Vertritt das Christentum die absolute Wahrheit?

  26.04.2019 Kirche

PETER KLOPFENSTEIN
«Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater, es sei denn durch mich.» So steht es da im Johannesevangelium, Kapitel 14, Vers 6. Das ist klar und deutlich, daran gibts nichts zu deuteln: Wer Gott finden will, muss an Jesus Christus glauben; wer es nicht tut, geht in die Irre. Eigentlich eine praktische Sache. Schliesslich kann man sich seines eigenen Glaubens ja gar nicht mehr sicher sein bei der Fülle an Religionen und Glaubensaussagen, denen wir immer wieder begegnen.

Taufbefehl
Doch was ist eigentlich mit den Menschen los? Obwohl so eindeutig in der Bibel steht, wie sie Gott finden können – sie wollen es einfach nicht wahrhaben! Man sollte diesen Störefrieden die Wahreit endlich deutlich vor Augen führen, vielleicht würden sich einige von ihnen dadurch noch retten lassen. Schliesslich hat Jesus ja gesagt: «Geht nun hin und macht alle Völker zu Jüngern: Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, und lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe.» (Matthäus 28,19)

Balken im Auge
So weit, so biblisch – oder? Wären da nicht auch noch andere Stellen in der Bibel zu finden. Etwa in der Bergpredigt. Da heisst es: «Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken in deinem Auge aber nimmst du nicht wahr? Oder wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen, und dabei ist in deinem Auge der Balken? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge. Dann wirst du klar genug sehen, um den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.» (Matthäus 7,3–5)

Wahrheitsanspruch
Jede Religionsgemeinschaft wie auch jene der Agnostiker oder Atheisten geht selbstredend davon aus, dass ihre Überzeugungen wahr sind. Ein solcher Anspruch auf Wahrheit bedeutet jedoch auch, dass diese Wahrheit eigentlich für alle Menschen Gültigkeit haben müsste. In der Realität aber sieht es so aus, dass unterschiedlichste Religionen verschiedenste Überzeugungen vertreten und jeweils für die richtige halten.

Absolutheitsanspruch
Christinnen und Christen glauben, dass sich im Leben, Wirken und Sterben Jesu Christi Gott selbst den Menschen offenbart und ihnen damit den Weg zu sich eröffnet hat. Eine schöne und als Glaubensaussage durchaus akzeptable Vorstellung. Problematisch wird es da, wo der Absolutheitsanspruch ins Spiel kommt: «Niemand kommt zum Vater, es sei denn durch mich» – und dann behauptet wird, die Menschheit finde nur zu ihrem Ziel, wenn alle diesen einen Weg gehen. Lässt sich ein solcher Anspruch heutzutage überhaupt noch glaubwürdig vertreten?

«Das Religiöse»
Ja, so weit ich sehe, ist das die Lehre der katholischen Kirche bis heute – während der Protestantismus sich nicht festlegen mag – und sie fordert zusätzlich die Anerkennung der Autorität der Kirche als Vermittlerin der Wahrheit. Nun hat die Kirche auch ein Interesse an dieser Vermittlung und sieht darum Angehörige anderer Religionen nicht sofort als verloren an, sondern richtet ihr Augenmerk auf «das Religiöse» in diesen Religionen und erkennt dies an, da nur so eine Auseinandersetzung mit Andersgläubigen möglich sei. Fragt sich nur, wer festlegt, was «das Religiöse» eigentlich ist und wie dialogbereit sich die Kirche zeigt, wenn die Andersgläubigen einfach nicht einsehen wollen, dass allein die katholische Kirche den richtigen Weg kennt.

Etwas Geschichte
Historisch gesehen ist der Absolutheitsanspruch eine recht junge Erscheinung. Zwar tauchen, wie sich an der Aussage Jesu im Johannesevangelium ablesen lässt, ähnliche Gedanken schon in der Bibel auf. Dabei sollte man sich jedoch bewusst machen, dass biblische Texte Glaubensaussagen von Menschen formulieren, die für ihre Überzeugungen werben wollten, und nicht in erster Linie als Selbstdefinition einer Religion zu lesen sind.

Das Johannesevangelium beispielsweise wurde erst etwa 100 Jahre nach Jesu Tod aufgeschrieben, es ist daher recht unwahrscheinlich, dass Jesus selber diese Aussage formuliert hat. Viel wahrscheinlicher ist es, dass ihm der schon gewachsene Glaube seiner Anhänger in den Mund gelegt wurde, um die ersten Christinnen und Christen im Glauben zu bestärken.

