Die Blockchain stellt vieles auf den Kopf – auch in Gstaad

  06.09.2019 Gstaad

Eine Konferenz zum Thema Blockchain im The Alpina festigt den Ruf des Luxushotels, auch eine Plattform für wichtige, zukunftsrelevante Themen zu sein. Am vergangenen Freitag versammelten sich dafür internationale Vordenker und Jungunternehmer.

Krypto-Währungen, Blockchain – immer öfter hört man diese Wörter. Aber wer weiss schon genau, was das ist? Sicherlich nicht die Krypta einer Kirche, nicht der Block, auf dem man Holz hackt, und nicht die Chain, die Kette, mit der man den Stier anbindet. Vielmehr geht es um eine Revolution in der digitalen Welt, in der nun auch Gstaad eine Rolle spielt.

Die Relevanz dieser Blockchain für die Finanzmärkte, aber auch für jede nur erdenkliche Sparte der Wirtschaft, wurde von internationalen Experten und einem fachkundigen Publikum intensiv im The Alpina diskutiert. Denn die Schweiz wurde mittlerweile auf diesem Gebiet zum internationalen Vorreiter. Rund 800 heimische Firmen verschrieben sich bisher dieser nationalen Aufgabe. Nicht nur solche Unternehmen, die sich rund um das Thema Bitcoin, Ethereum & Co. im Finanzbereich etablieren und die teils daran arbeiten, dass es schon bald so etwas wie einen digitalen Schweizer Franken geben könnte. Auch Wasserkraft, Logistik oder Tourismus kommen an dieser Herausforderung nicht vorbei. Und selbst in der Schweizer Uhrenbranche ist die Blockchain mittlerweile fest verankert (siehe Kasten). Der anwesende Autor des soeben erschienenen Buches «Crypto-Nation: Die Schweiz im Blockchain-Fieber», Alexander Brunner, interviewte rund 100 Schweizer Pioniere dieser Sparte.

Die meisten dieser Blockchain-Startups sind im sogenannten Crypto Valley im Kanton Zug beheimatet. «Crypto Valley goes uphill», also nach Gstaad, so lautete das Motto der Veranstaltung im The Alpina Gstaad. Einer der Initiatoren war alt Bundesrat Johann Schneider-Ammann. Er hatte die Schweiz schon vor fast zwei Jahren medienwirksam als Crypto-Nation bezeichnet, und seit neuestem auch als Blockchain-Nation. «Das Crypto Valley ist eine eindrückliche Demonstration, dass wir in der Schweiz in der Lage sind, als Cluster ganz Neues zu treiben. Ich sage: Switzerland shall be the Crypto Nation!», bekräftigte er in seinem Statement. Auch Mathias Ruch, der die Konferenz mitinitiierte, ist ein zentraler Player der Blockchain-Bewegung. Im Hauptberuf ist der Serial Entrepreneur CEO der Crypto Valley Venture Capital AG. Er stellte fest: «Von Zug aus sind wir gestartet. Nun hat sich ein ganzes Ökosystem entwickelt, das sich jetzt auf die gesamte Schweiz ausdehnt. Heute schlagen wir die Brücke ins Berner Oberland, nach Gstaad.»

Diese Stossrichtung ermöglichte der Konferenzgastgeber und Initiator der Konferenz, Nachson Mimran. Als visionärer Präsident des Verwaltungsrates des The Alpina Gstaad setzt er starke Impulse, auch für die Region. Er definiert das Luxushotel «jenseits des traditionellen Angebots von Zimmern, Sushi und Massagen» als Plattform, auf der Menschen zusammenkommen, die gemeinsam etwas bewegen wollen. Es geht ihm primär um Fortschritt im Bereich von Umwelt und wichtigen sozialen und gesellschaftlichen Themen. Er beweist dies auch beeindruckend mit seiner Nachhaltigkeits- und Entwicklungsplattform to.org. Diese fördert weltweit Projekte, die sich dem Ziel verschrieben haben, einen Unterschied zu machen und Teil der Lösung zu sein. Gstaad etabliert er dabei als Treffpunkt, wo die wichtigsten Themen unserer aktuellen Welt angegangen werden. Nun postuliert Mimran auch die Kooperation mit dem Zuger Crypto Valley und mit internationalen Blockchain-Initiativen.

