«Das Herzblut muss enorm sein»

  07.06.2019 Kultur

Er hat die hiesige Theatergruppe «Alpekomedi» mitgegründet und steht jetzt an der Spitze des Volkstheaterfestivals in Meiringen. Mit dem Theatervirus hat Thierry Ueltschi sich bereits während seiner Schulzeit im Saanenland infiziert.

SARA TRAILOVIC

Sie sind im Vorstand des Landschaftstheaters Ballenberg und leiten seit elf Jahren eine eigene Theatergruppe in Meiringen. Wann nahm Ihre Begeisterung für das Volkstheater ihren Anfang?
Während meiner Primarschulzeit in Gsteig. Thomas Raaflaub, mein damaliger Lehrer, hatte eine Leidenschaft fürs Theater. Er hat immer wieder Stücke mit uns eingeübt und so seine Begeisterung auf mich übertragen. Kurz nach meinem Schulabschluss gründeten wir dann zusammen die Theatergruppe «Alpekomedi».

Wie kam es dazu?
Unter der Regie von Thomas Raaflaub brachten wir zur Eröffnung des neuen Primarschulhauses in Feutersoey das Stück «Holzers Peepshow» auf die Bühne – das war 1995. Kurz darauf sass ich zusammen mit Thomas in einer Sauna in Gstaad. Wir redeten über den Erfolg der Aufführungen und wurden uns schnell einig, dass wir die Theatergruppe weiterführen wollten. Der Name «Alpekomedi» entstand noch in dieser Sauna.

Wie war es für Sie, bei Ihrem Umzug nach Meiringen die «Alpekomedi» in andere Hände weiterzugeben?
Es war schon hart, das Projekt loszulassen, nachdem ich fast zehn Jahre lang als Präsident und Schauspieler viel Energie reingesteckt hatte. Auch war zu diesem Zeitpunkt nicht klar, ob die Gruppe überhaupt weiterbestehen würde.

Sie zogen nach Meiringen, wo Sie bis heute hauptberuflich bei der Polizei arbeiten. Das scheint nicht viel mit Ihrem Hobby gemeinsam zu haben …
Der Alltag ist für mich als Regisseur die grösste Inspirationsquelle. Als ich früher im Aussendienst eine Wohnung betrat, sah ich oft bereits ein Bühnenbild vor mir, das zusammen mit den Menschen darin eine Geschichte erzählte. Auch in meiner jetzigen Position als Korps-Fahrlehrer erlebe ich immer wieder drehbuchtaugliche Momente. In meinem Kopf bildet sich jeweils eine genaue Vorstellungen davon, wie eine Rolle sein soll. Die Herausforderung ist es, diese mit dem Charakter der Schauspieler zu vereinbaren.

Ist es nicht die Aufgabe eines Schauspielers, sich selbst zurückzunehmen?
Bei professionellem Theater ist das so, aber beim Volkstheater hat man es mit Laien zu tun. Dabei besteht eine Rolle immer zur Hälfte aus dem Charakter der darstellenden Person. Um als Laie auf die Bühne zu stehen und dich während einer Stunde blosszustellen, musst du schon etwas narzisstisch sein. Das bedeutet, der Notar aus Meiringen muss dazu stehen, einen Schwulen zu spielen, der in pinker Unterwäsche auf der Bühne steht.

Sie sagen «blossstellen» – liegt das auch an den vielen Flachwitzen?
Schauen Sie, Volkstheater definiert sich nicht durch Schenkelklopfer, sondern dadurch, dass keine bezahlten Profis auf der Bühne stehen.

Würden Sie lieber mit professionellen Schauspielenden arbeiten?
Nein, auf keinen Fall! Genau das Laienhafte macht für mich die Faszination aus. Beim Volkstheater stehen Leute auf der Bühne, die nicht für ihren Einsatz bezahlt werden, das Herzblut muss dementsprechend enorm sein. Wenn du als Profi ein Stück 300 Mal aufführen musst, ist irgendwann die Motivation einfach weg – was bleibt, ist reines Handwerk. Gerade letzten Samstag habe ich Beat Schlatter getroffen. Er hat mir erzählt, dass es am Volkstheaterfestival einen Schauspieler geben werde, der besser spiele als viele professionelle Darsteller.

Wie heisst dieser Schauspieler?
Das weiss ich auch nicht. Wenn er tatsächlich so gut ist, wird er mir am Festival auffallen.

Mit dem Volkstheaterfestival stellen Sie einen Grossevent auf die Beine. Wollen Sie sich in Zukunft hauptberuflich dem Theater widmen?
Es wäre schon eine Ziel, allerdings ein sehr hochgestecktes. Ich habe ohnehin mehr als vier Monate ehrenamtliche Arbeitszeit in das Festival gesteckt. Das ganze Team hilft ohne Bezahlung mit, da steckt wie bei den Schauspielenden sehr viel Herzblut dahinter. Diese Motivation soll erhalten bleiben, deshalb müssen wir aufpassen, dass wir nicht zu professionell werden. Es soll auf keinen Fall eine Finanzmaschinerie entstehen, das würde dem Grundgedanken des Volkstheaterfestivals nicht entsprechen.

