Wildruhezonen, Risiken und Nachwuchs

  07.05.2019 Gstaad

Der Bergführerverein Gstaad-Lenk feiert heuer sein 100-Jahr-Jubiläum. Deshalb gibt er Einblick in sein tägliches Schaffen und in geschichtliche Begebenheiten. Die ehemaligen Präsidenten Armin Oehrli, Arnold Hauswirth, Ueli Hauswirth und der aktuelle Präsident Peter Sollberger erzählen von den grossen Risiken im Beruf und wofür sie sich einsetzen.

BLANCA BURRI
Die drei ehemaligen Präsidenten und der aktuelle Obmann Peter Sollberger sitzen rund um den Salontisch bei Müller Medien. Für einmal beklimmen sie keinen Berg, sondern geben Einblick in die letzten 25 Jahre der hiesigen Bergführergeschichte. Der Bergführerverein macht sich für diverse Themen stark. Auch für den Personentransport, wie das nachfolgende Beispiel zeigt. Das Kraftwerk Sanetsch erneuerte die Transportbahn Mitte der 1990er-Jahre. Dem Bergfühererverein schwebte vor, auch Gäste auf den Sanetsch zu transportieren. Nach einigen Begehungen und Sitzungen stimmte das Kraftwerk dem Projekt zu. Dies hatte aber finanzielle Folgen: Die Gemeinden, der Hotelierverein, die Bergführer sowie weitere steuerten einen Obolus an die Mehrkosten bei, die durch zusätzliche Auflagen entstanden. Die Gäste danken es den innovativen Vordenkern noch heute, weil sie die rund 1000 Höhemeter seither mit der Gondel statt zu Fuss überwinden können. Ueli Hauswirth: «Auch der Winterdienst ist wertvoll.» Dieser ist aber nur für Gruppen in Begleitung eines Bergführers möglich.

Die Lenker kamen zu Gstaad
Ein Meilenstein in der 100-jährigen Geschichte des lokalen Bergführervereins ist die Zusammenlegung mit dem Bergführerverein Lenk. Mit nur elf Mitgliedern war der Lenker Verein recht klein und die zahlreichen Aufgaben konnten auf nur wenige Schultern verteilt werden. Mit 35 Mitgliedern stellten die Gstaader dreimal so viele Mitglieder. Gegenüber dem Zusammenschluss mit dem Nachbartal waren die Gstaader positiv eingestellt. «Das macht heute grossen Sinn, weil wir zusammen mehr politisches Gewicht haben – auch an den Schweizerischen Delegiertenversammlungen», betont Arnold Hauswirth. Obwohl die Zusammenlegung bereits 1999 vollzogen wurde, heisst der Verein erst seit 2006 Bergführerverein Gstaad-Lenk.

Fünf Tagestarife für ein paar Schuhe
Entgegen dem heutigen Kartellgedanken waren die Bergführertarife früher fix festgelegt. «Jeder Gipfel und jede Route in den Patentkantonen hatte früher einen bestimmten Tarif. Diesen stellten die Bergführer den Gästen in Rechnung», erinnert sich Armin Oehrli. Die Patente wurden um die Jahrtausendwende aufgehoben und durch allgemeine mittlere Tagestarife ersetzt, die sich um 500 Franken pro Tag bewegen. Natürlich sind sie nicht fix, das wäre wegen den verschiedenen Längen der Routen und wegen dem Kartellgesetz nicht möglich. Und doch geben sie einen gewissen Rahmen, an den sich alle halten. Armin Oehrli schaut zurück: «Als ich vor 40 Jahren die ersten Gäste führte, habe ich pro Tag 140 Franken erhalten.» Fünf solcher Tagestarife musste er für ein paar neue Bergschuhe beim Spezialisten hinblättern. «Heute erhält man für fünf Tagesansätze mehrere Schuhe oder ein Luxusmodell», lacht er. Damals waren die Waren noch teuer, dafür die Manneskraft günstig – welch grosser Unterschied zu heute.

