immer viel Zeit, bis man wieder auf das vorherige Niveau kommt.»

Vorteile dank Finanzplatz Genf
Andrea Scherz, General Manager des Palace, gibt zu bedenken: «Das ist manchmal gar nicht so sehr die Frage, ob jemand sich etwas leisten kann. Man darf den psychologischen Effekt nicht unterschätzen. Wenn ein Urlaub wegen Währungsschwankungen plötzlich 25 Prozent mehr kostet, dann können sich die meisten unserer Gäste das im Prinzip immer noch problemlos leisten. Aber psychologisch tut die Differenz dann eben doch weh.»

Für den Palace-Besitzer ist klar: «London ist für uns ein wichtiger Markt. Nicht so sehr wegen den Engländern, aber in London leben wohlhabende Leute aus der ganzen Welt.» Für diese Klientel ist der Flug von London nach Gstaad ein Katzensprung mit dem Flugzeug. Scherz: «Ich hoffe, dass diese Gäste nun nicht alle London verlassen! Im Prinzip könnten sie natürlich auch aus New York oder von irgendwoher zu uns einfliegen. Aber die Reise dauert dann halt länger.»

Anderseits hofft Andrea Scherz, dass der Brexit für das Saanenland vielleicht auch gewisse Vorteile mit sich bringen könnte: «Wenn manche Investoren nun von London auf den Finanzplatz Genf ausweichen, dann sehe ich da durchaus potenzielle Wochenendgäste für uns. Wie bei so vielem im Leben könnte es auch mit dem Brexit so sein, dass er nicht nur Nachteile, sondern auch neue Chancen mit sich bringt.»

Kein Gstaader Käse für die Engländer
In Deutschland sorgt sich die Milchindustrie, dass neue Zölle eingeführt werden könnten. Der harte Brexit werde der europäischen Milchwirtschaft enormen Schaden zufügen, liess der deutsche Milchindustrie-Verband in einer Medienmitteilung verlauten. Das Vereinigte Königreich sei ein grosser Nettoimporteur von Milch und Milchprodukten. Wenn nun bei einem harten Brexit das Königreich Drittlandzölle gegen EU-Ware erhebe, müssten die Produktpreise deutlich angehoben werden. Der «Anzeiger von Saanen» wollte von den Molkereien in der Region wissen, ob sie von einem harten Brexit auch betroffen wären. Die Befragten geben erst einmal Entwarnung. René Ryser von der Molkerei Gstaad sagt: «Der Brexit sollte für uns kein grosses Problem werden, wir exportieren kaum Käse nach England.» Reto Sigrist, Geschäftsführer der Molkerei Schönried, sagt, sie würden gar keinen Käse nach England exportieren. Er meint: «Die Lebensmittel-Vorschriften im angelsächsischen Raum sind enorm kompliziert, schon nur darum machen wir das nicht. Allenfalls werden wir den Brexit im Laden etwas spüren, falls weniger britische Touristen ins Saanenland kommen. Das ist jetzt noch schwer abzuschätzen.»

 


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