«Was sind das für riesige Schächte mitten auf dem Gletscher?»

  12.11.2019 Sport, Gstaad, Lenk

Im Rahmen des 100-Jahr-Jubiläums des Bergführervereins Gstaad-Lenk bestieg Bergführerin Carla Jaggi am 14. und 15. September mit einer kleinen Damentruppe den Wildstrubel. Neben fantastischen Aussichten kamen auch nachdenkliche Fragen auf.

Wir trafen uns an einem strahlenden Samstag Mitte September an der Lenk. Die Wettervorhersage war top, die Temperaturen angenehm und wir konnten sogar noch vier Plätze in der begehrten Wildstrubelhütte bei Koni erschmeicheln.

So starteten wir vier Frauen leichten Schrittes in der Iffigenalp, um den vorerst steilen Wanderweg in die Wildstrubelhütte in Angriff zu nehmen. Wir kreuzten eine Herde Schafe, zwei Herden Männer-Turnvereinler, drei Downhill-Biker und weder der Gesprächsstoff noch der Atem ging uns aus. Konrad und Maxi, die Hüttenwarte, begrüssten uns mit Tee und wir liessen unseren Blick vom Rohrbachstein über die Plan des Roses bis hin zum Wildhorn schweifen. Erstaunt wurde festgestellt, dass das Wildhorn von hier aus gesehen gar nicht so steil ist und dass es ja wirklich noch Gletscher hat dort oben. Nach einem köstlichen vegetarischen Curry und guten Gesprächen in und ausserhalb der Küche ging es dann (fast) pünktlich zur Nachtruhe ins Bett, um am nächsten Morgen genau um fünf Uhr beim Frühstück zu erscheinen. Ohne Stirnlampe und etwas stiller als am Vortag starteten wir in der Dämmerung unseren Weg zur Plaine Morte. Pünktlich zum Steigeisenanziehen ging die Sonne auf und wir konnten am jenseitigen Ende des Gletschers unseren Gipfel, den Wildstrubel, sehen. Die Steigeisen knirschten auf dem hart gefrorenen Eis und alle konnten die Plaine Morte ohne Löcher in den Hosen überqueren. Fragen tauchten auf: Was sind das für riesige Schächte mitten auf dem Gletscher? Wie viele Meter Eis haben wir wohl unter den Füssen? Könnte man diesen Gletscher mit dem Bike überqueren? Und wie lange werden wir hier wohl überhaupt noch Gletscher haben? In nachdenklicher Stimmung zogen wir am anderen Ende, am Fusse des Wildstrubels, die Steigeisen aus und suchten uns einen angenehmen Weg durch das Geröll. Weitere Fragen tauchten bei mir auf: Wird es in Zukunft in der Bergführerausbildung wohl ein Modul «Risikomanagement im brüchigen Fels» geben müssen?

Nun doch etwas ausser Atem, jedoch mit strahlenden Augen, erreichten wir gegen 10 Uhr den Gipfel auf 3244 Metern über Meer. Die Aussicht war fantastisch! Die Berner- und Walliser Gipfel strahlten nur so um die Wette, was mich dazu bewog, meinen Berggefährtinnen sofort jeden kleinsten Gipfel mit Namen und Adresse zu nennen. Während sie meinen ausschweifenden Diskurs über sich ergehen liessen, zogen alle die Daunenjacken an und labten sich an den Sandwiches.

Mit Blick auf die Lenk und ausgerüstet mit Stöcken, starteten wir den weiten, aber abwechslungsreichen Abstieg zu den Siebenbrünnen. Nach einer Weile erreichten wir das Flueseeli, welches uns ob seiner Schönheit sowohl Instagram als auch unsere müden Beine vergessen liess. Wir machten dort Rast, genossen die noch warme Herbstsonne, das goldene Licht und den türkisfarbenen, kristallklaren See. Nach einer Weile wurden wir jedoch von einem sehr liebesbedürftigen Schaf zum Aufbruch gezwungen und so nahmen wir noch den letzten Teil unseres Abstieges in Angriff. Wenn das Schaf uns nicht bedrängt hätte, würden wir wohl immer noch dort oben sitzen.

CARLA JAGGI


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