20-fache Versicherungssumme
Auch bei der Versicherung hat sich viel getan. Ganz am Anfang, also nach dem ersten Bergführerkurs 1856, lag die Versicherung bei 500 Franken pro Bergführer. Dieser Betrag musste beim Regierungsstatthalter deponiert werden. Das System wurde später von der Berufshaftpflicht abgelöst. In den 1980er-Jahren lag sie bei einer halben Million Franken, heute bei 10 Millionen Franken.

Klettersteige und mehr
Dank der vor etwa 15 Jahren erbauten Kletterhalle Vertical Gstaad können die Bergführer und alle anderen Interessierten nun auch im Winter regelmässig trainieren. Die Halle befindet sich im hinteren Bereich der Dreifachturnhalle Ebnit und wird von ganz vielen verschiedenen Sportlern genutzt. «Die Idee dafür entstand bei einer lustigen Runde von ein paar SAC-Oldenhorn-Mitgliedern im Skiclubbeizli in Saanen.» Peter Sollberger lacht bei der Erinnerung an den Abend. Der Trägerverein heisst Vertical Gstaad und hat zwei Mitglieder: Der SAC Oldenhorn und der Bergführerverein Gstaad-Lenk. Weil die Kletterhalle auch von weiteren Nutzern wie der Schule oder Jugend+Sport gebraucht werden kann, fand die Idee auch bei der Gemeinde grossen Anklang. Für den Bau hat auch der Bergführerverein 2003 einen Betrag gesprochen. Aber nicht nur in die Kletterhalle hat der Bergführerverein investiert, er unterhält vorhandene Kletterrouten, Klettersteige und verbessert dessen Zustiege, sodass sie sich in einem Topzustand befinden. Ebenfalls schwentet er für Skitouren wichtige Zonen und unterstützt damit die Landwirtschaft. Stalden, Walighürli, Meiel, Rodomont, Seeberg sind nur einige der Parzellen, die bei solchen Einsätzen von Gestrüpp und Sträuchern (Drosle) gesäubert wurden.

Mit harten Bandagen gekämpft
Im Zug der kommunalen Zonenplanung um die Jahrtausendwende gab es in der Skitourenszene grossen Aufruhr. Ohne Absprache mit allen Anspruchsgruppen und ohne den vorgegebenen Amtsweg zu gehen, sind die Wildruhezonen stark ausgeweitet worden. Somit kam eine Skitourenkarte mit Daten auf den Markt, die nicht abgestützt waren. «Es war der Beginn von zähen Verhandlungen», blickt Arnold Hauswirth zurück. Die Skitourenkarte sei aufgrund des Drucks des Bergführervereins schliesslich vom Markt genommen worden. «Im Anschluss haben wir mit harten Bandagen gekämpft», blickt er zurück. Dank der Kompromissbereitschaft beider Parteien sei es gelungen, eine Lösung zu finden. Auf der neuen Skitourenkarte waren die für das Saanenland typischen vielen kleinen Ruhezonen abgedruckt. Somit können traditionell begangene Skitouren über Korridore zwischen den Ruhezonen weiterhin begangen werden.

Gleiches Spiel – neue Behörde
Das gleiche Spiel drohte sich letzten Frühling zu wiederholen, als der Kanton die ursprünglich nur als Jagdeinschränkungszonen (Wildschutzzonen) ausgeschiedenen Gebiete plötzlich zu Wildruhezonen machen wollte. «Der Vorschlag des Kantons hätte sehr viele Restriktionen zur Folge gehabt», hält Peter Sollberger, aktueller Präsident der Bergführer Gstaad-Lenk, fest. Man habe sich mit dem Kanton dahingehend einigen können, dass sich im Winter nichts ändert. «Als einzige Einschränkung könnte es ein Weggebot während den Frühlingsmonaten geben, wenn viele Tiere ihre Jungen zur Welt bringen und aufziehen, oder wenn Vögel die Eier ausbrüten.» Die Zusammenarbeit mit den Kanton sei schwierig, weil die Anpassungen per Salamitaktik gebietsweise und nicht einheitlich im ganzen Kanton gemacht würden. Auch würden terminliche Abmachungen nicht eingehalten. Noch sind die Verhandlungen nicht abgeschlossen und somit ist der Entscheid noch nicht rechtskräftig. Die Zukunft wird zeigen, welche Anpassungen gemacht werden müssen.

