Wanderleiter – faszinierender Arbeitsplatz im mittleren Gebirge

  06.09.2019 Gstaad

Der Bergführerverein Gstaad-Lenk feiert heuer sein 100-Jahr-Jubiläum. Deshalb gibt er Einblick in sein tägliches Schaffen und in geschichtliche Begebenheiten. Ruedi Hählen ist als Wanderleiter ebenfalls Mitglied des Bergführervereins. Doch wozu braucht es einen Wanderleiter?

«Wozu brauchst du denn eine Wanderleiterausbildung? Du hast doch die nötige Erfahrung in den Bergen.» Oder: «Darf man jetzt nicht mehr alleine wandern gehen?» Mit solchen und ähnlichen Kommentaren wurde ich in meinem Umfeld konfrontiert, als ich im Jahr 2009 meine Wanderleiterausbildung beim Schweizer Bergführerverband (SBV) antrat. Was so banal klingt, ist in Tat und Wahrheit eine anspruchsvolle, fundierte und je nach Anbieter auch kostspielige Ausbildung, welche vielschichtige Themen wie Natur und Umwelt, Kultur, Geologie, Meteorologie, Schnee- und Lawinenkunde, Orientierung im Gelände, Umgang mit Karte, Kompass und Höhenmesser, Medizin, Führen von Gruppen, Psychologie, Betriebsführung und vieles mehr beinhaltet.

Was ist ein Wanderleiter?
Wanderleiter/innen organisieren Wanderungen, Schneeschuh- oder Trekkingtouren sowie Besichtigungen und Exkursionen für Einzelpersonen und Gruppen. Das Organisieren und Leiten von Wanderungen im Ausland gehört ebenfalls zu den Dienstleistungen. Die Aktivitäten werden von den Wanderleitern/ innen den Wünschen und Bedürfnissen ihrer Gäste angepasst. Die Wanderleiter bewegen sich bis zum mittleren Gebirge auf rot-weiss markierten Bergwanderwegen bis zum Schwierigkeitsgrad T3 («Anspruchsvolles Bergwandern»), wo sie ohne Hilfsmittel wie Seil und Pickel auskommen. In Bezug auf die Winteraktivitäten beschränkt sich das Tätigkeitsfeld der Wanderleiter/innen im insgesamt flach oder wenig steilen Gelände mit einer Hangneigung von bis zu 25 Grad (Schwierigkeitsgrad WT 2 «Schneeschuhwanderung»). Hochgebirgstouren, Klettersteige, Gletscherbegehungen und Skitouren bleiben den Bergführern vorbehalten.

Der lange Ausbildungsweg
Es gibt verschiedene Wege, sich zur Wanderleiterin oder zum Wanderleiter ausbilden zu lassen. Mittlerweile bieten unterschiedliche Institutionen Wanderleiterkurse und -ausbildungen an, wobei nur die Bündner Arbeitsgemeinschaft für Wanderwege «BAW», die Anniviers Formation, Ecole de St.-Jean, sowie der Schweizer Bergführerverband (SBV) zu den anerkannten Anbietern gehören. Letzterer bildet seit 2008 aus. Das Schema der dreijährigen, anspruchsvollen SBV-Ausbildung setzt sich zusammen aus verschiedenen Grundmodulen, zweihundert Erfahrungsstunden im Sommer und Winter sowie dem Vorbereitungskurs für die eidgenössische Fachprüfung. Letztere besteht aus einer umfassenden Praxisund Theorieprüfung sowie einer Projektarbeit. Über die Zulassung der Kandidatin oder des Kandidaten entscheidet die Prüfungskommission Comex.

Neuerdings bietet der SBV die Zusatzausbildung mit der Bezeichnung «T4» für Wanderleiter mit eidgenössischem Fachausweis an. Diese ermächtigt die Wanderleiter/innen zum Führen von Alpinwanderungen bis zum Schwierigkeitsgrad T4 (blau-weiss markierte Wegrouten). Diese Ausbildung ist bewilligungspflichtig, ebenso das Anbieten von Schneeschuhwanderungen im Schwierigkeitsgrad WT3. Der SBV zählt mittlerweile 77 Wanderleiter/innen mit Grundausbildung sowie 41 Wanderleiter/innen mit eidg. Fachausweis.

Fester Bestandteil beim Schweizer Bergführerverband
Dass im Anbetracht des boomenden Wanderleiterbusiness ein gewisser Interessenskonflikt mit den Bergführern entstanden ist, liegt auf der Hand. Inzwischen ist die Kompetenz und das Tätigkeitsfeld der Wanderleiter/innen klar geregelt und unterliegt der gesetzlichen Risikoverordnung. Fakt ist, dass die Wanderleiter/innen inzwischen einen festen Bestandteil im Schweizer Bergführerverband SBV bilden. So auch beim Bergführerverein Gstaad-Lenk, welcher aktuell sechs ausgebildete Wanderleiter/innen zählt.

Vom Hobby zum (Neben-)Beruf
Mit dem Abschluss der Wanderleiter-Ausbildung SBV im Jahr 2011 und der anschliessenden Absolvierung der eidgenössischen Fachprüfung habe ich nicht nur mein Hobby zum (Neben-)Beruf gemacht, sondern ich war zu jenem Zeitpunkt auch der erste ausgebildete Wanderleiter im Saanenland. Die Wanderleitertätigkeit ist für mich der perfekte Ausgleich zu meinem Arbeitsalltag im familieneigenen Betrieb in Gstaad, welchen ich in dritter Generation führe.

Meine Wanderklientel präsentiert sich sehr unterschiedlich und setzt sich beispielsweise aus wiederkehrenden Stammgästen und diversen Hotels zusammen, für deren Gäste ich geführte Wanderungen und Schneeschuhtouren ausführe. Des öftern kriege ich Klienten von den umliegenden Tourismusbüros vermittelt, führe Aufträge für lokale Adventureanbieter aus oder werde damit beauftragt, mich mit Medienschaffenden oder Influencern auf Wanderschaft zu begeben.

Als Wanderleiter verstehe ich mich in der Rolle des touristischen Botschafters, der sich voll und ganz mit der Region identifiziert und seinen Gästen vieles über Land und Leute zu berichten weiss.

Aufgrund meiner persönlichen Gegebenheit beschränke ich ich das Tätigkeitsfeld primär auf die Destination Saanenland/Obersimmental, mit der ich bestens vertraut bin. Einige meiner Kolleginnen und Kollegen setzen ihren Fokus gänzlich auf das Thema Wanderleiter und verdienen sich damit sogar ihren Lebensunterhalt.

Tolle Chance
Für mich hat sich die Wanderleiterausbildung allemal gelohnt, und zwar sowohl im Bezug auf das erlangte Wissen und den erweiterten Blickwinkel als auch auf die wunderbaren Erlebnisse und Momente, die ich im Beisein meiner Gäste in der freien Natur erfahren darf und die mein Leben bereichern. Und dasjenige meiner Gäste hoffentlich auch!

RUEDI HÄHLEN

Ausbildungen: www.sbv-asgm.ch, www.wanderwege-graubuenden.ch, www.randonnee.ch, www.sac-cas.ch
Ruedi Hählen: www.wanderverfuehrer.ch


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