Malerische Kulisse für eine «krasse Story»

  07.05.2019 Kultur, Saanenland

Er sprengt das ganze Saanenland in die Luft, ohne dabei ein Staubkorn aufzuwirbeln. Alex Stalder aus Gstaad hat hierzulande den Actionfilm «Marauder» gedreht. Der kreative Landi-Mitarbeiter gewährt einen Einblick in die unzählbaren Stunden Arbeit hinter dem Projekt.

SARA TRAILOVIC
Das Thermometer misst 26 Grad im Schatten, die Wände sind kaum sichtbar hinter der Sammlung von Actionfilmen. Zwei mannshohe Kampfrüstungen bewachen den Bürotisch, direkt darunter schnarcht leise ein Mops. Nicht nur das Arbeitsklima von Alex Stalder ist eher untypisch für das Saanenland. Auch sein Filmprojekt löst bei Einheimischen Skepsis aus, ist doch das Genre nicht jedermanns Sache. Beim Besuch in seinem einfachen Studio in Gstaad wird klar, dass Alex Stalder und seine freiwilligen Helfer/innen mit wenig Geld, viel Improvisation und Durchhaltewillen einen Film von beachtlicher Qualität geschaffen haben, welcher die Schönheit der Destination Gstaad auf ungewohnte Weise inszeniert.

Wieso ein Actionfilm in Gstaad?
«Es ist schon ein ‹struber› Film für Gstaad», bestätigt der Regisseur, Kameramann und Produzent von «Marauder». «Apokalyptische Filme spielen sonst entweder in einer Grossstadt oder Wüste.» Seine Produktion hingegen lebe vom Kontrast zwischen der malerischen Bergkulisse und den brutalen Kampfszenen. «Ein schöner Hintergrund für eine krasse Story», fasst Alex Stalder zusammen. Der Sounddesigner Michael Noble aus den USA meint zur Wahl des Drehorts: «Eine Stilmischung, die ich so noch nie gesehen habe. Die Szenerie ist wunderschön und gleichzeitig fehlt jede Hoffnung auf Überleben.»

Landi-Mitarbeiter und Filmproduzent
«Bis auf den Sound mache ich eigentlich alles.» Alexander Stalder ist 34 Jahre alt und arbeitet hauptberuflich als Verkäufer in der Landi Gstaad. In jungen Jahren verliess er das Saanenland, um die Fotografie und Kampfkunst zu erlernen. «Ich räumte mein Jugendzimmer in Gstaad und stieg ins Flugzeug nach Japan.» Mit den erlernten Fähigkeiten arbeitete er eine Weile als freischaffender Fotograf. In dieser Zeit beobachtete er bereits einige Filmteams und liebäugelte mit der Videoproduktion. «Ich habe Naturaufnahmen vom Saanenland gemacht, ein Video der Goldenpass-Linie gedreht und an Hochzeiten, Sportevents und Konzerten fotografiert. Doch damit stichst du nicht heraus», erzählt Stalder, während er durch sein Fotografie-Portfolio blättert. Mit «Marauder» sei das anders. Nur schon der Trailer habe innerhalb von einem Monat 5000 Klicks auf Youtube erreicht, auf einer chinesischen Videoplattform sogar 155’000.

Eine unabhängige …
Ein 90-minütiger Film wird in Europa in 12 bis 100 Tagen gedreht. Die Dreharbeiten vom 104 Minuten langen «Marauder» dauerten zwei Jahre. Wieso? Das komplette Filmteam inklusive Schauspieler arbeitete freiwillig und ging neben dem Dreh einem ganz normalen Arbeitsalltag nach.

Im Frühjahr 2017 startete Alex Stalder sein eigenes Filmprojekt. Inspiriert durch unzählige Actionfilme und Gamingstunden aus seiner Jugend hatte er das Drehbuch schon seit längerer Zeit bereit. Ohne Produktionsfirma und professionelles Filmset setzte er das Vorhaben in die Tat um. «Mit über 250 inszenierten Mordfällen haben wir ziemlich sicher einen Rekord im Bereich der unabhängigen Filmproduktion aufgestellt.» Er wisse auch nicht, ob das positiv oder negativ sei, lacht Alex Stalder.

… und ökologische Produktion
Man kennt es aus klassischen Actionfilmen: Autos und Gebäude fliegen in die Luft, als wären sie nichts wert. «Dabei haben gerade diese Produktionen gewaltige digitale Möglichkeiten zur Verfügung. Wir wussten, dass wir bei der Nachbearbeitung des Filmmaterials beschränkt sein würden, sei es technisch oder vom Können her.» Alex Stalder geht im kleinen Zimmer umher, greift sich ab und zu einen Lieblingsfilm von der Wand und schwärmt: «Ich war schon immer fasziniert von Produktionen, die mit wenig Ressourcen auskommen.» Für sein Projekt habe er die meisten Requisiten aus Landi-Artikeln zusammengebaut. «Mit ‹Marauder› will ich beweisen, dass man auch einen Film, bei dem es ‹chlöpft u tätscht›, ökologisch produzieren kann. Durch geschickte Kameraführung konnten wir zum Beispiel überzeugende Panzerszenen aufnehmen» – mit Spielzeugpanzern, versteht sich.

«Allein das Gelände und Bergwetter gaben viel her», erzählt Stalder weiter. So seien beispielsweise dramatische Szenen in verwitterten Hütten entstanden. «Wir investierten vor allem in Kameraausrüstung, Waffen und Kostüme und reizten das Material dann voll aus.» Alex Stalder schaltet den Fernseher ein und lässt seinen fast fertigen Actionfilm laufen. Immer wieder sind Panoramaszenen eingebaut. «Meine kleine Drohne lieferte erstaunlich gute Aufnahmen der Bergkulisse.»