Unfälle gehören zum Berufsleben
«Ein Bergführer sollte immer wieder nach Hause zurückkehren», ist die einstimmige Meinung der vier Bergler. Aber eben, in den Bergen ist man vielen Elementen ausgesetzt: Wetter, Lawinengefahr, Permafrost sowie Steinund Eisschlag. Aber auch das Niveau und Verhalten der Gäste spielt eine Rolle. Das Risiko, von der Arbeit nicht zurückzukommen, ist deshalb beim Bergführer höher als bei anderen Berufsgattungen. Manchmal stürzen auch sehr umsichtige und erfahrene Führer zu Tode. Der letzte Bergunfall eines einheimischen Bergführers betraf Christian Scheuner vor einem Jahr, als er von einer Skitour mit einem Gast nicht zurückkam, weil eine Wächte abbrach. Die vier Bergkameraden erinnern sich an weitere Unfälle. Zum Beispiel als vor elf Jahren ein Vereinsmitglied in der Kletterhalle verunfallte und seither nicht mehr als Bergführer arbeiten kann.

Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit
Ein Ereignis ging den Bergführern besonders unter die Haut: Der damals bedeutendste Alpinist, Erhard Loretan, kam 2011 bei einem Mitreissunfall ums Leben. «Das grösste Risiko in unserem Beruf», erklärt Ueli Hauswirth. Als Mitreissunfall bezeichnet man, wenn ein Mitglied einer Seilschaft, die am kurzen Seil geht, in die Tiefe stürzt und seinen Seilpartner mitreisst. Am kurzen Seil bedeutet je nach Gelände 2 bis 4 Meter zwischen Bergführer und Kunde. «Da muss man immer zu 100 Prozent bereit sein, um den Gast bei einem allfälligen Sturz halten zu können und nicht selbst in die Tiefe mitgerissen zu werden. Man legt das Seil zu Sicherheitszwecken immer wieder über einen Felszacken oder so, dies ist aber nicht immer möglich, auch aus zeitlichen Gründen nicht», erklärt Hauswirth. Deshalb sei es wichtig, dass man auf schwierigen Routen nur wenige Gäste miteinander führt. «Einmal sollte ich zwei Gäste von der Mönchshütte auf den Mönch führen, aber es standen vier Gäste bereit», berichtet Arnold Hauswirth. Er habe sich aber vom Bergführerbüro nicht unter Druck setzen lassen. Er sei zwei Mal aufgestiegen und habe dem Büro zwei Rechnungen gesendet. Das habe natürlich finanzielle Konsequenzen gehabt, weil das Büro mit diesem Vorgehen nicht einverstanden gewesen sei und er nicht den ganzen Betrag erhalten habe. Aber die Sicherheit sei ihm wichtig gewesen. «Für junge Führer ist es sicherlich nicht immer einfach, diesem Druck standzuhalten», fügt er an.

Gerade deshalb setzt sich Peter Sollberger für die obligatorischen Fortbildungskurse ein. Darin werden die Sicherheitsthemen immer wieder frisch aufgerollt und explizit geschult.

