Kälber an die frische Luft

  03.12.2019 Landwirtschaft

Wir haben einen Rinderexperten auf Stallvisite begleitet und herausgefunden, welches Stallklima zu busperen Kälbern führt: Durchlüftung ohne Durchzug.

SARA TRAILOVIC
Bei mildem Föhnwetter trat Dr. Hans Peter Heckert aus Berlin in den Stall der Betriebsgemeinschaft Schopfer-Gander in Gsteig. Auf Einladung von Felix Neff, Inhaber der Bergpraxis Animal Saanen, hatte der Berliner Tierarzt am Vorabend einen Vortrag über Kälbergesundheit gehalten. Am Samstag, 23. November besuchte der Experte dann verschiedene Bauernhöfe im Saanenland und gab Tipps, um Haltungsbedingungen und Stallklima in den Betrieben zu verbessern.

Die Mehrzahl der Kälberverluste entsteht insbesondere durch Durchfallund Atemwegserkrankungen. Hauptgrund für Erkrankungen der Atemwege sind spezielle Krankheitserreger. Glücklicherweise kann deren Angriff durch ein gutes Stallklima und geschickte Haltungsbedingungen erschwert werden.

Erste Stunden nach der Geburt sind entscheidend
«Es ist enorm wichtig, dass das Kalb nach der Geburt möglichst schnell die Biestmilch bekommt», erklärte der Berliner Tierarzt in Gsteig und meinte damit das Erstgemelk der Mutterkuh. Darin sind genau diejenigen Schutzstoffe enthalten, welche gegen die im Heimatstall vorhandenen Erreger schützen. Danach sollten Kälber bestenfalls in eine Umgebung mit Aussenluft kommen, so werden sie gleich für die Weidehaltung konditioniert. Denn «Kälber vertragen Kälte», betonte Dr. Heckert. Das Problem sei lediglich der Wechsel zwischen kalter und warmer Luft sowie Durchzug. Dieser würde das Immunsystem der Jungtiere schwächen und sie für die Krankheitserreger angreifbar machen.

Empfindliche Kälber
Kälber haben selbst eine geringe Wärmeentwicklung. Innerhalb von 24 Stunden produzieren sie 260-mal weniger Wärme als eine ausgewachsene Kuh. Deshalb ist es wichtig, dass die Temperatur im Mikroklimabereich – also in nächster Umgebung des Jungtiers – zwischen 21 und 24 Grad Celsius beträgt. Bei genügend Stroh und einer niedrigen Durchlüftungsgeschwindigkeit kann das Kalb sich dieses Klima schaffen. Dr. Heckert sieht jedoch häufig Ställe, bei denen der Kälberstall direkt unter einer Frischluftzufuhr liegt. «Die kalte Luft fällt dann direkt auf die Tiere und kühlt deren Körper aus.» In Kombination mit hoher Keimbelastung könne es zu Lungeninfekten und Durchfall kommen. «Selbst wenn die Tiere – oftmals unter Einsatz von Antibiotika – überleben, bleiben oftmals Schäden zurück», erklärte der Rinderexperte. «Die Tiere haben zum Beispiel ständig Atemprobleme, wachsen nicht und bleiben somit in ihrer Entwicklung zurück.»

Weniger Keime dank Luftaustausch
Damit Kälber gesund bleiben, bedarf es zum Schutz vor Infektionskrankheiten auch einer möglichst keimarmen Umgebung. Dafür müssen die Schadgase im Stall abtransportiert werden, ohne dass dabei das Mikroklima rund um das Tier gestört wird. «Die Keimbelastung im Stall kann mittels Durchlüftung und regelmässigem Entmisten gesenkt werden», sagte Dr. Heckert. Diese Durchlüftung sollte jedoch zugfrei und mit einer maximalen Geschwindigkeit von 0,2 Metern pro Sekunde erfolgen. Im Stall Schopfer-Gander erfolgt dies mittels Ventilator, der die durch Wandöffnungen unterhalb des Dachs einströmende Frischluft mit der Stallluft vermischt.

Iglus für gesunde Kälber
«Die Kälber bleiben während der ersten vier bis sechs Lebenswochen in Iglus», so Bauer Hannes Schopfer bei der Stallbesichtigung. Jeder «Mini-Stall» besteht aus einem eingestreuten Unterstand und einem kleinen Aussenbereich. Dies sei richtig so, informierte Dr. Heckert und erklärte: «Die Kälber sollen sich im eingestreuten Iglu hinlegen, denn dort gibt es keinen Durchzug.» Der Wind gelange zwar rein, bleibe aber im geschlossenen Raum stehen und könne sich erwärmen.

Bessere Gesundheit bei Laufställen
Die Iglus hätten sich in der Aufzucht bewährt, so Heckert, ebenso die Laufstallhaltung. Der Betrieb Schopfer-Gander konnte 2016 einen solchen in Betrieb nehmen. «Seither haben wir deutlich weniger Kälber, die an Durchfall erkranken», freute sich Hannes Schopfer. Tatsächlich hatte auch der Experte wenig zu nörgeln. Heckert: «In vielen älteren Ställen mit Anbindehaltung liegen die Jungtiere an den Orten mit der höchsten Keimbelastung.» Allerdings ist klar, dass die Modernisierung des Stallsystems sehr viel Platz und Geld bedarf. Mittel, die besonders in Bergregionen nicht allen zur Verfügung stehen.

Dr. Hans Peter Heckert und sein Team verabschiedeten sich eilig, denn das Wochenende war dicht bepackt: Acht Stallbesichtigungen im Saanenland und vier in der Region Grindelwald.


ZUR PERSON

Dr. Hans Peter Heckert ist Fachtierarzt für Rinder und hat den «Diplomate of European College of Bovine Health Management» – Diplom Rindergesundheit. Bis zum Jahr 2018 war er als Oberarzt an der Klinik für Klauentiere der Freien Universität Berlin beschäftigt. Neben dem täglichen Klinikbetrieb und der Ausbildung der Studierenden führte er auch im Rahmen der Lehre Betriebsberatungen durch. Seine Spezialgebiete waren dabei Kälberkrankheiten und darauf bezogen auch Fütterung und Haltung der Jungtiere. Heute als Pensionär übt Heckert diesen Teil seiner Arbeit sowie Stallbauberatung und Baubegleitung weiterhin durch.

SARA TRAILOVIC


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