Das Saanenland fliegt in die Luft
Inmitten der DVD-Sammlung lächelt eine Buddhafigur. Auch Alex Stalder brauchte während den zweijährigen Dreharbeiten und der nun laufenden Nachbearbeitung ruhige Nerven. «Ich musste den ganzen Film immer wieder von vorne bis hinten überarbeiten, weil ich das Bearbeitungsprogramm am Anfang nicht kannte und meine Methoden laufend verbesserte.»

Aus dem Fernseher im Hintergrund ertönen regelmässig Schüsse und Explosionen. «Schau, da fliegt das Hotel Palace in die Luft!» Mittels digitaler Effekte konnte Alex Stalder das ganze Saanenland verwüsten, ohne dabei einen Rauchschwaden zu verursachen. Auf die Frage, wie viele Stunden Arbeit hinter dem Projekt steckten, meint Stalder, die seien genauso unzählbar wie die Anzahl Schüsse und Explosionen, die er einzeln einfügen musste.

«Ein Making-of würde sich lohnen»
«‹Marauder› soll auf keinen Fall eine Parodie sein, aber humorvolle Momente habe ich trotzdem eingebaut, um die brutalen Kampfszenen etwas aufzulockern.» Die Schauspieler hatten nicht selten mit der schweren Ausrüstung zu kämpfen. «Ein Polizist aus Lausanne, der mitspielte, stolperte bei einem Kampf über einen Holzzaun – die Szene habe ich im Film eingebaut», schmunzelt Stalder.

«Wir mussten viel improvisieren. Als die Drohne einen Aussetzer hatte, kletterte ich mitsamt Kameraequipment auf den Rücken eines Kollegen, um aus der Vogelperspektive zu filmen.» Für einen anderen Blickwinkel durfte Stalders Mops mit einer GoPro auf dem Rücken als Kameramann agieren. Planung und Spontanität wechselten sich ab. «Bei Bedarf änderte ich das Drehbuch eben ein wenig ab.» Zum Beispiel, als ein Darsteller es mit seiner Unpünktlichkeit auf die Spitze trieb. Da liess Stalder den von ihm gespielte Charakter eben sterben.

Reaktionen von aussen habe es natürlich auch gegeben. «Von verängstigten Wanderern bis hin zu Bauern, die Aliens zu sehen glaubten, war alles dabei. Ein Making-of würde sich definitiv lohnen.»

Titelmusik aus Amerika
Momentan wartet Alex Stalder noch auf den massgeschneiderten Soundtrack. Wegen Hintergrundgeräuschen und schlechten Mikrofonen beim Dreh habe er den amerikanischen Tondesigner Michael Noble für die Nachsynchronisation kontaktiert. «Währenddem Michael die Sprachaufnahmen und Soundeffekte über die Filmaufnahmen legte, begeisterte er sich für das Projekt und bot an, eine Titelmusik für ‹Marauder› zu komponieren.» Der Amerikaner: «‹Marauder› ist laut, ausdrucksstark und inspiriert von Videospielen. Ich will etwas komponieren, das sich hoffnungsvoll anhört, etwas, das den Zuschauer vergessen lässt, dass die Welt im Film gerade untergeht.»

Erstausstrahlung in der Region
Vor einem Jahr rechnete Stalder noch damit, dass der Film Ende 2018 fertiggestellt würde. «Ich bin etwas in Verzug geraten, aber als unabhängige Produktion habe man zum Glück keine Deadline einzuhalten.» Nun sei er auf der Suche nach einem Verleger. «Marauder» solle bald auf Blu-ray erhältlich sein, inklusive exklusivem Hintergrundwissen.

«Das Drehbuch für Teil zwei und drei habe ich bereits auf Lager», verrät Stalder. Es habe sich bereits eine chinesische Produktionsfirma gemeldet, welche die Fortsetzung finanzieren möchte. Alex Stalder freut sich: «Wäre natürlich episch, wenn wir mit ihren Effekten weiterarbeiten könnten.» Er sitzt mittlerweile wieder an seinem Rechner, dessen Lüftung wie immer auf Hochtouren läuft. Doch zuallererst wolle er den Film in der Region ausstrahlen. «Es haben sehr viele Einheimische mitgewirkt und die vertraute Szenerie auf einer Leinwand zu sehen, begeistert vielleicht auch Leute, die sonst nichts mit Actionfilmen anfangen können.»


ZUM FILM

Die Dreharbeiten des Films «Marauder» starteten im Frühjahr 2017, letzte Szenen entstanden diesen Februar. Während zwei Jahren entstand ein 104-minütiger, postapokalyptischer Actionfilm. Die Handlung beginnt nach dem dritten Weltkrieg. Da tiefere Lagen verseucht und von Mutanten bewohnt sind, ziehen sich die Überlebenden in höhere Lagen, namentlich das Saanenland, zurück. Die Guten, die «Nationen», konstruieren zu ihrem Schutz «Marauder» – eine Mischung aus Mensch und Maschine – die für den Kampf in den tieferen Lagen gerüstet sind. Währenddessen dringen feindliche Truppen der «Koalition» ins Gebiet ein. Glücklicherweise schliesst sich der eigentlich unparteiische Marauder Nummer 75 den «Nationen» im Kampf gegen das Böse an. Die Kübelialp wird dabei Schauplatz einer besonders bitteren und langen Schlacht. Das Ende lässt einige Fragen offen und verlangt nach einer Fortsetzung.

SARA TRAILOVIC

 


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