Fast 90 Jahre ohne Statuten
Der Verein musste 88 Jahre alt werden, bis er zu Statuten kam. Armin Oehrli: «Ich habe immer gesagt: Solange wir zusammen reden, brauchen wir keine Statuten.» Unter dem Präsidium von Arnold Hauswirth passte man sich den Ansprüchen von Banken und Öffentlichkeit schliesslich an. Der Verein arbeitete Statuten aus und genehmigte sie an der Hauptversammlung von 2007. Armin Oehrli meint augenzwinkernd: «Arnold war schon immer der Genauere als ich.» Das Gespräch mit den drei ehemaligen und dem aktuellen Präsidenten zeigt: Trotz der Statuten tauschen sich die Vereinsmitglieder heute regelmässig aus.

Arnold Hauswirth: «Für viele administrative Aufgaben sind die Statuten eine Stütze, es geht einfach nicht mehr ohne.»

Wanderleiter und Kletterlehrer
Bereits seit zehn Jahren kann man die damals neue Wanderleiterausbildung inzwischen absolvieren. Sie beschränkt sich im Winter wie im Sommer auf Wanderungen. Mit der Wanderleiterin Beatrice Hauswirth nahm der Verein 2012 die erste Frau auf. Carla Jaggi ist die erste weibliche Bergführerin im Bergführerverein Gstaad-Lenk, sie ist dem Verein vor vier Jahren beigetreten.

Auf sie sind die hiesigen Bergführer besonders stolz. Sie ist Botschafterin der Sportmarke La Sportiva und war als Bergführerin bereits für das Schweizer Fernsehen im Einsatz. Peter Sollberger: «Sie ist ein tolles Aushängeschild unseres Berufstandes. Sie ist eine Top-Alpinistin, filigran, weiblich, kommunikativ und hat ein grosses Beziehungsnetz.»

Als einer der erfolgreichsten und fähigsten Apinisten gilt noch immer der Lauener Jakob Reichen. Er war schon oft im Himalaya, hat seine fünf Achttausender alle ohne Sauerstoff und im Alpinstil bestiegen. Er unternahm gemeinsam mit Mike Horn diverse Abenteuer in luftiger Höhe.

«Nachwuchs ist uns wichtig»
Das Durchschnittsalter der Bergführer liegt bei über 50 Jahren, das hat dem Vorstand zu denken gegeben. Deshalb bietet er seit einigen Jahren Schnuppertage bezüglich Theorie und Praxis an. «Auch Carla Jaggi hat so ein bisschen Bergführerluft geschnuppert», weiss Armin Oehrli. Inzwischen sind auch Bernhard Raaflaub (Gstaad) und Florian Bovet (Lenk) in der anspruchsvollen und teuren Bergführerausbildung. Weitere junge Alpinisten überlegen sich, das Bergführerpatent anzustreben. Auch der Kantonalverband setzt sich für die Nachwuchsförderung ein: Erträge von gemeinnützigen Arbeiten fliessen in einen Fonds zugunsten derselben.

Durch die neue Boulderhalle an der Lenk gibt es eine weitere Möglichkeit für junge Leute, an ihrer Technik zu feilen. «Das ist gut für den Nachwuchs im Obersimmental», ist Sollberger überzeugt. Der Bergführerverein ist zudem bestrebt, einen Fonds zu gründen, der für die Nachwuchsförderung, aber auch für weitere Projekte des Vereins eingesetzt werden kann. «In anderen Regionen gibt es das bereits. Gäste wie Bergsportfreunde zahlen dort freiwillig ein und unterstützen damit tolle Sachen.»

Neben dem Nachwuchs ehrt der Verein auch die langjährigen Mitglieder: Armin Oehrli wurde vor kurzem für seine Verdienste im schweizerischen und internationalen Bergführewesen zum Ehrenmitglied ernannt. «Seinetwegen haben wir eigens die Statuten geändert», lacht Ueli Hauswirth. Dem Bergführerverein gehen die Ideen trotz seines hohen Alters nicht aus. Diverses wird angedacht. Momentan steckt er mitten in der Planung einer Sonderausstellung im Museum Saanen. Bis es soweit ist, folgen noch unzählige Touren auf die umliegenden Gipfel, welche die Bergführer hoffentlich sicher unternehmen.

 


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