Unverpackt kommt nicht von heute auf morgen

  18.02.2020 Region

Zwar gibt es viele Bestrebungen hin zu weniger Plastik – dass Lebensmittel von der Mehrheit unverpackt, und zwar in den eigenen Behältnissen gekauft werden, wird wohl noch ein bisschen dauern.

BLANCA BURRI
Ja, es gibt sie auch im Saanenland, die Läden, welche ihre Lebensmittel unverpackt verkaufen. Dazu gehört auch die Buure Metzg in Gstaad. Wenn jemand mit dem eigenen Geschirr in den Laden geht, kann er Nahrungsmittel darin nach Hause nehmen, ohne dass weiteres (Plastik-)Verpackungsmaterial verwendet wird. «Das ist für uns eine Selbstverständlichkeit und überhaupt kein Problem», sagt Marlise Bratschi, Geschäftsführerin von der Buure Metzg. Solange man keine Lebensmittel aus den Kundenbehältern entgegennehme, komme man mit dem Lebensmittelgesetz nicht in Konflikt. Sie versteht nicht, weshalb sich so viele Geschäfte schwer damit tun. «Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg», betont sie.

Standard: Früchte, Gemüse und Nüsse
Die beiden in Gstaad ansässigen Grossverteiler Coop und Migros bieten Früchte, Gemüse, Nüsse und Trockenfrüchte unverpackt an. Auch die Landi verkauft Früchte und Gemüse offen. Im Coop gibt es zudem eine Fleisch- und Käsetheke. Coop und Migros bestätigen, dass man nicht nur die vor Ort angebotenen Säckli benutzen, sondern auch eigene Behältnisse mitbringen kann. Das Gemüse und die Früchte werden also lose auf die Waage gelegt und anschliessend in einen mitgebrachten Sack gelegt. Die Etiketten sammelt der Kunde und gibt sie später der Kassierin. Ein bisschen schwieriger wird es beim Wägen von Nüssen und Trockenfrüchten. Die Waage verfügt über keine Tara-Funktion. Also bezahlt der Kunde das Gewicht des eigenen Gefässes jedes Mal mit. Als herausfordernd kann auch das Abfüllen bezeichnet werden. Die Ware wird bei Coop auf Kniehöhe angeboten, weshalb man sich bücken muss. Zudem liegt nicht bei jedem Produkt das richtige Schöpfwerkzeug bereit. Für die Mangostücke gibt es beispielsweise eine Schaufel statt einer passenden Zange. Ganz durchdacht sind diese Systeme also nicht. Im Bioladen «Votre Cercle de Vie» in Château-d’Oex haben sich die Besitzer mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt, bevor sie vor zwei Jahren auf unverpackt umgestellt haben. Dort werden die 200 agebotenen Artikel in hygienischen Glasbehältnissen angeboten. Die meisten verfügen über einen Dispenser, anderen liegen Schöpfgeräte bei, die zu den Produkten passen.

Prozess im Gang
Das Potenzial, Lebensmittel ohne Verpackung zu verkaufen und somit Abfall zu reduzieren, ist gross. Reis, Hülsenfrüchte oder Teigwaren bieten sich dazu sehr gut an. Die Migros Genf hat zu diesem Thema erste Pilotprojekte durchgeführt. Sprecherin Daniela Lüpold sagt: «Die Genossenschaften sind untereinander sehr gut abgestimmt und profitieren gegenseitig von gemachten Erfahrungen und Erkenntnissen.» Zudem plane die Genossenschaft Migros Aare im Frühling in zwei Filialen in der Region Bern Tests, um zu prüfen, ob Selbstabfüllungsanlagen bei der Kundschaft Anklang finden.

Tests in der Deutschschweiz
«Coop prüft laufend, welche Möglichkeiten es gibt, das Unverpackt-Angebot auszuweiten», sagt Mediensprecherin Rabea Grand. Im Karma-Store in Zug und im Fooby-Laden in Lausanne habe der Grossverteiler das Angebot bereits ausgeweitet. Dort würden Hülsenfrüchte, Reis und Granola-Müeslimischungen offen verkauft. Für Migros wie für Coop ist die Reduktion von Verpackungen ein sehr wichtiges Thema. Seit 2012 habe Coop rund 24’000 Tonnen Verpackungsmaterial reduziert oder durch nachhaltigere Verpackungen (z.B. Graspapier) ersetzt, sagt die Mediensprecherin. Bis Ende 2020 reduziere und optimiere Coop weitere rund 4000 Tonnen Verpackungsmaterial. Auch die Migros engagiert sich im Bereich der Nachhaltigkeit und verweist auf ihre Website.

Familienpackungen
Die Landi zeichnet sich durch grosse Familienpackungen aus. Gerade für grosse Familientische lässt sich so der Abfall stark reduzieren. Mit dem erweiterten Offenverkauf tut sie sich aber etwas schwer. «Uns sind die Hände gebunden», sagt Mario Cairoli, Vorsitzender Geschäftsführer der Landi Simmental-Saanenland. Sie befürchtet, mit dem Lebensmittelgesetz in Konflikt zu geraten. «Sobald die Kunden ein eigenes Geschirr mitbringen, kann es mit den offen im Verkauf stehenden Lebensmitteln in Berührung kommen.» Die Landi möchte für allfällige Kontaminationen keine Verantwortung übernehmen. Das heisst aber nicht, dass die Landi nichts tut, im Gegenteil. Die Schweizer Dachorganisation setze sich aktiv mit den 17 UNO-Nachhaltigkeitszielen auseinander und arbeitet nun in Arbeitsgruppen daran, was sie zur Erreichung dieser Ziele beitragen kann. «Die Umsetzung braucht hingegen noch etwas Zeit», sagt Cairoli, der selbst in der Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit Landi mitwirkt.

