Das Swatch Major Gstaad ist ein emotionaler Schleudergang

  16.07.2019 Sport

Wer ans Gstaader Beachvolleyball-Turnier geht, weiss worauf er sich einlässt. Dass das nicht in jedem Fall so ist, zeigte sich an der 20. Ausgabe jenes sportlichen Wettstreites, der inzwischen fest mit den Menschen hier verwachsen ist.

JENNY STERCHI
Wie fest die Verbindung zu den Menschen hier wirklich ist, zeigt sich allein daran, dass der offizielle Name kaum gebraucht wird. «Wir sehen uns am Beach», so lautet die kurze, aber genügend informative Ansage unter den Einheimischen.

Zum vierten Mal durfte ich am Swatch Major Gstaad die Berichterstattung aus sportlicher Sicht für den «Anzeiger von Saanen» übernehmen. Das «Beach-Virus» befällt mich jedoch immer wieder aufs Neue und damit bin ich nicht allein. Jedes Jahr Mitte Juni wächst auf dem Eisbahnareal eine Beachvolleyball-Arena, die von drei mächtigen Tribünen umrahmt wird. Und damit wächst auch die Spannung und Vorfreude auf sechs Turniertage, an denen sich das Dorf irgendwie im Ausnahmezustand befindet.

Am vergangenen Wochenende wurden zum 20. Mal die Finalspiele ausgetragen und die Kapazität an Sitzplätzen war ausgeschöpft. Knapp 6000 Zuschauer freuten sich und litten mit den Schweizer Spielerinnen und Spielern. Und ich war eine von ihnen.

Es roch jeweils nach Pommes frites und Sonnencreme, wenn man in der Turnierwoche am Eisbahnareal vorbeischlenderte. Zu Wochenbeginn war meist nur der Speaker bis weit ins Dorf zu hören. Aber dann, als die ersten Schweizer Spieler den Sand betraten, kommentierten die Jubelrufe des plötzlich zahlreichen Publikums den Spielverlauf weit hörbar. Die Mittagspausen der Unternehmen und Geschäfte wurden wie selbstverständlich ins Beach- Village verlegt. Und plötzlich interessieren sich auch die Wintersportler und Sportmuffel für die Damen und Herren im Sand.

Ich verfolgte das Spiel der beiden Russen, die in der vorhergehenden Woche Weltmeister geworden waren. Natürlich behielt ich auch die Norweger im Auge. Sie waren nach ihrem Titelgewinn in Gstaad im letzten Jahr schliesslich so richtig durchgestartet. Und dann fielen mir die zwei Herren aus Qatar auf. Samba Cherif Younousse und Janko Ahmed Tijan wurden nicht nur Gruppensieger, sie schafften es sogar bis in den Viertelfinal. Und selbst dort sorgten sie mit dem Gewinn des ersten Satzes gegen die später drittplatzierten Brasilianer für Aufsehen. Die Unterstützung, die sie in ihrer Aussenseiterrolle auf den Side-Courts, fernab des grossen Rummels, erhielten, rührte mich. Sie kamen weiter als die amtierenden Weltmeister, die in zwei Sätzen von einem brasilianischen Team nach Hause geschickt wurden, ohne zeigen zu können, wozu sie eigentlich imstande wären.

Und so hielt ich es auch für eine unglaubliche Ungerechtigkeit, dass Mirco und Adrian gegen die Brasilianer nicht bestehen konnten. Ich stand mit meiner Kamera am Rande des Spielfeldes und bewegte mich parallel dazu am Rande des Wahnsinns. Warum klappte es einfach nicht mehr? Mit jedem Fehler wurde Mirco wütender. Man hörte und sah es ihm an. Und ich gab ihm recht. Es war doch wirklich nicht zu glauben. Und nachdem ich am Morgen schon Anouk und Joana nägelkauend beim Verlieren zugesehen hatte, begann ich mich so langsam zu fragen, ob es vielleicht etwas mit mir zu tun hatte. Ich habe schon oft gehört, dass Menschen den Eindruck haben, sie bringen sportliches Unheil für die Athleten, denen sie zuschauen. Ich wollte keinesfalls dem Aberglauben verfallen, verzichtete aber vorsorglich auf die Liveverfolgung des Achtelfinals von Nina Betschart und Tanja Hüberli. Daheim auf dem Natel verfolgte ich via Internet nicht etwa das Spiel selber, sondern nur die Punktevergabe. Ich wollte lieber auf Nummer sicher gehen. Und tatsächlich gelang ihnen der Sieg, zwar knapp und in drei Sätzen, aber Sieg ist Sieg.

