Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen (Offenbarung 21,3)

  27.09.2019 Kirche

120 Jahre lang erklärte Noah seinen Mitmenschen, dass Gott die Welt vernichten würde, sollten sie sich nicht bessern. 120 Jahre lang baute er an seiner dreistöckigen Arche, in welcher schliesslich nur er mit seiner Familie und mit den Tieren gerettet wurde. Noah überlebte, doch er und seine Familie bezahlten einen hohen Preis. Sie alle litten später unter der Einsamkeit. In der christlichen Tradition wird Noah als ein Mann des Glaubens gepriesen. In der jüdischen Tradition ist er umstritten. Einige zürnen Noah, weil er ihrer Meinung nach nicht genug mit Gott für die Menschen gestritten habe. Von vielen wird er als ein Zaddik im Pelz kritisiert. Das ist ein Gerechter, der sich nur um sein eigenes Wohlergehen sorgt und sich vor der Kälte schützt, indem er sich in einen Pelz wickelt, statt den Ofen anzufeuern, damit die anderen auch warm bekommen. Gott selber findet nach der Sintflut, dass sein Plan gescheitert ist. Die Welt ist durch die Katastrophe nicht besser geworden.

In die genau gegenteilige Richtung geht Gott mit der «Sukka». Die Hütte, in der das Volk jedes Jahr am Laubhüttenfest – in diesem Jahr vom 13. bis 20. Oktober – eine Woche lang leben soll zur Erinnerung an die lange Wanderung durch die Wüste nach seinem Auszug aus Ägypten. Dazu gehört das Gebet jeden Freitagabend, Gott möge über der ganzen Welt eine «Sukkat Schalom», eine Hütte des Friedens breiten. (3. Buch Moses 23,33-34)

Ursprünglich wurde das Sukkotfest als Erntedankfest gefeiert. Erst später, nach der Rückkehr aus dem Babylonischen Exil, wurde das Fest, wie schon erwähnt, als Erinnerung an den Auszug aus Ägypten gefeiert. Die Hütte des Friedens am Laubhüttenfest soll provisorisch sein, so will es Gott und sie darf kein festes Dach haben und ihre Wände sollen instabil sein. Das Dach muss löchrig sein, so dass die Sterne durchscheinen können. In diese Hütten des Friedens kann es hineinregnen oder sie können jederzeit vom Wind weggefegt werden. Dies soll die Juden an die Vergänglichkeit von Erfolg und Reichtum erinnern und ihnen ihre Schutzlosigkeit und ihre Angewiesenheit auf Gottes Hilfe vor Augen führen. Weiter sollen sie sich von falschen Sicherheiten und der Vorstellung lösen, dass wir uns allein, ohne die Hilfe von Mitmenschen helfen und ohne Gott retten können. Zäune und Mauern, ein Bunker oder eine Arche können vorübergehend sinnvoll sein. Doch nicht für eine längere Zeit. Denn sie täuschen eine falsche Ruhe und einen trügerischen Frieden vor. Wir leben immer mehr in einer Welt, in der alles miteinander verhängt und verbunden ist. Niemand kann es sich auf Dauer leisten, sich abzuschotten. Jeder Versuch, sich abzuschotten, geht auf Kosten von anderen und schlägt auf uns zurück. Es geht uns letztendlich nur gut, wenn es den andern auch gut geht. Deshalb kann die Arche auch der Kirche nicht als Vorbild dienen.

Für die Reformatoren wurde das Unterwegsein des Kirchenvolkes zu einem zentralen Motiv. Vor allem bei Johannes Calvin, der selber aus Frankreich flüchten musste, spielte es eine wichtige Rolle. Wohl darum nimmt er in einer seiner Predigten das Laubhüttenfest als Vorbild für unsere christliche Existenz. Wir sind Pilger, wir sind Reisende. Christen sollten sich hier auf der Welt nicht zu sehr einnisten wollen und sich zur Ruhe setzen. Nach dem Willen von Calvin sollten Christen ihr ganzes Leben lang in so einer Hütte leben und sich immer wieder an die Wüstenwanderung des Volkes Israel erinnern lassen.

Nun, trotz allen Warnungen der Reformatoren, wir haben es uns in dieser Welt gut eingerichtet. Wir sind zu Sesshaften geworden, auch wenn viele von uns bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf Reisen gehen. Trotzdem wäre so eine Sukka auf Zeit auch für uns heute eine sinnvolle Einrichtung. Auch wer materiell gesichert ist und unter dem Schutz eines staatlichen Beziehungsnetzes leben darf, sollte sich hin und wieder bewusst werden, dass unser Wohlstand und unser Rechtsstaat nicht selbstverständlich sind. Das alles können wir verlieren. Die Heimat, die uns Gott gewährt, ist nicht unser Besitz. Dieses Wissen, dass wir letztendlich alles empfangen haben, dass wir alle von Bedingungen leben, die wir uns nicht selber erschaffen haben, feiern wir ja selber im alljährlichen Erntedankfest. Ausserdem sehen wir fast täglich die vielen Menschen, die, vertrieben aus ihrer alten Heimat, auf der Suche nach einer neuen sind. Für uns, die wir immer satt und wohlgenährt sind, hätte der Versuch, eine Woche im Jahr in so einer Hütte, in so einer «Sukkat Schalom» zu leben, noch eine andere interessante Funktion. Den Naturkräften und dem Hunger hin und wieder ausgeliefert zu sein, weckt Kräfte zur Veränderung und wir könnten von den Hungernden und Leidenden etwas lernen. Nachempfinden, wie es denen geht, denen es nicht so gut geht. Wie es sich in den Blechhütten der Favelas, inmitten der Regenfluten so leben lässt. Gott selber wollte mal versuchen, wie es sich in so einer Sukka leben lässt, und hat in Bethlehem in so einer Hütte den Ort für seine Geburt gewählt. Er hat nie gesagt, dass diese Hütten gemütlich sind und uns schützen können. Doch er hat ihren Bewohnern eine Zukunft, seinen Frieden und seine Gegenwart verheissen. «Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen.» KORNELIA FRITZ


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote