Keine Angst vor Wagner

  03.09.2019 Kultur

Am Sonntagabend war im Festivalzelt Musik von Wagner bis Ravel zu hören. Das Gstaad Menuhin Festival & Academy präsentierte mit «De Wagner à Ravel – Classique France-Allemagne» einen Konzertabend mit dem Orchestre National de Lyon unter der Leitung von Gergely Madaras und dem Tenor Klaus Florian Vogt.

JENNY STERCHI
Eine gewisse Vorsicht gegenüber Wagner und seiner Musik war im Vorfeld zu spüren. Aber was am Sonntagabend zu Gehör gebracht wurde, nahm vor allem Zweiflern die Angst.

Musikalisches Können
Das Orchestre National de Lyon, geleitet von Gergely Madaras aus Ungarn, spielte kompakt und ohne Kompromisse. Aber bei aller Macht blieb dem Zuhörer die Melodie. Der erst 35 Jahre alte Dirigent hatte das Orchester zwar im Griff, dennoch wirkten die Musiker durchaus selbständig.

Sie eröffneten den Abend mit der Ouvertüre zur Oper «Tannhäuser». Mit diesem bekannten Motiv stimmten sie das Publikum zuversichtlich.

Der Tenor nahm die Angst
Mit dem folgenden Auftritt des deutschen Tenors Klaus Florian Vogt begaben sich die Zuhörer weiter in Sicherheit. Sehr gut artikuliert und voller Nachdruck, aber keineswegs geschrien, interpretierte Vogt die Zeilen einer Arie aus der Oper «Parsifal». Die Schmerzen der nicht heilenden Wunde, die Inhalt der Oper sind, konnte er mit seiner angenehmen und doch sehr kraftvollen Stimme beinahe anschaulich machen. Mit der Arie «Winterstürme wichen dem Wonnemond», einer Arie aus der Oper «Die Walküre», schmeichelte der erfolgreiche Tenor den Zuhörern. Auch hier halfen die Stimmfarbe und die Aussprache, dem Sänger jedes Wort abzunehmen und zu verinnerlichen.

Die Oper «Lohengrin» wird häufig als schwer verständlich beschrieben. Keineswegs war dies beim Vortrag der Arie «Höchstes Vertrauen» der Fall. Vielleicht half auch das Textblatt, dass vorgängig an die Zuhörer verteilt worden war. Aber zum grössten Teil war es der Verdienst Klaus Florian Vogts, dass der Inhalt verstanden werden konnte. Und wer den Text verstand, dem blieb die Zeit, parallel dazu der Musik zu folgen, die ohne Selbstzweifel der Musiker präsentiert wurde. Die «Gralserzählung», eine Arie ebenfalls aus der Oper «Lohengrin», ist als relativ langes Stück oftmals schwer zu begreifen. Beim Vortrag am vergangenen Sonntag konnte wirklich jeder folgen, ohne es träge werden zu lassen.

Das Zusammenspiel des Orchesters verblüffte über den ganzen Abend hinweg. Egal ob Gershwins «An American in Paris» oder Ravels «Boléro», die Musiker liessen keinen Zweifel an ihrer Spielfähigkeit und Präzision aufkommen. Und sie konnten jeweils die Stimmung des Stückes in den Raum zaubern. So waren die Jazzklänge eines amerikanischen Clubs der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts in einem Meer von Streichern gut zu erkennen. Und tatsächlich bot Gershwins musikalische Vorlage den Stoff für einen oscargekrönten Tanzfilm. Der Wiedererkennungswert bei vielen Zuhörern war ziemlich hoch. Auch das Thema von Ravels «Boléro» ist weithin bekannt. Und doch schien es am Sonntagabend besonders sauber und charakteristisch vorgetragen.

Modernes wird auch verstanden
Das Konzert am Sonntagabend bot auch Raum für eine Uraufführung. Tristan Murail hatte im Auftrag des Gstaad Menuhin Festivals das Stück «Les Neiges d’antan» komponiert. Ein überaus modernes Werk, dass sich durch seine Geräuschvielfalt und seine Atonalität auszeichnete. Es gab viele Zuhörer, die den Konzertsaal fasziniert von diesem Stück und dessen Interpretation verliessen. Dabei muss die Leistung des Dirigenten besonders hervorgehoben werden, das Orchester von Anfang bis Ende zusammengehalten zu haben. Die Donnerschläge, die dank des Gewitters über Gstaad zu Beginn des Stückes zu hören waren, ergänzten das Stück mehr als passend. Wer die Uraufführung hört und die Partitur dazu liesst, wird das Donnerwetter also vergeblich suchen.


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