Den Beginn des ersten Satzes des unglaublichen Viertelfinalmatches der beiden Damen sah ich von der Lauenentribüne aus. Die Dame und der Herr zu meiner Rechten wirkten ein wenig verstört. Sie seien aus dem Baselbiet und wollten hier ein paar freie Tage verbringen: «Wir sind hier eher zufällig reingeraten.» Aber die Bewunderung für den Sport und die Energie, die in der Luft lag, hatte die beiden schon komplett eingenommen.

Zurück auf meiner Fotoposition am Spielfeldrand wurde ich getroffen vom frenetischen Jubel bei jedem Punkt, den sich die Schweizerinnen erspielten. Und im gleichen Augenblick empfand ich auch so etwas wie Mitleid für die Gegnerinnen. Die beiden Slowakinnen spielten nicht nur gegen die Schweizer Spielerinnen, sondern gegen ein ganzes Stadion. Und ich hörte mich selber jeden Schweizer Punkt bejubeln. Dann entdeckte ich doch noch eine Handvoll slowakischer Fans. Während sich Nina und Tanja, getragen von einem Publikum ausser Rand und Band, in einen Rausch spielten, beobachtete ich, wie auf der slowakischen Zuschauerbank die Hoffnung schwand und bei einem Fahne schwingenden Mädchen dicke Tränen kullerten.

Ich wagte mich in den Halbfinalmatch und prompt ging er für Nina und Tanja verloren. Ein riesiger Vorsprung schmolz und ich hatte das Gefühl, irgendetwas machen zu müssen. «Als Zuschauer bist du echt machtlos», dachte ich. Durch den Sucher meiner Kamera sah ich die Ratlosigkeit bei den Spielerinnen, während bei den US-Damen alles wie aus dem Lehrbuch zu laufen schien.

Als dann auch noch das Bronzespiel verloren ging, war ich sicher, dass an diesem Tag sicher keine Stimmung mehr aufkommen würde. Bei den Tausenden Zuschauern nicht und erst recht nicht bei mir. Was ich stattdessen erfuhr, war, dass der Zuschauer eben doch nicht so machtlos ist. Mit stehenden Ovationen und dankbaren Jubelrufen verabschiedete sich das Publikum von Nina und Tanja, dass es ihnen die Sprache verschlug und Tränen der Rührung in die Augen trieb. Ich selber war heilfroh, dass ich mich hinter meiner Sonnenbrille verstecken konnte. Aber beim Blick in die Zuschauermenge stellte ich erleichtert fest, dass es wohl die wenigsten kalt liess.

Einem so bewegungsreichen Sport mit riesigem Spassfaktor und vielleicht auch ein bisschen Ferienstimmung hätte ich vorher niemals so viel Emotionalität zugetraut. Vielleicht ist es das Zusammenspiel oder die schnellen Erfolge, da in jedem Ballwechsel ein Punkt steckt, die die Spannung so weit treiben, dass zwischen absolutem Glücksgefühl und grenzenloser Wut nicht viel Platz ist. Das und die besonders emotionalen Momente, die ein Rückblick auf 20 Jahre Turnier und auf das, was die Organisatoren da geschaffen haben, so mit sich bringt, liessen das Swatch Gstaad Major für mich zu einem emotionalen Schleudergang werden.

Der Puls hatte sich normalisiert, die Gänsehaut war verschwunden und ich ging los, meine Kinder vom Kids-Corner abzuholen. Das ist der Kinderhort, der von den Turnierorganisatoren im Laufe der Jahre immer weiterentwickelt wurde. Mit selbst gebasteltem Zauberstab, Glitzertattoos auf den Händen und einem tollen Picknicksack kamen mir meine beiden Mädels entgegen mit der Ankündigung, ganz sicher morgen wieder hinzugehen. Mir und vielen anderen Mamas und Papas wärmte es das Herz und brachte vielleicht auch ein bisschen Erleichterung, die Kinder unter der Obhut so engagierter, motivierter und offener Helferinnen zu wissen.


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