Hoch soll er leben, dreimal hoch!

  09.08.2019 Lauenen

Eine Kuh inmitten der Tanzfläche, ein Alpgottesdienst und Kegeln auf dem Land. Sufsunntig – ein Fest mit dem gewissen Etwas.

«Was feiern die denn hier für eine Party?» Ich drehe mich um, vor mir steht ein Mann mittleren Alters in voller Wandermontur, welcher eine Mischung aus Verwirrung und Belustigung auf seinem Gesicht trägt. Ich lache. «Ich bin auch das erste Mal dabei, Party trifft es gar nicht mal so schlecht. Aber wir nennen die Veranstaltung Sufsunntig. Es ist eine Tradition während der Alpzeit.» Wir schauen den Tanzenden zu, Kindern, Eltern, Grosseltern, wie sie alle auf ihre eigene Art den Moment geniessen. «Die Schweizer und ihre Traditionen», der Tourist lacht, holt sich ein Bier und setzt sich auf eine Bank neben der Tanzfläche.

Ein fester Händedruck und ein zufriedenes Lächeln – als ich den Gastgeber Stephan Addor begrüsse, sieht man diesem zwar den Stress, aber auch die Freude deutlich an. Nicht nur für mich findet an diesem Tag eine Premiere statt, er und seine Familie geben dieses Jahr ihr Debüt als Gastgeber. Im Gegensatz zu vielen anderen Sufsunntige ist die Alp nicht mit dem Auto, sondern nur durch einen steilen Wanderweg erreichbar. «Ich habe nicht so früh und vor allem nicht mit so vielen Leuten gerechnet», verrät er mir. Die frühere Eröffnung der Festwirtschaft wird sicherlich dazu beigetragen haben. Anders als in den letzten Jahren begannen die Alpwirte nämlich schon zwei Stunden früher Getränke auszuschenken – eine der kleinen Änderungen, die sie gegenüber ihren Vorgängern vorgenommen haben. Seit 1930 hat ihn die Familie Reichenbach während drei Generationen organisiert. «Die Transportbahn wurde erst 1949 erbaut, vorher wurde der Wein nachts in Fässli hochgetragen», erzählt mir Amelia Addor.

«Nun lade ich Sie zum gemeinsamen Dankgebet ein.» Kornelia Fritz, die Pfarrerin der Gemeinde Lauenen, faltet ihre Hände und spricht mit klarer Stimme das Gebet. Einige tun es ihr nach, andere haben die Augen geschlossen oder schauen in die malerische Landschaft. Der Gottesdienst ist etwas ganz Besonderes, auch weil nicht Orgelklänge, sondern die Ländlerkapelle «Sulzbuebe» ihn begleitet. Der Berggottesdienst, welcher fester Programmpunkt der meisten Sufsunntige ist, geht mit andächtiger Stille zu Ende.

Einige Portionen Kartoffelsalat mit Hamme, Stücke der Ländlerkapelle und Tanzschritte später tritt schliesslich die Hauptattraktion auf die Bühne: die herausgeputzte, mit selbstgemachten Blumengestecken geschmückte Meisterkuh. Früher wurde diese vor allem nach ihrer Leistungsfähigkeit ausgewählt, heute spielen Optik und Charakter die grössere Rolle. Die Festgesellschaft erweist dem Besitzer mit dem traditionellen Lied «Lebe hoch» die Ehre:

Es leben alle wohl, es leben alle wohl, alle unsere Freunde, zu Schande sollen gehen alle unsere Feinde. Gottlieb Reichenbach, der soll leben und seine Familie auch daneben. Es lebe das ganze Reichenbach-Geschlecht, Reichenbach-Geschlecht, es lebe tausend Jahre und ihr Alter sei so frisch und gesund. so frisch und gesund wie ihre Jugendjahre.

Der Matthias Reichenbach, der soll leben.

«Höi söller läbe, höi!»

«Höi söller läbe, zwöimal höi: höi, höi!»

«Höi söller läbe, drümal höi: höi, höi, höi!»

Anschliessend wird gejutzt und getanzt, gefüllte Weissweingläser werden herumgereicht und begeisterte Touristen schiessen Fotos von dem Spektakel. Um die Kuh, welche inmitten der Tanzfläche steht, drängen sich die Kinder, um sie streicheln zu dürfen.

Durch die Sonne, die mir den ganzen Tag auf den Kopf geschienen hat, ermüdet, beschliesse ich kurz darauf, dass es an der Zeit ist, aufzubrechen. Ich verabschiede mich vom Gastgeber. Addor scheint entspannt, alles hat zur Zufriedenheit der Organisatoren funktioniert. Ich bedanke mich für diesen durch und durch gelungenen Tag und erzähle, dass mir das Entdecken dieser Tradition sehr grossen Spass gemacht hat. Ein Stück weiter vorne blicke ich noch einmal zurück auf die tanzenden Menschen, die beeindruckende Landschaft. Ich höre das beruhigende Rauschen des Baches, vermischt mit dem leisen Bimmeln der Kuhglocken im Hintergrund. Eine plötzliche Ruhe überkommt mich, und ich verspreche mir in diesem Moment, bald einmal wiederzukommen.

SOLVEI TRUMMER

Haben Sie «Gluscht» bekommen, die Tradition mitzuerleben? Die Sufsunntig-Saison ist noch nicht ganz vorbei. Am kommenden Sonntag findet beispielsweise der Plani-Sufsunntig oberhalb von Schönried statt.

Video: https://tinyurl.com/y65fwfb5


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