Mit Saaner Hilfe sicher zurück vom Weltall

  24.01.2020 Saanen

Samuel Rieder aus Saanen war Mitglied eines achtköpfigen Teams, das sich der Stabilisierung von Raumsonden während des Eintritts in die Erdatmosphäre angenommen hat. Erste Tests im Windkanal waren bereits erfolgreich. Ob es unter realen Bedingungen auch klappt, zeigt sich im März.

KEREM S. MAURER
Unter dem Patronat der HES-SO (Haute Ecole Spécialisée de Suisse Occidental) nahmen sich vier Maschinenbaustudenten aus Genf und vier Elektronikstudenten aus Freiburg – einer der Letzteren war Samuel Rieder aus Saanen – folgendem Problem an: der Stabilisierung von Raumsonden beim Eintritt in die Erdatmosphäre. Obschon das Experiment den Namen Hades (Hayabusa Active Dynamic re-Entry Stabilisation) trägt, hat es nichts mit der mythologischen Unterwelt zu tun, sondern viel mehr mit dem sicheren Zurückkommen der Kapsel auf die Erde.

Zur Rettung von Gesteinsproben
Der Hintergrund dieser komplexen Sache ist relativ simpel: Die japanische Raumfahrtorganisation Jaxa beabsichtigt, eine unbemannte Raumsonde Hayabusa in der Grösse eines Kühlschrankes ins Weltall zu schiessen. Ziel dieser Mission ist die Entnahme von Gesteinsproben eines Asteroiden. Diese Proben kommen in eine Kapsel, mit deren Hilfe sie unbeschadet auf die Erde gebracht werden sollen. Diese Kapsel hat ungefähr die Form einer fliegenden Untertasse und weist im Überschall-Geschwindigkeitsbereich ein hervorragendes Flugverhalten auf. Dank ihrer Form erzielt sie ausserdem eine gute Bremswirkung. Diese schon vielfach geprüfte Kapselform ist in einschlägigen Kreisen weitverbreitet. Das Problem, das es zu lösen gilt, stellt sich, sobald die Kapsel auf ihrem Rückflug zur Erde in die Erdatmosphäre eintritt: Durch die Bremswirkung kommt sie ins Trudeln und beginnt, sich in Fahrtrichtung purzelbaummässig zu überschlagen. Diese Vorwärtsrotation verunmöglicht den Einsatz eines Bremsfallschirms. Doch ein solcher ist wichtig. Denn: Schlägt die Kapsel ohne die Unterstützung eines Bremsfallschirms auf der Erde auf, geht sie kaputt. Die Gesteinsproben wären im schlimmsten Fall verloren, die Mission gescheitert. Das Ziel der acht Studenten ist demnach die Stabilisierung der Kapsel und damit die Kompensation, sprich Aufhebung, der Vorwärtsrotation.

Ohne Kapsel keine Daten
Um die Rotationsbewegung zu kompensieren, werden in der Kapsel Elektromotoren eingebaut. Diese bewegen sich auf einer X- und einer Y-Achse und verlegen so den Schwerpunkt innerhalb der Kapsel an jeden beliebigen Punkt. Befindet sich der Schwerpunkt am richtigen Ort, bleibt die Kapsel stabil. Damit wäre das Problem gelöst, doch: Wo landet die Kapsel? Diese hat einen Durchmesser von rund 30cm und landet beim Testflug im März voraussichtlich irgendwo in den schneebedeckten Weiten Nordschwedens. Um die Kapsel wiederzufinden, wird sie mit einem GPS-Sender ausgerüstet. Ausserdem werden Bewegungsdaten der Kapsel – und damit ihr Flugverhalten – erfasst. Doch aufgrund der enormen Geschwindigkeit von bis zu dreifacher Schallgeschwindigkeit kann die Kapsel die Daten nicht per Funk übermitteln, weshalb sie auf einer SD-Speicherkarte gespeichert werden müssen. Ist die Kapsel gelandet, sendet sie die GPS-Koordinaten via Satellitentelefonmodul an die Basisstation der Rexus-Bexus (siehe Kasten). Dies, weil nicht zwingend davon ausgegangen werden darf, dass sie dort landet, wo es ein Mobilfunknetz hat. Dann rücken Rexus-Bexus-Spezialisten aus, die mit Recco-Detektoren die Kapsel finden sollen. Hilfreich dabei ist ein Recco-Chip auf der Kapsel. Solche Chips werden auch in Skijacken eingesetzt, wo sie helfen, Lawinenverschüttete zu orten. Wird die Kapsel gefunden, hat man die Daten und kann das Flugverhalten der Kapsel während des Eintritts in die Erdatmosphäre analysieren.