Und der wäre?
Wir wollen Theaterschaffende aus der ganzen Schweiz zusammenbringen. Der Wettbewerb steht inzwischen nicht mehr im Mittelpunkt, denn wir wollen Neid vermeiden. Es gibt ein Rahmenprogramm für Theaterschaffende und dann aber auch das Fest an sich mit Essen, Musik und dem gesellschaftlichen Beisammensein.

In einer Wochen ist es soweit. Sind Sie zufrieden mit den Vorbereitungen?
Absolut! Der Einsatz der Theatergruppen stimmt mich sehr positiv, sie scheuen keinen Aufwand. Einige müssen ihr ganzes Bühnenbild neu bauen, die meisten nehmen extra eine Woche Ferien um nach Meiringen zu kommen. Falls der Event gelingt, wird Meiringen zum Theatermekka der Schweiz, denn so etwas gab es bis jetzt noch nie. Wir hatten 37 Anmeldungen für den Wettbewerb, viel mehr als erwartet. Auch erstaunlich sind die Anzahl Logiernächte. Wir haben mit ein paar Dutzend gerechnet, mittlerweile sind es über 460.

Beat Schlatter bezeichnete Sie einst als Claude Nobs – Mitbegründer des Montreux Jazz Festival – der Volkstheaterszene. Ändert die Organisation des Grossanlasses etwas an Ihrer persönlichen Rolle im Theaterwesen?
Früher war ich vor allem Regisseur und Schauspieler, heute bin ich mehr Motivator. Wenn es mal klemmt oder jemand motivationstechnisch ansteht, dann helfe ich. Aussenstehende können sich gar nicht vorstellen, wie viel Aufwand und Zeit in einem Theater steckt. Und auch welche Vielfalt. Ich würde behaupten, dass es zigmal schwieriger ist, eine Theatergruppe zu führen als eine Fussballmannschaft.

Wieso?
Weil in einer Theatergruppe Menschen mit sehr vielfältigen Hintergründen und Vorstellungen aufeinandertreffen und die Anforderungen sehr komplex sind. Es gibt keine einheitlichen Regeln wie beim Sport.

Die «Alpekomedi» hat sich nicht für das Volkstheaterfestival qualifiziert. Ein persönlicher Wermutstropfen?
Ich hätte die «Alpekomedi» gerne auf der Bühne gesehen. Aber ich zweifle keineswegs am Urteil der Jury, das sind Topleute. Die Theatergruppe wird trotzdem am Festival dabei sein, alle Kandidaten können nämlich gratis am Rahmenprogramm und den Workshops teilnehmen. Falls alles gut läuft, wird das Festival in Zukunft einmal im Jahr stattfinden. Das heisst, die Gruppe kann sich für das nächste Jahr bewerben.

Sehen Sie gute Chancen für die «Alpekomedi»?
Ja, absolut. Ich weiss, dass die Gruppe das «Zeug» dazu hat. www.volkstheaterfestival.ch


ZUR PERSON

Thierry Ueltschi ist in Feutersoey aufgewachsen und hat 1995 zusammen mit Thomas Raaflaub die Theatergruppe «Alpekomedi» gegründet, die seither jedes zweite Jahr ein Stück auf die Bühne im Saanenland gebracht hat. Seit 2004 lebt er zusammen mit seiner Partnerin in Meiringen. Dort gründete er vor 11 Jahren seine eigene Theatergruppe «Glinggige», die er bis heute als Regisseur leitet. Hauptberuflich arbeitet der 43-Jährige als Korps-Fahrlehrer bei der Polizei.


VOLKSTHEATERFESTIVAL

Vom 12. bis 16. Juni 2019 findet das erste Schweizer Volkstheaterfestival in Meiringen statt, initiiert von Thierry Ueltschi und Schauspieler Beat Schlatter. Der Event besteht aus drei Teilen: dem Wettbewerb zwischen acht von einer Jury ausgewählten Theatergruppen, einem Rahmenprogramm für Schauspieler und Regisseure aus der ganzen Schweiz und natürlich einer Festwirtschaft mit Musik und Kulinarik für alle Besucher und Besucherinnen. Die hiesige Theatergruppe konnte sich dieses Jahr nicht für einen Auftritt qualifizieren, das Saanenland wird aber trotzdem zahlreich vertreten sein. So sitzt beispielsweise Mike von Grünigen in der Theaterjury und Thomas Raaflaub ist im Organisationskomitee für die Kommunikation zuständig.


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