Hollywood? Bollywood? Nothingwood!

  05.04.2019 Vorschau

Am Montag, 8. April um 20.30 Uhr zeigt das Filmpodium Saanenland im Kino Gstaad den Dokumentarfilm «The Princ of Nothingwood» über «den anderen Film» aus Afghanistan – und das ist wörtlich zu verstehen: ein anderer Film, ein anderes Kino, eine andere Welt …

Seit über 15 Jahren berichtet die ausgewiesene, schwedisch-französiche Afghanistan-Kennerin Sonja Kronlund aus Afghanistan, meistens über Kriegsgräuel, Steinigungen, Selbstmordattentate. Aber sie machte sich auch auf die Suche nach anderen Bildern, solchen von Kraft, Glaube und Widerstand. Diese hat sie gefunden und im Dokumentarfilm über Salim Shaheen, den Prinzen von Nothingwood und seine Film-Traumfabrik in Afghanistan, festgehalten.

Salim Shaheen ist ein Selfmademan, ein Analphabet, ehemaliger Kämpfer, Regisseur, Schauspieler und Produzent in einem; er hat in den letzten 30 Jahren in Afghanistan über 100 Zero-Budget-Filme gedreht; er repräsentiert die Filmkultur eines ganzen Landes, er wird vom Volk geliebt, und sogar die Taliban schauen seine Filme. Es scheint, als habe er sein eigenes Leben in einen Film verwandelt – als hätte er sein Leben einem Film abgeschaut und gebe es jetzt wieder an den Film zurück.

Es sind verschiedene Ebenen, auf denen die Regisseurin die Bilder von Kraft, Glaube und Widerstand in einem kriegsverehrten Land findet: Da ist das Filmen selber, das stets unter Gefahr erfolgt. Im Bürgerkrieg der 90er-Jahre wurde zum Teil unter Raketenbeschuss gedreht, und auch Verletzungen konnten die Filmer nicht davon abhalten. Auch heute entstehen die Filme vor dem blutigen Alltag des Krieges. Da sind aber auch die Filme – bei noch so geringer inhaltlicher und formaler Qualität – als Schutzraum, in dem ausgelebt wird, was in der restriktiven Gesellschaft unmöglich ist. Trotz sozialer Repression gelingt es den Schauspielern immer wieder, ein wenig Freiraum zu ergattern – wie das Mädchen, das vor den kritischen Augen ihres Vaters als Schauspielerin tanzt. Und dem Zuschauer bieten die Filme mit Tanz und Gesang eine der raren Möglichkeiten, dem Alltag zu entfliehen. Die Gesichter zeigen eine Faszination und Verzückung, wie sie nur das Kino ermöglichen kann, wo zwischen Bildern und Realität nicht mehr unterschieden wird.

Hinter dem Klamauk von Nothingwood steckt eine filmische Befragung und Beschreibung eines Volkes am Beispiel einer extremen Person. Spannungen werden sichtbar zwischen religiösem Fundamentalismus und der Faszination für die spielerischen Möglichkeiten des Kinos sowie zwischen den traditionellen Geschlechterrollen und ihrer Überwindung im Schutze der Fiktion. Dabei sind die Filme sowohl Spiegel der Gewalt, die in Afghanistan herrscht, als auch Verarbeitung der Gewalt, indem sie Distanz schaffen. Die leidvoll-traumatische Erfahrung eines jahrzehntelangen Krieges ist der Antrieb für eine unglaubliche Filmproduktion, aber auch die eigene, von Gewalt geprägte Lebensgeschichte von deren Antreiber Shaheen fliesst in die Filme ein.

Ein unglaublicher Mensch, eine unglaubliche Geschichte – wirklich ein anderer Film und vor allem auch ein anderer Blick auf Afghanistan!

PD


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote