Bergführer und Nebenerwerb

  08.10.2019 Gstaad

Der Bergführerverein Gstaad-Lenk feiert heuer sein 100-Jahr-Jubiläum. Deshalb gibt er Einblick in sein tägliches Schaffen und in geschichtliche Begebenheiten. In dieser Ausgabe spricht Ueli Hauswirth über den Beruf und dass ein Nebenerwerb meist zwingend ist.

Zum besseren Verständnis zuerst einige Zahlen und Informationen über unseren 100-Jahr-Jubilar-Bergführerverein Gstaad-Lenk.

Von der IVBV bis zum Talschafts-Verein, ein Organigramm
Das Bergführerwesen ist folgendermassen aufgestellt: Weltdachverband ist die IVBV (Internationale Vereinigung der Bergführerverbände). Diesem gehören im Moment 25 nationale Verbände an, einer davon ist der SBV (Schweizer Bergführerverband). Der SBV zählt inklusive Wanderleiter/innen und Kletterlehrer/innen 1778 Mitglieder. Diese teilen sich wie folgt auf: 1280 aktive Bergführer, 40 aktive Bergführerinnen, 420 passive Bergführer, das sind ältere Mitglieder, welche den Beruf nicht mehr ausüben, 50 Wanderleiter SBV und 11 Kletterlehrer SBV. Der Schweizer Verband unterteilt sich in neun Regional- oder Kantonalverbände, einer davon ist der BBV (Berner Bergführerverband). Dieser besteht aus sieben Talschafts-Vereinen und einer davon sind wir: der Bergführerverein Gstaad-Lenk.

Unser Verein und seine Mitglieder
Der Bergführerverein Gstaad-Lenk besteht im Moment aus 53 Mitgliedern. Diese sind wie folgt aufgeteilt: eine Bergführerin – Carla Jaggi, sie ist unsere erste Frau im Verein – mit ihr sind wir 28 aktive Bergführer mit Jahrgang 1955 und jünger, zehn aktive Bergführer über 65-jährig, sechs Passivmitglieder (ältere Bergführer, welche den Beruf nicht mehr ausüben), ein Ehrenmitglied und seit kurzem ein Aspirant aus der Lenk. Seit etwa zehn Jahren sind die sechs vom SBV ausgebildeten Wanderleiter/innen ebenfalls im Verein. In unserem Berufsverband Gstaad- Lenk sind 15 bis 18 Mitglieder, welche den Bergführerberuf als Haupterwerb ausüben. Ungefähr 20 verdienen ihren Lebensunterhalt mit anderen Tätigkeiten und haben den Bergführerberuf als Nebenerwerb. Dies ist für ein geregeltes, sicheres Einkommen die beste Lösung. Gesamthaft entspricht dies etwa den oben erwähnten knapp 40 aktiven Bergführern. In Berufen aufgeteilt sieht dies folgendermassen aus: zehn Zimmerleute, fünf Landwirte, vier Geschäftsführer, drei Schreiner, drei Elektriker, zwei Piloten, zwei Fliesenleger, ein Sanitärinstallateur, ein Forstwart und mindestens ein Hausmann. Ungefähr 20 haben auch das Skilehrerpatent, jedoch gibt fast keiner dieser 20 mehr Skiunterricht auf der Piste. Diese Zahlen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, denn es ist nicht bei allen klar, welcher Nebenbeschäftigung sie gerade nachgehen, einige haben auch mehrere Jobs und alle sind für verschiedene Tätigkeiten einsetzbar. In unserem Beruf stehen Verlässlichkeit, Belastbarkeit, Vielseitigkeit und Teamfähigkeit – um nur einige der wichtigen Eigenschaften eines Bergführers zu nennen – im Vordergrund und deshalb sind wir in sehr vielen Bereichen willkommene «Chumm mer z Hilf» und «Heb mers und reck mers».

Voraussetzung für die Ausbildung
Um die Bergführerausbildung anzufangen, wird vorausgesetzt, dass jeder und jede eine abgeschlossene Berufslehre, die Matura oder Gleichwertiges vorweisen kann. Dies ist sehr wichtig und auch richtig, denn im Bergführerberuf gibt es lange Zwischensaisons, und wer in dieser Zeit keine Auslandreisen, Trekkings und Expeditionen anbietet und leitet, braucht einen richtigen Job als Zusatzverdienst, um beispielweise seine Familie ernähren zu können.

Bergführer = Retter
Als Bergführer sind wir verpflichtet – und dies ist für uns selbstverständlich – anderen bei einem Bergunfall Hilfe zu leisten. Die ARS (Alpine Rettung Schweiz) hat ein ähnliches Organigramm wie der SBV und so gibt es in jeder Talschaft eine Rettungsstation. Bei uns ist dies die Rettungsstation Gstaad, welche von der Sektion Oldenhorn des SAC betrieben wird. Mitte Monat findet jeweils am Freitagabend eine Rettungsübung der Rettungsstation Gstaad statt. Nebst erfreulicherweise zahlreichen jungen und auch älteren SAC-Mitgliedern nehmen auch vier bis sechs Bergführer regelmässig daran teil. Das sind leider nicht so viele …

Die gleichen Bergführer sind auch als RSH (Rettungsspezialisten Helikopter) ausgebildet und wir machen regelmässig Evakuationsübungen bei Sessel- und Gondelbahnen sowie Longline-Rettungsflüge (bis über 300 m unter dem Helikopter hängend) mit dem ortsansässigen Helikopterunternehmen Air-Glaciers.

Obwohl es für jede Personentransportbahn und dessen Betriebsbewilligung obligatorisch ist, solche Evakuationsübungen mit professionellem Personal durchzuführen und es für jede (Tourismus-)Region ein absolutes Muss ist, über eine Rettungsstation zu verfügen, werden wir für diese Übungen und Weiterbildungskurse nicht entschädigt. Alles ist Goodwill unsererseits. Eine kleine Entschädigung, welche von der ARS ausbezahlt wird, gibt es für den Retter nur bei einem Einsatz im Ernstfall. Für diese Entschädigung wird auch gleich ein Lohnausweis mitgeliefert, damit wir das wenige, oftmals unter lebensgefährlichen Umständen verdiente Geld, auch noch versteuern dürfen. Von den Gemeinden Saanen, Lauenen und Gsteig-Feutersoey sowie von der BDG, Wasserngrat AG und Glacier 3000 erhält die Rettungsstation Gstaad jeweils einen jährlichen Beitrag. Mit diesem Geld werden Material, Kleider Funk und Zubehör angeschafft oder ersetzt sowie Spesen von Hundeführern und Rettern bezahlt, jedoch keine Entschädigungen für die Übungsteilnehmer entrichtet.

Hochsaison und Zwischensaison
Von Weihnachten bis etwa Mitte März arbeiten die meisten Bergführer in der heimischen Umgebung. Wir machen jeden Tag eine Skitour mit unseren Kunden und wenn es die Verhältnisse erlauben, kann es auch sein, dass wir einen ganzen Tag nur Varianten fahren oder Heliskiing betreiben.

In der Schweiz gibt es 40 Gebirgslandeplätze, fünf davon sind in unserem Gebiet. Das Heliskiing ist ein sehr wichtiges touristisches Angebot unserer Region und sowohl für uns Bergführer und Skilehrer wie auch für die Helikopterunternehmen eine nicht zu unterschätzende zusätzliche Einkommensquelle. Für die Piloten ist die touristische Gebirgsfliegerei enorm wichtig, damit sie bei Ernstfall-Rettungseinsätzen auf ihre Erfahrung zählen können.

Von etwa Mitte März bis Anfang Mai sind wir mit unseren Kunden im ganzen Alpenraum auf Skitourenwochen unterwegs. Dann kommt die oben beschriebene Zwischensaison bis Mitte oder Ende Juni. In dieser Zeit gehen die meisten – wie erwähnt – einer Nebenbeschäftigung nach, damit die Lebenshaltungskosten gestemmt werden können. Viele Bergführer haben zusätzlich die Ausbildung «Arbeiten am hängenden Seil» absolviert. Auch mit diesen immer wichtiger werdenden Spezialarbeiten in steilem Gelände oder auf exponierten Baustellen kann in der Zwischensaison gutes Geld verdient werden.

Um heute eine Familie durchzubringen, sind auch wir Bergführer darauf angewiesen, dass die Partnerin oder der Partner ein geregeltes Einkommen heimbringt. Die Sommerhochtourensaison beginnt etwa Mitte Juni und endet je nach Verhältnissen (je nach Permafrost- und Gletscherrückgang) Ende August bis Mitte September. Um die Saison zu verlängern, versucht man im Herbst Klettertouren anzubieten, jedoch meistens mit mässigem Erfolg. Dann folgt wieder die Zwischensaison, welche jeder auf seine Weise im Nebenerwerb zu überbrücken versucht.

Bergführer = Kleinunternehmer
Jeder Bergführer ist heute eigentlich ein selbständiger Kleinunternehmer. Das heisst keine SUVA-Versicherung, keine bezahlten Ferien, keine automatische Pensionskasse, keinen 13. Monatslohn, keine Gratifikation, keine – respektive nicht finanzierbare – Krankentaggeldversicherung, keine Schlechtwetterentschädigung und so weiter. Es ist heute wie in anderen Branchen auch bei uns gang und gäbe, dass Kunden im letzten Moment mit fadenscheinigen Argumenten annullieren, ohne sich auch nur im geringsten Gedanken zu machen, dass wir dann leer ausgehen.

Da nicht immer eitler Sonnenschein und super Hochtourenverhältnisse herrschen und wir Outdooranbieter sind, müssen wir mit zahlreichen Einkommensausfällen leben. Mit der stetigen Ungewissheit umzugehen, ist nicht immer einfach, und diese Tatsache schreckt viele junge Alpinisten davon ab, den Bergführerberuf zu erlernen. Wem ein gesichertes Einkommen wichtig ist, tut gut daran, sich einen anderen Beruf mit geregeltem Lohn und geregelten Sozialleistungen auszusuchen. Diese Ausführungen sollen kein Klagelied über unser Einkommen sein – denn wenn wir Arbeit haben und gemessen an der Verantwortung, welche wir beim Ausüben unseres Berufes tragen, ist unser Lohn korrekt –, sondern sie sollen klar aufzeigen, dass wir wegen den oben erwähnten Tatsachen alle auf einen Nebenerwerb angewiesen sind. Jungen Bergführern empfehlen wir auf Grund der oben erwähnten negativen Auswirkungen als selbständig erwerbender Bergführer eine GmbH zu gründen.

Nachwuchsförderung dringend nötig!
Wahrscheinlich ist das unsichere Einkommen neben den hohen Ausbildungskosten schuld daran, dass wir lange keinen Nachwuchs mehr im Verein erhalten haben. Dank der auf allen Verbandsstufen (SBV, BBV sowie in den Talschafts-Vereinen) aktiven finanziellen Spritze in der Nachwuchsförderung sieht es erfreulicherweise so aus, dass wir in den nächsten Jahren wieder junge Bergführer in unserem Verein aufnehmen dürfen. Dies ist bitter nötig, denn das Durchschnittsalter aller Aktiven (ohne Wanderleiter) in unserem «Grufti»-Verein beträgt 55 Jahre, inklusive Passivmitglieder sogar 61 Jahre. Wir hoffen, hiermit einen Einblick in unseren Bergführerberuf mit und ohne Nebenerwerb, mit all seinen Vor- und Nachteilen, gegeben zu haben.

BERGFÜHRERVEREIN GSTAAD-LENK, UELI HAUSWIRTH


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