Auf der Gstaader Bühne präsentierten zwölf Redner ihre Ideen und Projekte, kompetent moderiert von Manuel Blanco, dem Leiter der Credit-Suisse-Filiale in Gstaad, die ebenso als Mit-Initiator fungierte. Das finanzkräftige Publikum lauschte interessiert, da diverse Start-ups die Chance boten, in sie Risikokapital (Venture Capital) zu investieren. Die vorgeführten Business-Ideen ermöglichen es, etwa im Musik-, Verlags- und Finanzbereich, aber auch im Segment von Charity und Social Business finanziell miteinzusteigen. Sogar für die Entwicklungsländer der südlichen Hemisphäre sieht Botschafterin Helene Budliger Artieda eine grosse Chance. Bisher vertrat sie die Schweiz in Südafrika, künftig tut sie dies in Thailand, Kambodscha und Laos. Sie ist davon überzeugt, dass Blockchain und Krypto-Währungen den Menschen helfen können, Armut zu überwinden und in den Mittelstand aufzusteigen. «Dann können sie sich in diesen Ländern auch eine Schweizer Schoggi leisten, und irgendwann auch eine Schweizer Uhr», stellt die engagierte Botschafterin fest, die Blockchain-Projekte vor Ort unterstützt. Dass sie Schweizer Uhren erwähnt, kommt nicht von ungefähr. Denn rund ein Dutzend renommierter heimischer Manufakturen beschäftigt sich intensiv mit dem Thema (siehe Kasten). Aber was sind nun Blockchain und Krypto-Währungen eigentlich? Die Technologie lässt sich selbst von Experten nicht so einfach erklären, obwohl sie letztlich vergleichsweise simpel ist. Sicher ist aber, dass sich Transaktionen im Internet auf immer verändern werden, und ebenso die Rolle der Banken und jede Form von Börsen. Einige meinen sogar, diese Institutionen könnten – zumindest in der jetzigen Form – so gut wie überflüssig werden. Denn Zwischenhändler lassen sich künftig weitgehend eliminieren.

Die bahnbrechende Rolle, die dabei die Schweiz spielt, legte Prof. Dr. Fabian Schär dar. Er hält an der Universität Basel die Credit-Suisse-Asset-Management-Professur für Blockchain und Fintech (Finanztechnologie) und hat diverse Forschungspapiere zu dem Thema publiziert. Er ist aber auch ein Praktiker: Auf der Fahrt im Zug nach Gstaad programmierte er schnell einen «Alpchain Token», also eine Werteinheit, die über eine öffentliche Blockchain handelbar ist. Er fügte schmunzelnd hinzu, dass dieser Token noch absolut wertlos sei und lediglich zu Demozwecken dienen würde. Spannend war aber, dass nach der Präsentation dennoch grosses Interesse an dem Demo-Token bestand. Systeme dieser Art, sagte er im Interview, werden zukünftig nicht nur die Finanzbranche oder die Logistik verändern: «Für Gstaad und Touristenregionen kann es extrem interessant sein, Dinge zu ‹tokenisieren›, also etwa Gutscheine auszugeben, für die Hotellerie Zahlungsströme über die Blockchain abzuwickeln und dadurch Intermediäre, also Zwischenhändler, auszuschalten. Das hat ein Riesenpotenzial.»

Die Region Gstaad hat nun die Chance, zum wichtigen Glied der Blockchain zu werden. Der erste Schritt ist getan. Weitere, so sagen es Nachson Mimran und seine Mitstreiter, werden folgen.