Etwas Aufklärung
Zur Zeit der Aufklärung wurde den Menschen immer bewusster, dass die Vorstellung von der einen wahren Religion kaum aufrecht zu erhalten ist. Der Absolutheitsbegriff, der von der Vorstellung, alle anderen Religionen führten auf direktem Weg ins Verderben, bis hin zu der Vorstellung, alle Religionen würden sich im Laufe der Geschichte hin zum Christentum entwickeln, konnte das Problem allerdings auch nicht lösen.

Eine Position, die mir auch heute noch bedenkenswert erscheint, stellte Lessing mit seiner Ringparabel in «Nathan der Weise» dar: Die Menschen sind gar nicht in der Lage, zu erkennen, welche Religion die wahre ist und ob nur eine oder doch alle auf unterschiedliche Weise zum Ziel führen. Nicht die einzelne Religion steht im Mittelpunkt, sondern das Ziel, auf das sie alle zuführen und das wir Menschen nur unterschiedlich zu erklären versuchen.

Ist alles gleichgültig?
Eine reizvolle Position, die allerdings, wenn sie zu der Auffassung führt, letztlich sei alles gleichgültig, ihr Potenzial nicht ausschöpft. Denn ohne die Verankerung in einer konkreten Glaubensgemeinschaft verliert jeder Glaube schnell seine Grundlage. Als (protestantischer) Christ kann ich glauben, dass der Weg zum Ziel über den Glauben an Jesus Christus führt, aber ich kann nicht wissen, ob dies der einzige Weg für alle ist.

Rigoroses Christentum
Trotzdem gibt es auch unter evangelischen Christinnen und Christen Verfechter eines rigorosen Absolutheitsanspruchs. In der Überzeugung, den richtigen Weg gefunden zu haben und den Willen Gottes wortwörtlich aus der Bibel ablesen zu können, grenzen sie sich einerseits strikt gegen alles ab, was ihren Glauben in Frage stellen könnte, und versuchen andererseits mit starkem missionarischem Eifer die Menschheit zu ihrem Glauben zu bekehren. Dass ein solches Verhalten einem friedlichen Zusammenleben auf der Welt nicht dient, hält die Geschichte unzähliger leidvoller Beispiele bereit … Echter Glaube lässt sich eben nicht erzwingen.

Was aber lässt sich tun, wenn ich mir angesichts der unzähligen Möglichkeiten, die mir offenstehen, gar nicht mehr sicher sein kann, was überhaupt richtig oder falsch ist? Wie einfach wäre es doch, wenn man nur die Bibel aufschlagen und nach passenden Versen für seine Überzeugung suchen müsste, um sich bestätigt und seines Glaubens sicher zu fühlen. Wenn es Prediger gäbe, die mir klar sagten, wo es lang geht.

Weg mit den Brettern
So einfach ist es nicht und das ist gut so. « Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken in deinem Auge aber nimmst du nicht wahr?» Wenn wir nicht alles bitter ernst nehmen, was in der Bibel steht, und uns einfach durch die Texte inspirieren lassen, könnten wir uns zum Beispiel vornehmen, zunächst einmal das Brett vor dem eigenen Kopf zu entfernen, um dann zusammen mit anderen den besseren Ausblick zu geniessen und gegenseitig an den noch verbliebenen Splittern arbeiten zu können.

Sich auf der Grundlage des eigenen Glaubens mit dem Fremden auseinandersetzen – ein anstrengender Weg. Aber ein sehr spannendes Unternehmen, bei dem man seine Identität nicht aufgeben muss, sondern –im Gegenteil – viel über sich selbst und und die eigenen und fremde Wege lernen kann.


VORANZEIGE

Seniorenausflug der Altersstubete und des Frauenvereins nach Lausanne und ins Lavaux, 
Dienstag, 18. Juni 2019

Wir fahren mit dem Reisecar über Bulle nach Saint-Martin zum Kaffehalt, danach über Oron nach Lausanne, wo wir die Kathedrale besichtigen und in Ouchy zu Mittag essen. Mit dem Schiff geht es weiter nach Montreux und danach über den Col des Mosses oder den Pillon zurück ins Saanenland.

Die Ausschreibung mit Preisen und Abfahrtszeiten folgt nach den Frühlingsferien, die Anmeldungen werden nach Eingangsdatum berücksichtigt (begrenzte Platzzahl).

Organisation: Pfarrer Peter Klopfenstein, Gsteig


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