Steuerungssoftware machts möglich
Sind alle für dieses Experiment notwendigen Komponenten gebaut und an den vorgesehenen Stellen montiert, fehlt nur noch die Software, also ein Computerprogramm, das es einerseits allen Komponenten erlaubt, zusammen zu kommunizieren, und andererseits die Sache so steuert, dass jeder Impuls zur richtigen Zeit gesendet oder empfangen wird. Und dieser Teil ist Samuel Rieders Gebiet. Er hat im Rahmen einer Semesterarbeit für den Bachelor dieses Programm entwickelt und geschrieben. Tests, die bereits im Windkanal durchgeführt worden sind, zeigen: Es funktioniert, die Sonde bleibt – zumindest in simulierten Verhältnissen – stabil.

Im März gehts in den Weltraum
Mitten in den Wäldern von Kiruna, etwa 45 Kilometer von der gleichnamigen Stadt in Nordschweden entfernt, steht der Weltraumbahnhof Esrange (European Space and Sounding Rocket Range). Von diesem Ballon- und Raketenstartplatz für den Start von Höhenforschungsraketen startet im kommenden März eine sechs Meter lange Trägerrakete. Dann wird unter realen Bedingungen getestet, ob Hades funktioniert und ob die Arbeit der Forschergruppe mit Samuel Rieder erfolgreich ist. Die Kapsel wird rund 96 km weit ins All geschossen. Ihre Landung wird rund 11 Minuten nach dem Start erwartet. Klappt alles nach Plan, dürfte der Nutzung durch die Japaner nichts mehr im Weg stehen. Dann werden wohl schon bald, unterstützt durch Saaner Knowhow, Gesteinsproben von Asteroiden, Eisklumpen vom Mond oder andere Stücke aus dem All geborgen werden, ohne dass dafür Menschen in den Weltraum fliegen müssen. Rexus-Bexus finanziert die Rakete, den Start und das Wiederauffinden der Kapsel, während die Hochschulen sowie die Schweizer Weltraumorganisationen und privatwirtschaftliche Partner für das Experiment aufkommen.

Autonomes Fahren und Bergführer
Samuel Rieder bezeichnet sich selbst als sehr technikaffin. Die Herausforderungen unter extremen Bedingungen reizen ihn. «Im Weltraum herrschen extreme Bedingungen: keine Gravitation, sehr kalte und sehr heisse Temperaturen», erklärt Rieder und fügt an, dass sein Arbeitsgebiet nicht zwingend das Weltall sein müsse. Auch in der Tiefsee gebe es Extrembedingungen. Mit dem Abschluss seiner Semesterarbeit hat sich seine Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Weltraum vorläufig erledigt. Am Raketenstart im März darf er zwar mit dabei sein, aber nicht als aktives Mitglied eines Teams. Gegenwärtig arbeitet der Saaner Elektroingenieur am Institut für funktionale Sicherheit in Freiburg im Rosas Center. Dort beschäftigt er sich mit der Entwicklung eines Zulassungsverfahrens für autonome Fahrzeuge, also mit einer offiziellen Zulassung für Fahrzeuge, die ohne Fahrzeuglenker unterwegs sind. Doch die Extreme lassen ihn nicht los: Als Nächstes will Samuel Rieder die Ausbildung zum Bergführer angehen.

hades-rexus.ch


REXUS-BEXUS

Das Rexus-Bexus-Programm ermöglicht es Studenten von Universitäten und Hochschulen aus ganz Europa, wissenschaftliche und technologische Experimente auf Forschungsraketen und Ballons durchzuführen. Jedes Jahr werden zwei Raketen und zwei Ballons gestartet, die bis zu 20 von Studententeams entworfene und gebaute Experimente tragen. Daran beteiligt sind: DLR Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt; SNSA Rymdstyrelsen Swedish National Space Agency; ESA European Space Agency; SSC Swedish Space Corporation; ZARM Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation und EuroLaunch. www. rexusbexus.net

 


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