PD

Zum Weiterlesen: Alexander E. Brunner, «Crypto Nation: Die Schweiz im Blockchain-Fieber», Stämpfli Verlag, 2019.

Nachson Mimran: www.to.org


BLOCKCHAIN – WIE FUNKTIONIERT DAS?

Eines steht fest: Die Blockchain wird künftig unser Leben, unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft stark verändern. Viele Prozesse des Alltags werden vereinfacht und automatisiert ablaufen. Oft wird die Blockchain im Kontext von Krypto-Währungen wie Bitcoin oder Ether genannt. Letztere wurde von dem in Zug ansässigen Unternehmen Ethereum geschaffen, das über eine Marktkapitalisierung von Fr. 18,5 Mrd. (!) verfügt, das ist mehr als etwa Swiss Life, Swatch, Deutsche Bank oder Lufthansa erreichen. Die Blockchain ist zwar Basis dieses digitalen Geldes, geht aber weit darüber hinaus. Die Blockchain-Sparte wird von Experten als die am schnellsten wachsende Branche der Wirtschaft definiert.
Rein technisch könnte man sagen, Blockchains sind spezielle Softwareprogramme im Internet, die Transaktionsdaten ohne eine zentrale Kontrollinstanz verwalten, mit vollkommener Transparenz. Dabei werden fortlaufende Datensätze sicher in Datenbanken gespeichert, und zwar in «Blocks». Diese Blocks werden mit individuellen Zahlencodes zur «Chain» verkettet. Die Blockchain funktioniert dezentral. Parallele Kopien sind an den unterschiedlichsten Standorten auf Rechnern verteilt, die ein gemeinsames, synchronisiertes Netzwerk bilden. Sollte jemand versuchen, an seinem Rechner einen Block zu manipulieren, zerspringt seine Ankettung für immer. Auf der technischen Infrastrukturebene bedeutet dieses dezentrale System eine Revolution, und auf der Businessebene eine klare Evolution. Unter anderem auch deshalb, weil Transaktionen über die Blockchain im Vergleich zu heutigen Systemen so gut wie fälschungssicher sind.


SCHWEIZER UHREN SETZEN AUF DIE BLOCKCHAIN

Zurzeit arbeiten viele renommierte Schweizer Manufakturen an Blockchain-Lösungen und eigenen Editionen, die auf dieser Technologie beruhen. So wird z.B. eine «Digital Wallet» (Geldbörse) für Krypto-Währungen miteingebaut. Oder jedes Originalexemplar kann über die Blockchain nachverfolgt werden, sodass die Uhr absolut fälschungssicher wird. «From Cradle to Grave», also von der Wiege bis zur Bahre, kann überprüft werden, woher die Rohstoffe kommen, wer die Uhr besass usw.
Unter dem Slogan «The Future of Time» entwickelt etwa die renommierte Genfer Manufaktur A. Favre & Fils gerade einen Prototyp, der Blockchain und mechanische Bestandteile auf innovative Weise verbindet. Die ersten Exemplare davon sind bereits erhältlich. Über kryptomechanische Elemente garantiert das neue Modell direkten Zugang zur Fintech-Welt. Digitale Vermögenswerte können über neue Patente, die das Unternehmen gerade anmeldet, optimal geschützt werden. Sicherheit made in Switzerland – das ist oberstes Gebot. Das Boom-Thema «Internet of Things» bekommt hier Anwendungen, die längst keine Spielereien mehr sind, sondern richtungsweisende Trends darstellen im Bereich der Luxus-Brands. Aber auch andere renommierte Marken treiben eigene Blockchain-Projekte voran, darunter Chronoswiss, Vacheron Constantin, Franck Muller oder Hublot. Die Blockchain definiert hier traditionelle Produkte völlig neu und verbindet im besten Sinn Schweizer Tradition mit disruptiver Innovation.

 


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