Sprechen, worüber andere schweigen

  14.05.2019 Gstaad, Ausstellung

«Häusliche Gewalt» – 60 Personen, davon erstaunlich viele Männer, stellten sich dem schwierigen Thema. Es war schwere Kost, welche die Sozialarbeiterin Annelis Eichenberger und die selbst betroffene Autorin Louise Hill servierten. Christa Cairoli, Präsidentin der Soroptimists Gstaad-Saanenland, zeigte sich überwältigt von den vielen Besuchern/innen, die am vergangenen Freitag den Weg ins Kirchgemeindehaus Gstaad fanden.

VRENI MÜLLENER
Die interaktive Ausstellung «Willkommen zu Hause» will die Hemmschwelle tief halten, über ein Tabuthema zu sprechen, von dem jede fünfte Frau und bis zu 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen in der heutigen Gesellschaft betroffen sind. «Leider ist heute für viele das Zuhause kein Ort mehr von Liebe, Geborgenheit und Sicherheit», erklärte Annelis Eichenberger, die einen Einblick gab, wie das Projekt zustande gekommen ist. Verschiedene Fachstellen des Kantons Luzern entwickelten diese Ausstellung, um ein Zeichen zu setzen gegen häusliche Gewalt. Dabei wird gesprochen, worüber andere schweigen. Es werden Wege aus der Gewaltspirale aufgezeigt, indem über das lokale Hilfsangebot und geltende Gesetze informiert wird.

Mut machen zum Hinsehen und Handeln
Die Ausstellung bezweckt aber auch, dass Vorgesetzte, Mitarbeitende und Freunde/innen sich getrauen, bei Verdacht auf Gewalt nicht wegzuschauen, sondern das Problem anzusprechen und dadurch vielleicht einen ersten Schritt zu tun, um eine schwierige Familiensituation zu verändern. «Betroffene, meist Frauen, die sich Hilfe holen – sei es bei der Behörde, im Familienund Freundeskreis oder in einem Frauenhaus –, zeigen dadurch nicht Schwäche. Im Gegenteil, sie sind bereits meistens stark und das Erlebte stärkt sie noch zusätzlich», betonte die Sozialarbeiterin. In einem Frauenhaus würden verschiedenste Menschen aufeinandertreffen. Es biete Sicherheit und dank den Kindern, die dort seien, fänden viele Opfer auch wieder Lebensfreude, so die Leiterin des Frauenhauses Luzern.

Gewalt in Familie und Partnerschaft geht alle an
Dass die Bevölkerung des Saanenlandes Aufklärung über diese traurige Realität bekommt, ist der Sozialarbeiterin Ursula Breuniger zu verdanken. Sie leitete es in die Wege, dass «Willkommen zu Hause» nach Gstaad kommt. Sie weiss aus ihrer Berufserfahrung, dass diese Entwicklung vor dem Berggebiet nicht Halt macht. Mit viel Liebe und Engagement haben die Frauen der Soroptimits Gstaad-Saanenland die Ausstellung ins Saanenland geholt. Unterstützung bietet ihnen der Seniorenrat, dessen Mitglieder während den Öffnungszeiten die Aufsicht übernehmen. Die Ausstellung beleuchtet die unterschiedlichen Facetten des Themas Gewalt in Beziehungen und in der Familie. Sie ist nicht ganz leicht verdaulich. Es hat sich bewährt, zwischen den einzelnen Themen eine Pause einzuschalten, um von all den Informationen nicht überflutet zu werden. «Es ist wichtig, dass Ansprechpersonen anwesend sind,» betonte Annelis Eichenberger, «das Ausstellungsgut kann Emotionen wecken, die vielleicht nicht allein verarbeitet werden können.» Trotzdem ist es von grosser Bedeutung, wenn ein breit gefächertes Publikum die einmalige Gelegenheit wahrnimmt, sich vertieft mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Die dabei ausgelösten Gedanken wurden bestimmt in manchem Schlafzimmer noch weitergewälzt, bevor die Nachtruhe einkehren konnte.

Bewusst machen – Stellung nehmen – handeln
So lautet das Motto der Soroptimists Gstaad Saanenland. Diese noch junge Organisation gibt es seit sechs Jahren, derzeit gehören ihr 21 Mitglieder an. Soroptimist International ist die grösste Serviceclub-Organisation von berufstätigen Frauen und feiert in zwei Jahren den 100. Geburtstag. Weltweit gibt es in 125 Ländern 3000 Clubs mit 75’000 Mitgliedern. Soroptimist versteht sich als globale Stimme für die Rechte für Frauen und Kinder, ist politisch neutral und an keine Religion gebunden. Sie ist eine NGO (Nichtregierungsorganisation) und hat konsultativen Status bei der UNO. SI ist Mitglied des ständigen Komitees der UNESCO. Soroptimist (sorores optimae) ist lateinisch und heisst frei übersetzt: «Schwestern, die das Beste wollen».

«Mein bitteres Leben mit dem Zuckerbäcker»
Als Direktbetroffene las Louise Hill aus ihrem Buch «Teufelskreis – mein bitteres Leben mit dem Zuckerbäcker». All ihre Erlebnisse niederzuschreiben war für die Autorin ein Weg, ihre 20 Ehejahre mit einem gewalttätigen Mann zu verarbeiten. Sie erzählte offen darüber, wie sich eine Traumbeziehung wandeln kann und ist überzeugt, dass es alle treffen kann, unabhängig von Hautfarbe, Bildung und Religion. Sie hat ihre Geschichte aber auch aufgeschrieben, um Betroffenen zu zeigen, dass es einen Ausweg aus der schwierigsten Situation gibt. Ein solcher Weg kann äusserst hart sein und der Rucksack, den man weiterträgt, bleibt schwer. «Dennoch lohnt es sich, auszubrechen, wenn Gewalt und Terror den Beziehungsalltag beherrschen», ist die Mutter von drei Kindern überzeugt.

Louise Hill: «Teufelskreis – mein bitteres Leben mit dem Zuckerbäcker», www.louisehill.ch Öffnungszeiten der Ausstellung: Donnerstag, 16. Mai, 9 bis 11 Uhr und 17 bis 20 Uhr. Freitag, 17. Mai, 9 bis 11 Uhr. Öffentliche Führungen Donnertag, 16. Mai, um 9 und 17 Uhr . www.soroptimist-gstaad-saanenland.chwww. soroptimist-gstaad-saanenland.ch

 


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