«Abdrücken ist jedes Mal sehr emotional!»

  05.04.2019 Schweiz

Mit jagenden Frauen als Botschafterinnen wird seit 2015 das Image der Jäger und Jägerinnen in der Schweiz positiv und sympathisch dargestellt – initiiert von der Zeitschrift «Schweizer Jäger». Weg vom griesgrämig dreinblickenden, alten Bartträger hin zur modernen jungen Frau. Aktuell bekleidet die Zweisimmnerin Renate König dieses Amt. Für die ausgebildete Pflegefachfrau ist die Liebe zu den Tieren und deren Abschuss kein Widerspruch.

KEREM S. MAURER
Die amtierende Schweizer Jägerin 2018–2020 hat Jahrgang 1981, ist stellvertretende Stationsleiterin im Spital und wohnt seit fünf Jahren im gemütlichen Voralpendorf am Fuss des Rinderbergs. Die Begeisterung für die Jagd hat sie quasi in die Wiege gelegt bekommen, denn auch ihre Eltern sind begeisterte Jäger. Als Zehnjährige begleitete Renate König ihren Vater zum ersten Mal auf die Jagd, seitdem hat sie die Faszination der Pirsch nicht mehr losgelassen. Dennoch vergingen rund zwanzig Jahre, bis sie selber die Jagdprüfung vor fünf Jahren absolvierte. In ihrer Küche hängt das Geweih eines Hirsches, den sie allerdings nicht selber erlegt hat. «Der ist zu meiner Motivation hier», lacht die sympathische Jägerin, die ihre Jagdtrophäen nicht für jedermann sichtbar aufgehängt hat. In ihrem Wohnzimmer findet man nur drei Geweihe von Gämsen und Rehböcken. Trophäen sind für Renate König wohl wichtig, aber nicht der einzige Grund, weshalb sie auf die Jagd geht. Leben und Tod begleiten sie auch in ihrem beruflichen Alltag als stellvertretende Stationsleiterin im Spital. «Als Pflegefachfrau helfe ich den Menschen und schütze das Leben», sagt sie. Dass sie als Jägerin Leben auslöscht, ist dabei für sie kein Widerspruch. «Für mich gehört bei der Arbeit im Spital der Tod mit dazu.» Im Zuge ihrer Ausbildungen habe sie schon früh gelernt, mit der Vergänglichkeit des Lebens umzugehen. Zu helfen bedeute nicht in jedem Fall zwangsläufig auch zu heilen. Oftmals gehe es darum, Schmerzen zu lindern oder einfach jemanden während des Sterbeprozesses zu begleiten.

«Ich esse gerne Fleisch!»
Jede ihrer Trophäen erzählt von einem speziellen Moment, der sich in ihr Bewusstsein eingraviert hat. «Mir ist bewusst, dass ich auf der Jagd Leben auslösche», sagt die Jägerin, während sie zärtlich mit der Hand über die auf einem Holzbrett aufgemachten Schädel der von ihr erlegten Tiere streicht. «Jedes von ihnen ist eine Erinnerung an das Tier, an die damalige Situation und wie es zum Abschuss gekommen ist.» Renate König verspürt beim Anblick ihrer Trophäen eine gewisse Demut und Dankbarkeit für das Fleisch, welches das Tier ihr gebracht hatte. Das Krümmen des Fingers am Abzug sei immer ein sehr emotionaler Moment. «Und es gibt auch Situationen, da schiesse ich nicht, selbst wenn alles passt. Wenn es in mir drin nicht stimmt, gebe ich keinen Schuss ab!» Nein, töten sei bestimmt nicht ihre Leidenschaft, auch verspüre sie keine Lust dabei. Es gehöre bei der Jagd einfach dazu. Sie isst selber gerne Fleisch und beschafft es sich selbst. Das ist alles. «Es gibt kein biologischeres Fleisch als jenes von Wildtieren, die frei in unseren Wäldern gelebt haben», weiss sie und fügt nach einer Weile mit hörbarer Erleichterung in ihrer Stimme hinzu: «Diese Tiere lebten glücklich.» Das ist ihr wichtig. Wer wisse denn schon, wie alle die Tiere gelebt haben und wie sie aufgezogen wurden, bevor sie abgepackt über die Ladentheken unseres Landes gehen, gibt sie zu bedenken. Renate König erwartet nicht, dass alle, die gerne Fleisch essen, auch selber Tiere töten. Aber sie mahnt jene Fleischesser, die sie und ihre Mitjäger/innen gerne als Mörder/ innen bezeichnen, dass für jedes Fleisch, das gegessen wird, zuvor ein Tier sein Leben lassen musste. So oder so.

