Wasserkraft trotzt Klimawandel

  15.02.2019 Region

Auch in Zeiten des Klimawandels bleibt die Wasserkraft ein zuverlässiger Stromproduzent. Kleinstkraftwerke wie jenes im Chalbergarten werden allerdings kaum noch bewilligt und auch zwei weitere Wasserkraftwerke im Saanenland wurden sistiert, während der Turbach in Zukunft genutzt werden soll.

KEREM S. MAURER
Für sein Kleinstwasserkraftwerk im Chalbergarten zapft Martin Humm rund 600 Meter oberhalb seines Hauses dem Meielsgrundbach Wasser ab. «Die Wasserfassung hat eine Breite von 40 Zentimetern und ist 2 Meter lang.» Humm erklärt, dass das Wasser am Grund des Baches entnommen wird. Ein Lochsieb, dessen Löcher einen Durchmesser von nur 5 Millimetern aufweisen, verhindert, dass Fische, Laub oder Steine in jene 600 Meter lange Druckleitung gelangen, durch welches das Wasser nach der Fassung in die Tiefe geführt wird. «Dadurch wird der für den Antrieb der Pelton-Turbine notwendige Druck erzielt», hält Humm fest. Nachdem das Wasser durch das Antreiben der Turbine Strom erzeugt hat, wird es durch einen Abfluss wieder dem Meielsgrundbach zugeführt. «Dieses Abwasser ist noch genau so sauber wie bei seiner Entnahme und ist in keinster Weise schädlich für die Umwelt», betont er. Mit seinem Kleinstwasserkraftwerk erzielt Martin Humm eine Leistung von 16 Kilowatt – dauerhaft. Seit Februar 1996 produziere er jährlich rund 130 000 Kilowattstunden, sagt er stolz und weist daraufhin, dass ein durchschnittlicher Schweizer Haushalt pro Jahr etwa 4000 Kilowattstunden braucht. Damit generiert er mehr als 30 Mal soviel Strom wie er selber braucht. «Den Rest speise ich in das Netz der BKW ein.» Humm produziert mit seinem Kleinstkraftwerk also Strom für rund 30 Haushalte. Dazu muss erwähnt werden, dass Humm seinen Bedarf an Heisswasser mit Sonnenkollektoren deckt und ausserdem eine Wärmepumpe in seinem Haus installiert hat. Laut dem Amt für Wasser und Abfall (AWA) sind derzeit acht solche Kleinstwasserkraftwerke im Saanenland in Betrieb mit einer geschätzten Gesamtleistung von 500 000 Kilowattstunden pro Jahr.

Kaum noch Bewilligungen für Kleinstwasserkraftwerke
Obschon sich diese Kleinstwasserkraftwerke auf den ersten Blick als gute Sache zeigen, werden sie von der BKW nicht gerne gesehen. «Neue Wasserkraftwerke mit einer Leistung von unter 300 Kilowatt werden im Kanton Bern gemäss neuer Wasserstrategie kaum noch bewilligt», teilt die BKW auf Anfrage mit und zitiert als Begründung aus der geltenden Wasserkraftstrategie: «Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass viele Kleinanlagen nur einen sehr geringen Beitrag an die gesamte Energieproduktion leisten (siehe Grafik). Es gilt zu verhindern, dass durch solche Kleinanlagen übermässig viele Gewässerabschnitte beeinträchtigt werden oder eine optimalere Nutzung eines Gewässerabschnitts verunmöglicht wird. Deshalb werden Konzessionen für neue Anlagen mit einer Leistung von weniger als 300 Kilowatt nur in begründeten Ausnahmefällen erteilt.» Gefördert werden dagegen grössere, leistungsstärkere Wasserkraftwerke. Dass sein Kraftwerkchen den von ihm genutzten Gewässerabschnitt beeinträchtige, will Humm nicht gelten lassen. Im Gegenteil: Mit dem Abfluss habe er einen weiteren kleinen Bach geschaffen, also zusätzlichen Lebensraum am Wasser. Das Netz im Boden des Baches erachtet er als unbedenklich.

Turbach soll genutzt werden
Im Jahr 2011 plante die sol-E-Suisse AG, eine Tochtergesellschaft der BKW FMB Energie AG, den Bau und den Betrieb von vier Kleinwasserkraftwerken im Saanenland mit dem Ziel, «die einheimische Wasserkraft zur ökologischen Stromerzeugung zu nutzen». Geplant war, die lokale Stromproduktion um 14 Gigawattstunden zu erhöhen und damit rund 4000 Hauhalte mit Strom zu versorgen. Dazu sollte in Lauenen der Louibach genutzt und in Saanen in den Bäuerten Turbach, Chalberhöni und im Grund drei Wasserkraftwerke realisiert werden. Im Dezember 2018 hat sich nun die BKW mit den Umweltverbänden WWF Schweiz, Pro Natura, Aqua Viva und Stiftung Landschaftsschutz Schweiz über den Schutz und die Nutzung von Gewässern geeinigt. Dabei kam heraus, dass lediglich das Projekt Turbach umgesetzt werden soll. Noch im Verlauf dieses Jahres soll ein überarbeitetes Konzessionsdossier beim Kanton eingereicht werden, schreibt die BKW. Zu den Verzichtsprojekten, also jenen geplanten Wasserkraftwerken, die nicht realisiert werden, gehören die Projekte Chalberhöni und Meielsgrund. Aktuell sind im Saanenland laut AWA mit Louibach und Gsteig zwei Kleinwasserkraftwerke in Betrieb, welche gemeinsam rund 6,3 Gigawattstunden pro Jahr generieren. Dazu kommt das Wasserkraftwerk Sanetsch/Innergsteig, welches bereits seit 1962 in Betrieb ist. Es ist das grösste Wasserkraftwerk der Region und liefert rund 36 GWh im Jahr.

Klimawandel (noch) keine Gefahr für die Wasserkraftwerke
Was bedeuten die heisser und trockener werdenden Sommer, deren Auswirkungen auf die Wasserknappheit hierzulande im letzten Jahr deutlich spürbar waren, für die Wasserkraftwerke und was bewirkt der Klimawandel? Für die BKW ist klar: «Die Wasserkraft spielt auch weiterhin eine wichtige Rolle.» Die Auswirkungen von Trockenheit auf Wasserkraftwerke hänge sehr davon ab, wo diese stehen. Die fehlenden Niederschläge hätten im letzten Sommer bei den Kraftwerken des Berner Oberlandes durch die Schnee- und Gletscherschmelze kompensiert werden können. Negativ hingegen wirkte sich die Trockenheit auf die Wasserkraftwerke im Seeland aus. In glazialer Hinsicht gibt es Grund für verhaltenen Optimismus: Das Abschmelzen der Gletscher soll mittelfristig sogar zu einer Steigerung der Stromproduktion aus Wasserkraft führen. Schätzungen des Bundes gehen davon aus, dass sich die Gletscherfläche in den Schweizer Alpen bis Ende dieses Jahrhunderts, je nach dem verwendeten Modell und Klimaszenario, um bis zu 60 bis 80 % verringere. Ende des Jahrhunderts vermute man im Einzugsgebiet der Rhone, also im Wallis, noch das grösste Gletschervolumen. Wogegen das Einzugsgebiet des Rheins – bis auf wenige Eisreste im Berner Oberland – alle Gletscher verloren haben werde. Tessin und Engadin seien bis Ende des Jahrhunderts vollständig eisfrei. Doch bis dahin fliessen noch viele Liter Wasser unsere Bäche und Flüsse hinab und treiben die Turbinen der Wasserkraftwerke zuverlässig weiter an.


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