Ein russischer Kasper, ein Walzer und der bekannteste Bruch

  27.08.2019 Kultur

Das letzten Sonntag im Festivalzelt vorgetragene Menuhin-Konzert befasste sich überwiegend mit Ballettmusik, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand. Lahav Shani führte als Dirigent das Philharmonische Orchester Rotterdam durch den Abend und Vilde Frang spielte das erste Bruch-Geigenkonzert.

ÇETIN KÖKSAL
Igor Strawinskys Ballettmusik «Petruschka» ist in die vier Bilder «Volksfest in der Butterwoche», «Bei Petruschka», «Beim Mohren» und wiederum «Volksfest in der Butterwoche» gegliedert. Darin erwachen drei Puppen eines Gauklers auf einem Jahrmarkt in Sankt Petersburg auf geheimnisvolle Weise zum Leben. Petruschka, der Mohr und die Ballerina provozieren und treiben das Orchester mit ihren Spielchen beinahe in den Wahnsinn. Auf dem Höhepunkt bricht Petruschka, eine dem Kasper entsprechende Figur des russischen Puppentheaters, «schmerzlich klagend» zusammen, wie Strawinsky in seinen «Erinnerungen» berichtet.

Der noch junge Lahav Shani wusste aufs Vorzüglichste die Vorgaben des Komponisten umzusetzen. Am Anfang blickte der Zuhörer verwundert und neugierig auf die plötzlich lebendigen Puppen, dann amüsierte er sich an dem Schabernack, den sie auf dem Jahrmarkt veranstalteten, hörte aber auch, wie die Geduld des Orchesters allmählich strapaziert wurde und die Situation in ein unübersichtliches Wirrwarr mündete. Hervorgerufen haben diese imaginären Bilder in den Köpfen des Publikums die hervorragenden Musiker des Philharmonischen Orchesters Rotterdam im Allgemeinen und seine Bläser im Speziellen. Besonders aufgefallen sind die erste Soloflötistin und der Solofagottist.

Leiser Bruch und Wirbel-Walzer
Vilde Frang begann den zweiten Teil des Konzertabends mit einem sehr zarten Vorspiel zum ersten Satz von Max Bruchs Geigenkonzert Nr. 1 in g-Moll op. 26. Eine eher ungewöhnliche Herangehensweise, von der mit grosser Wahrscheinlichkeit gerade die hinteren Ränge im Festivalzelt nicht viel mitbekommen haben. Selbstverständlich bleibt es bis zu einem gewissen Mass Geschmacksache, wie kräftig und intensiv im Ton das Vorspiel gestaltet wird. Die von Frang nur angehauchte G-Saite war aber dann doch etwas zu untertrieben. Unglücklicherweise blieb dieses Ungleichgewicht der Lautstärke zwischen Solistin und Orchester während des ganzen Konzerts mehr oder weniger bestehen. Dirigent Shani bemühte sich zwar sehr, dass sein grosses Orchester die Solistin nicht permanent übertönte, aber gegen ein solches Kräfteungleichgewicht ist schwer anzukommen, wenn die Solistin einfach nicht lauter spielen will. Schade, denn zweifellos ist sie eine sehr gute und ausdrucksstarke Geigerin. Gerade auch das Adagio arbeitete sie fein differenziert aus. Das Finale – Allegro energico – ging sie mit dem unbedingt notwendigen Temperament an und über ihre tadellosen technischen Fähigkeiten braucht man nicht zu diskutieren.

Das Orchester erwies sich trotz der schieren Kraft als einfühlsamer Partner und bei der Haydn-Solozugabe für Violine war dann auch das Lautstärkeproblem nicht mehr vorhanden. Nun konnten alle Zuhörer den schönen Klang von Vilde Frang geniessen. Mit Maurice Ravels «La Valse», die vom französischen Komponisten als Hommage an Johann Strauss gedacht war, tanzte und wirbelte das Philharmonische Orchester Rotterdam ins Konzertende. Dem aufmerksamen Zuhörer wird dabei nicht entgangen sein, dass der zuweilen stürmische Tanz eher demjenigen von Derwischen als dem höfischen Wiener Walzer glich. Reich beschenkt, aber vielleicht etwas schwindelig, schritt er gemächlich hinaus an die frische Bergluft …


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