Wer kommt wem ins Gehege?
Grossraubtiere wie Wolf, Luchs und Bär sind gerade im Simmental und Saanenland seit einiger Zeit ein emotionales Dauerthema. «Mich stören die Grossraubtiere nicht», sagt die amtierende Schweizer Jagdbotschafterin. Es gebe viele Luchse bei uns, aber Wölfe oder Bären habe sie noch keine gesehen. Zu der gegenwärtigen Wolfshetze stellt sich Renate König selber einige Fragen. Wer darf bestimmen, welche Tiere hier leben dürfen und welche nicht? Weil sämtliche Grossraubtiere in unseren Wäldern ausgerottet wurden, seien wir es nicht mehr gewohnt, dass uns «gefährliche» Tiere begegnen, sagt sie und weist sofort darauf hin, dass der Wolf per se für den Menschen ungefährlich sei. Dringt der Wolf wirklich in unser Gebiet ein oder wir in seines? Es sei ohnehin fraglich, ob der Mensch spasseshalber zu allen Uhr- und Jahreszeiten überallhin kommen müsse. Für die begeisterte Jägerin sind allerdings die gegenwärtigen gesetzlichen Grundlagen nicht griffig genug. Sie erlaubten kein schnelles Eingreifen, wenn dies erforderlich wäre. Für eine gewisse Regulierung von Wolfspopulationen, die es gegenwärtig allerdings weder im Simmental noch im Saanenland gebe, wäre eine Gesetzesanpassung dereinst vielleicht hilfreich und notwendig, sagt sie.

Sensationsgier schürt Vorurteile
Auch die Medien hätten eine gewisse Mitschuld daran, dass die Jagd nicht bei allen Menschen einen guten Ruf habe, ist König überzeugt. «Jäger erschiesst eigene Tochter» («20 Minuten»), Jäger erschiesst Border Collie» («Blick»), «Jäger erschiesst Pferd» («Die Welt»). Solche und viele ähnliche Schlagzeilen liessen den Jägerstand in sehr schlechtem Licht erscheinen. Aufgrund solcher Berichte entstünde in den Augen der Öffentlichkeit schnell ein Bild von einer besoffenen, schiesswütigen Horde, die im Wald herumrenne und wahllos auf alles ballere, was sich bewege, empört sich die Schweizer Jägerin. Doch dieses Bild sei durch redaktionelle Sensationsgier verfälscht. Lande ein Jäger einen sauberen Treffer, berichte darüber kaum eine Zeitung. Renate König ist bei Meldungen über waidmännisches Fehlverhalten generell sehr vorsichtig, weil sie nicht die ganze Geschichte dahinter kennt. Ihr ist durchaus bewusst, dass schnell etwas passieren kann. Ein Jagdgewehr ist und bleibt schliesslich eine Schusswaffe. «Aber wenn man die Vorschriften einhält und sich im Zaum hat, sollte eigentlich nichts passieren!» Jagd sei ausserdem wesentlich mehr als nur das Erlegen von Tieren. Hegearbeiten wie das Anlegen und Pflegen von diversen Biotopen, Anpflanzungen, Aufräumarbeiten im Wald, Rehkitzrettung und vieles mehr gehört zu den Aufgaben der Jägerschaft.

Ausbildung – mehr als nur Schiessen
Die Jagdausbildung sei eine gute Allgemeinbildung. Man lerne dabei viel über Pflanzen, Tiere und die natürlichen Zusammenhänge. Es gebe viele Leute, die sich für diese Ausbildung interessierten, ohne je selber auf die Jagd zu gehen. Ungefähr 10% der Teilnehmenden an solchen Ausbildungen seien Frauen, jedoch nur die Hälfte von ihnen gehe später aktiv auf die Jagd, so König. Vorurteile gegen sie als Frau habe sie bis jetzt innerhalb der Jagdgesellschaft und in ihrer Jagdgruppe kaum erlebt. Dort gehe es allein um die Sache, das Geschlecht spiele dort keine Rolle. Doch sie räumt ein, dass es sicher Jägerinnen gebe, die dazu eine andere Meinung haben dürften. In der Diskussion mit Aussenstehenden gebe es schon eher Vorurteile. Die Bevölkerung sei nach wie vor eher bereit zu akzeptieren, dass Männer Tiere töten. Bei Frauen, die dasselbe tun, ist das Entsetzen grösser. Eine Frau als Jägerin scheint in vielen Köpfen auch heute noch ein Widerspruch zu sein. Vielleicht wird deshalb alle zwei Jahre eine Frau als Jagdbotschafterin gewählt. Die Hauptaufgabe der «Schweizer Jägerin 2018– 2020» sieht Renate König in der Aufklärungsarbeit. «Man muss immer wieder erklären, was die Jäger alles tun, um das Verständnis für die Jagd zu fördern!», ist sie überzeugt. In ihrem Amt tritt Renate König an Messen auf, gibt Interviews, macht Fernsehauftritte und erledigt viel Öffentlichkeitsarbeit. Für sie ist wichtig, dass man die Wahl zur Schweizer Jägerin nicht als eine Misswahl versteht. «Das hat mit einem Schönheitswettbewerb überhaupt nichts zu tun», sagt sie, sondern es werde jemand gewählt, der die Jagd gegen aussen hin vertreten könne, einige Jahre Erfahrung habe und mit einer guten waidmännischen Einstellung die Fachjury überzeuge.


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