Echte Intelligenz am Forum für Kultur

  10.09.2019 Kultur

Sechs Spezialisten, drei Gymnasiastinnen und eines der wichtigsten Themen der Gegenwart: Künstliche Intelligenz (KI). Das Gstaad Forum für Kultur schnitt es von ganz verschiedenen Seiten an und liess deshalb auch einige Fragen offen.

SARA TRAILOVIC
Die eingeladenen Expertinnen und Experten am diesjährigen Forum für Kultur standen vor der grossen Herausforderung, dem Publikum im Menuhin-Festivalzelt das Thema Künstliche Intelligenz greifbar zu machen. Zeit dazu war genug vorhanden, immerhin erstreckte sich der Anlass über einen ganzen Nachmittag. Die hochkarätigen Referierenden konnten ihre Fachgebiete trotzdem nur relativ grob umreissen, sorgten aber auf jeden Fall für Nachhall bei fast 200 Besucher/innen.
Für Unterhaltung sorgte insbesondere Prof. Dr. Jürgen Schmidhuber, der als absoluter Crack in Forschung und Entwicklung von KI wild mit vielversprechenden Fakten und teilweise beunruhigenden Zukunftsszenarien um sich warf. Andere Experten/innen fanden vorwiegend optimistische Töne für die Digitale Revolution. Da passte es sehr gut, dass drei Schülerinnen aus dem Gymnasium in Gstaad das Thema aus jugendlicher Sicht hinterfragten.

«Fürchtet euch nicht»
«Wie definieren Sie Künstliche Intelligenz?», kam gegen Ende der Tagung die Frage aus dem Publikum. «KI ist das Erlernen des automatischen Problemlösens», so die für ihn untypisch kurze Antwort von Prof. Dr. Jürgen Schmidhuber. Der gebürtige Münchner ist wissenschaftlicher Direktor des Schweizer KI-Labors IDSIA in Lugano und Mitbegründer des KI-Start-ups Nnaissence. Das tönt hochkarätig und ist es auch. Immerhin hat der Forscher bahnbrechende Algorithmen von Amazon, Google und Android massgeblich mitentwickelt – Anwendungen, die nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken sind. «1965 begann die Ukraine als erstes Land der Welt mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz», begann Schmidhuber in der Einführung der Tagung zu erzählen, «damals waren die Rechner noch eine Milliarde Mal langsamer als jetzt.» Der Wissenschaftler hob auch hervor, dass die KI-Systeme nicht nur alle fünf Jahre zehnmal billiger, sondern auch alle drei Monate doppelt so leistungsstark würden. Die Frage, ob diese Entwicklung aufhaltbar sei, stelle sich ihm nicht. «Digitale Existenzformen werden sich früher oder später vom Menschen abkoppeln und das ganze Universum umgestalten.» Szenarien wie dieses schilderte Schmidhuber mit einer fast schon provozierenden Sicherheit, dass auch sein letzter Satz «Fürchtet euch nicht, es wird alles gut» die Wogen wohl nur bedingt glättete.

Kritisches Hinterfragen
Das kritische Hinterfragen der Künstlichen Intelligenz lag beim Forum für Kultur nicht nur an renommierten Philosophen/innen und dem Publikum, sondern vor allem auch bei drei Schülerinnen des Gymnasiums Interlaken. «Selbst Profis verstehen die Rechenleistungen immer weniger», bemerkte Marion Schenk. «Und Computer verstehen unsere Interessen innert kurzer Zeit besser als uns nahestehende Personen.» Mit ihrem Vortrag zu den drei grössten Revolutionen der Menschheit (Landwirtschaftliche, Industrielle und Digitale) schaffte sie es, wichtige Teile des Bestsellers «Eine kleine Geschichte der Menschheit» von Yuval Noah Harari anschaulich zusammenzufassen. Doch sie ging noch darüber hinaus und schilderte das Menschenbild des Dadaismus, welches in Zukunft populärer werden könnte. «Dabei ist der Mensch nichts weiter als ein biochemischer Algorithmus und kann genau wie seine Gedanken durch Maschinen ersetzt werden.» Doch wie Schmidhuber war auch sie der Überzeugung, dass sich die Entwicklung nicht mehr aufhalten lasse: «Der Reiz des Ungewissen ist zu gross.»

