Alle vier Asse

  11.02.2020

Das Ass ist die höchste Karte einer Farbe. Und wer alle vier Asse in der Hand hält, hat Glück gehabt. Denn vier gleiche Karten zu bekommen ist eine Glückssache. Die Wahrscheinlichkeit, dass man während eines Spiels alle vier Asse bekommt, ist jedoch gleich gross oder gleich klein wie die Chance, von den übrigen Karten vier gleiche zu bekommen. Ob man schliesslich mit den vier Assen 100 Punkte weisen kann und ob man alle vier Asse ins Trockene bringt, ist ebenfalls Glückssache. Denn wenn das generische Team an der Reihe ist, Trumpf anzusagen, und «Undenufe» ansagt, dann sinkt der Wert der Asse gleich auf null. Und wenn der Gegner erst noch ein Fünfblatt weist, dann sind auch die Weispunkte der vier Asse weg.

Vier Asse in der Hand zu halten sorgt beim Jassen fast immer zu einem Adrenalinschub, aber manchmal ist dieser Schub nur von kurzer Dauer. Es ist auch im Alltag ärgerlich, wenn man in einer ganz speziellen Sache ein Ass ist und herausragende Leistungen vollbringen könnte, aber diese Sache überhaupt nicht gefragt ist. Und es ist frustrierend, wenn man in Mathematik ein Ass ist, aber Sprachkenntnisse gefragt sind, wenn man ein Ass ist im Reden, aber Zuhören gerade wichtiger wäre. Manchmal spielt das Leben verrückt mit einem, wie das Sprichwort bestätigt: «Die Hand voller Asse, doch das Leben spielt Schach.»

Unter geübten Spielern ist es sicher schwierig, während eines Spiels plötzlich noch ein Ass aus dem Ärmel zu schütteln. Denn gute Spieler wissen immer, welches Ass noch im Spiel ist und welche Asse bereits gegangen sind. Bei schwierigen Verhandlungen im Alltag kann sich das Blatt jedoch plötzlich wenden, wenn jemand noch ein Ass im Ärmel hat und ganz unerwartet mit einer Information oder einem Beweis aufkreuzen kann, von dem niemand etwas ahnte. Diese Möglichkeit, noch ein Ass aus dem Ärmel zu schütteln und etwas zu wissen, was die anderen noch nicht wissen, ist dann vor allem erfolgreich, wenn man lange auf die falsche Karte gesetzt hat und dann plötzlich merkt, wie eine Sache in Schieflage gerät und einem die Felle davon schwimmen.

Beim Jassen kommt es immer wieder vor, dass man im entscheidenden Moment kein Ass in der Hand hat. Zum Beispiel, wenn man beim Schieber geschoben hat, der Partner macht «Obenabe» und selber hat man kein Ass in der Hand. Im schlechtesten Fall kann das Spiel dann sogar zu einem Kontermatch ausarten. Aber auch dann, wenn man beim Jassen nur selten ein Ass in der Hand hat, ist man als Person trotzdem auf irgendeinem Gebiet ein Ass. Denn jeder Mensch kann irgendetwas besonders gut. Der eine weiss alles, wenn es um Computer geht, und ein anderer ist ein Virtuose auf seiner Trompete. Die eine ist ein Supertalent im Kunstturnen, und eine andere ist ein Sprachgenie. Der eine weiss in jeder Situation einen träfen Spruch, und ein anderer kann aus jedem Holzklotz ein Kunstwerk gestalten. Jeder Mensch ist auf irgendeinem Gebiet ein Ass, der Beste, eine Expertin, eine Meisterin, ein Fachmann oder ein Champion. Aber wie beim Jassen, bei dem man ein Ass verlieren kann, wenn man es falsch einsetzt, kann man auch im Leben das, was man besonders gut kann, verlieren, wenn man es nicht regelmässig übt und einsetzt. Und weil man beim Jassen auch mit vier Assen verlieren kann, ist das Jassen ein gutes Übungsfeld, bescheiden zu bleiben.

Das Ass ist die höchste Karte einer Farbe und beim «Obenabe»-Spiel die höchste Stechkarte. Aber schon beim Trumpf-Spiel ist sie nur noch die drittstärkste Karte. Und beim «Undenufe»-Spiel verliert sie sogar auch noch ihre elf Punkte und wird zum «Nuller». Auch im Alltag kann jemand zum «Nuller» werden, wenn er oder sie sich immer wieder als Ass aufspielt. Aber alle, die ihre besonderen Fähigkeiten kennen und sie richtig einsetzen, werden sicher nie zum «Nuller». Auch dann nicht, wenn sie beim Jassen ab und zu ein Ass zum falschen Zeitpunkt ausspielen.

ROBERT SCHNEITER


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