Einblicke in die Gstaader Gesellschaft

  14.01.2020 Kultur

Farrol Kahn präsentierte am Samstag im Kirchgemeindehaus seinen Insider-Reiseführer für Gstaad, der seiner Einschätzung nach auch Einheimische mit neuen Erkenntnissen überraschen dürfte.

SONJA WOLF
Beim britischen Tea-Time-Gebäck Scones mit Doppelrahm und Konfitüre, Walliser Weinen und Käse aus dem Saanenland empfing Farrol Kahn seine Vernissagegäste zum Apéro. Eine regelrecht symbolische Auswahl an Leckereien, denn der aus Oxford stammende Brite verbrachte seine ersten fünf Schweizer Jahre im Wallis, bevor er sich – nach Stationen in Vevey und Genf – vor zwei Jahren in Gstaad und Saanen niederliess, um sich intensiv seinen gesellschaftlichen Studien zu widmen.

Spiegel der Gesellschaft
Tatsächlich spiegelt der «Gstaad Insider’s Guide» die hiesige Gesellschaft wider und das auf sehr personenbezogene Art: Gemäss Kahn ist es eine Sammlung der «200 Personen, die Gstaad grossartig gemacht haben». Über die Buchentstehung sagte er mit einem Augenzwinkern: «Ich bin nicht das Tourismusbüro. Ich habe nicht den Anspruch, die Region vollständig abzubilden.» Und so hat er in der Tat zunächst eine subjektive Auswahl an Kapiteln getroffen, um einzelne Branchen anhand einiger repräsentativen Personen vorzustellen. Der Leser erfährt Details über Bäcker, Immobilienmakler, Restaurateure, Landwirte oder Schuldirektoren und branchenunabhängig in einem «Who’s who»-Kapitel über Persönlichkeiten, die den «Geist der Region widerspiegeln».

Alle im Buch beschriebenen Personen, die sich bei der anschliessenden Präsentation im Saal des Kirchengemeindehauses im Publikum befanden, stellte er gar persönlich vor – wie beispielsweise Innenarchitektin Pascale Heuberger, Filmproduzent Andrew Braunsberg, «the king of cheese» René Ryser oder Credit-Suisse-Direktor Manuel Blanco –, unter anerkennendem Applaus der anwesenden Gäste.

Über die 200 Persönlichkeiten verrät er in seinem Gstaadführer Mini-Biografien, persönliche Vorlieben oder «connections», natürlich mit dem Einverständnis der Befragten. In der sonst so diskret funktionierenden Region kann man fast von ein bisschen «Gstaader Buzz» reden, meinte Kahn mit einem Schmunzeln.

Sieger des Fotowettbewerbs
Im Vorfeld wurde ein Fotowettbewerb organisiert, damit alle, welche die Region lieben, ihre persönliche Sicht der Region zum Buch beisteuern konnten. Teilgenommen haben Einheimische und mit der Region verwurzelte Ausländer aus allen Berufsgruppen und Alterssegmenten zwischen 17 und 71 Jahren. Das Siegerbild stammt von Evelyne Peten, die ein Chalet in Lauenen hat und in London lebt. Seit frühester Kindheit kommt sie regelmässig in die Region. Das Siegerbild entstand, als sie aus einem höher fliegenden Heissluftballon einen tiefer fliegenden fotografierte. Genauso wie Evelyn Peten stellte Kahn auch den Zweitplatzierten, den Zimmermann Stefan Jaggi, vor sowie Jurymitglied Frank Müller, Verleger und Verantwortlicher des «Anzeiger von Saanen».

Begeisterter Investigationsjournalist
Farrol Kahn hat schon verschiedene Insider-Reisebücher geschrieben: das erste über das Wallis erschien 2011, anschliessend berichtete er über Crans-Montana, Montreux und die Riviera, Lausanne, Genf und jetzt eben über Gstaad. Für jedes Buch braucht er nach eigenen Angaben im Schnitt zwei Jahre, denn die Befragung der Menschen nimmt Zeit in Anspruch und nicht alle Angefragten zeigen sich bereit, an dem Gesellschaftsporträt mitzuwirken. Ursprünglich kam er im Jahr 2009 in die Schweiz, um auf den Spuren von Rainer Maria Rilke zu recherchieren, dessen letzter Inspirations- und Arbeitsort im Wallis war, auf dem Schloss Muzot in der Nähe von Sierre. Kahn lebte damals im 500-Seelen-Dorf Eischoll und entwickelte eine solche Begeisterung für die ländliche Schweizer Bevölkerung und deren Hilfsbereitschaft, dass er das Gefühl hatte, er wolle gerne etwas zurückgeben. So entstand sein erster Reiseführer über das Wallis.

Für den «Gstaad Insider’s Guide» betrieb Faroll Kahn einerseits Nachforschungen über die 70 alteingesessenen Familien in Gstaad und Umgebung, die ihr eigenes Wappen besitzen und sich in Aufzeichnungen bis 1312 zurückverfolgen lassen, andererseits recherchierte er auch über die Zugezogenen, Zweitwohnungsbesitzer und regelmässige Urlauber, welche die Region lieben und aktiv zu deren internationaler Ausstrahlung beitragen. Diese Nachforschungen und das Zeichnen des Gstaader Gesellschaftsporträts begeisterten ihn, sodass er verrät: «Ich arbeite bereits an einer zweiten Ausgabe des Reiseführers, die um Persönlichkeiten und Lokalitäten aus Lauenen, Gsteig, Rougemont und Château-d’Oex erweitert sein wird.»


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