«Lehrer sind bald Plattenspieler»
Nachfolgend philosophierten Aline Pfister und Miriam Ader über die Anwendung von Künstlicher Intelligenz im Bildungssystem. «Lehrer sind vielleicht bald wie Plattenspieler: Es gibt sie noch, aber man braucht sie nicht mehr.» Heute schon gebe es das Schulfach Informatik von der ersten Klasse an und in anderen Ländern kontrollierten digitale Schulbücher die Aufgaben der Lernenden, so werde jede Schwäche gespeichert und ausgewertet. Der ständige Drang nach Leistungsoptimierung könne grossen Stress auslösen. «Aber ist ultimative Effizienz anzustreben?», fragte Aline Pfister. «Der Mensch will nicht nur leben, er will auch erleben», ergänzte ihre Klassenkameradin. «Klar, die neusten Kopfhörer liefern eine bessere Musikqualität als ein Plattenspieler, aber es gibt auch noch die emotionale Komponente.» Ob sich diese einfach auf Roboter übertragen lasse und ob das Menschliche überhaupt existiere, das bleibe noch offen. «KI hat das Potenzial, in allem besser zu werden als wir. Unabdingbar bleibt, dass wir mitdenken», schloss Miriam Ader das Referat ab.

Moralische Maschinen
Können und müssen Maschinen moralisch handeln können? Ja, meinte Prof. Dr. Catrin Misselhorn, Philosophin und Autorin des Buches «Grundfragen der Maschinenethik». «Soll ein Staubsaugroboter einen Marienkäfer aufsaugen? Und wie steht es mit Spinnen?» Es fange bei banalen Fragen wie diesen an. Für Misselhorn ist jedoch klar, dass Maschinen moralische Entscheidungsfähigkeit entwickeln müssen, um in komplexen Situationen wie dem autonomen Fahren funktionieren zu können. Dieser Meinung war auch der Philosoph Adriano Mannino. Er führte anhand Unfallszenarien Dilemmas vor. «Es gibt zwei Fussgängerstreifen, auf dem einen laufen zwei Menschen, auf dem anderen einer. Für welche Strassenüberquerung entscheiden Sie sich, wenn in beiden Fällen die laufenden Menschen sterben würden?» In solchen Momenten sei eine rationale Kompromisslösung erwünscht, was die Künstlichen Intelligent ermögliche. Im Beispielfall hiesse das, dass jeder Mensch dieselbe Überlebenschance haben sollte, also sollte per Zufall entschieden werden, ob das Auto den einen oder anderen Fussgängerstreifen überquere.

Konkrete Anwendungen von KI
Über die konkreten Anwendungen von KI sprachen drei Wissenschaftler/innen. Annika Schröder, welche das Zentrum für Artificial Intelligence der UBS leitet, präsentierte ein Video zur neusten Innovation der Bank: einem digitalen Finanzassistenten. Prof. Dr. Roland Wiest, Arzt, Neurowissenschaflter und Arzt am Inselspital Bern, sah in den digitalen neuronalen Netzwerken zwar eine Riesenchance für die Gesundheit der Menschen, sprach sich jedoch klar für eine Synthese von Mensch und Maschine aus. Um dies zu ermöglichen, sei auf Seiten der Wissenschaft mehr Interdisziplinarität gefordert. «Ärzte sollen Algorithmen verstehen und Ingenieure die menschliche Anatomie.» Dr. Immanuel Brockhaus hingegen überraschte die Gäste im Zelt mit einer digitalen Musikkomposition. Bei einer Abstimmung waren etwa fünfzig Prozent der Anwesenden der Auffassung, dass es sich um ein rein computergeneriertes Stück handelte. «Das wäre noch nicht möglich», klärte der Dozent für Popularmusikwissenschaften an der Hochschule der Künste Bern auf.

Nächstes Forum mit Robotern?
Die Experten, Expertinnen und Schülerinnen kratzen an der Tagung in Gstaad zwar nur an der Spitze des Eisberges, aber machten immerhin unmissverständlich klar, dass es sich beim Thema Künstliche Intelligenz überhaupt um einen Eisberg handelt und nicht nur um eine Scholle. «Wenn sich mehr KI-Systeme eigene Ziele setzen – wie sie es heute schon tun in meinem Labor – und es keinen Atomkrieg geben wird, der alles vermasselt, dann werden sie irgendwann die Milchstrasse bevölkern.» Ob also beim nächsten Forum für Kultur, welches das Thema Globalisierung behandeln wird, Roboter auf der Bühne stehen werden und so anregende Diskussionen führen können? In Anbetracht dessen, dass ein Grossteil der KI-Experten glauben, dass «erst» im Jahr 2050 mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit Maschinen über menschliche Intelligenz verfügen werden, würde selbst Herr Schmidhuber wohl sagen: noch nicht.


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