In der Welschschweiz und in der Stadt ein Trend
In den Schweizer Städten sind die sogenannten Unverpackt-Läden bereits voll im Trend. Viele umweltbewusste Menschen bringen ihre eigenen Gefässe mit, füllen sie mit Reis, Kichererbsen oder Müesli und bezahlen anschliessend an der Kasse. Damit das Eigengewicht des Geschirrs nicht bezahlt werden muss, wird es vorher gewogen und vom Bruttogewicht wieder abgezogen. Auch im Bioladen «Votre Cercle de Vie» können Getreide, Teigwaren, Hülsefrüchte und weitere Lebensmittel, Beautyprodukte und Putzmittel ohne Verpackung gekauft werden. Geschäftsinhaberin Esther Mottier ist überrascht, wie schnell sich die Kunden an die Dispenser gewöhnt haben. «In der Westschweiz ist Unverpackt seit mehreren Jahren ein Thema und inzwischen ein grosser Trend», sagt sie. Wie «Votre Cercle de Vie» läuft auch das zweite Unverpackt-Geschäft in Châtaux-d’Oex «Au Pays des Saveurs» sehr gut, wie Besitzerin Solène Morier gegenüber dieser Zeitung sagt.

Hygiene ist oberstes Gebot
Morier setzt auf viel Vertrauen in die hygienische Arbeitsweise der Kunden. Fast alle Produkte bietet sie so an, dass zu viel bezogene Ware zurückgeschüttet werden kann. Im «Votre Cercle de Vie» hingegen gibt es zu 99 Prozent ein in sich geschlossenes System. Ist das Behältnis leer, wird es ausgetauscht, denn die Hygiene ist der gelernten Drogistin Esther Mottier extrem wichtig. Auch aus diesem Grund muss das leere Behältnis an der Kasse erst gewogen werden, bevor es abgefüllt werden darf. «Durch die natürliche Kontrolle der Behältnisse gibt es eine grosse Hemmschwelle, schmutziges Geschirr mitzubringen», betont die gebürtige Obersimmentalerin. Erstaunt ist sie über die grosse Umwälzung der Ware. Ihre anfängliche Sorge, dass sie Probleme mit dem Ablaufdatum bekommt, war unbegründet. «Jedes Behältnis leert sich mehrmals pro Woche.» Das optisch ansprechende System wurde vom deutschen Start-up-Unternehmen Glasbin produziert. Das Unternehmen besteht aus einem Glasmacher, einem Schlosser und einem Schreiner.

Weshalb ist Offenverkauf teurer?
Einschlägigen Berichten zufolge sind Lebenmittel im Offenverkauf bis zu 30 Prozent teurer als verpackte. Die Migros begründet: «Da der logistische Aufwand und das Handling im Laden um einiges aufwendiger sind, sind die Preise höher als bei verpackten Produkten.» Esther Mottier hat sich mit der Preispolitik intensiv auseinandergesetzt. Als Grund gibt sie die Befürchtungen der Kunden an, als sie ihnen Unverpackt angekündigt hatte: «Die Leute hatten Angst, dass sie sich unsere Ware nicht mehr leisten können.» Das hat die Geschäftsführung dazu bewogen, keinen Offenmengenzuschlag zu verrechnen. «Dieser Entscheid hat sich gelohnt. Viele Familien kaufen bei uns günstige Bioprodukte ein, die wir direkt von den Produzenten beziehen.»

Kunden (noch) nicht bereit
Vielen Kunden ist nicht bewusst, wie viel Einfluss sie auf weniger Abfall nehmen können. Die Buure Metzg zum Beispiel verzeichnet erst drei Stammkunden, die unverpackt einkaufen. Auch die Nachfrage bei Chnusper-Becke mit den beiden Geschäften in Gstaad und Schönried ist noch klein. «Wir haben im vergangenen Herbst Brotsäckli aus Stoff verschenkt, damit die Kunden ihre Backwaren ohne Papiersäckli mit nach Hause nehmen können. Das wird aber selten bis gar nie gebraucht», sagt Geschäftsführerin Andrea Wehren resigniert. Sie vermutet, dass viele Einkäufe eher spontaner Natur sind, und dass die Kunden deshalb oft kein entsprechenden Transportgeschirr dabei haben. «Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in einem Tourismusgebiet leben und die Gäste im Ferienchalet nicht so gut eingerichtet und organisiert sind wie zu Hause.»

Weniger Plastiktaschen
Ein erstes Umdenken hat zumindest bei den Plastiktüten und Einwegtragtaschen stattgefunden. «Ich beobachte wieder viel mehr Leute, die wie früher ihren eigenen Korb oder eine Tasche mitbringen», sagt etwa Marlise Bratschi. Um dem Plastik entgegenzuwirken, setzt die Buure Metzg auf umweltfreundlichere Papiertaschen. Chnusper-Becke ging sogar einen Schritt weiter: «Als unsere Tragtaschen kostenpflichtig wurden, haben wir Stoffsäcke verschenkt.»

Die Recherchen zeigen, dass vor allem die lokalen Lebensmittelgeschäfte bereit sind, die Waren unverpackt abzugeben. Nun liegt es an den Kunden, die Gelegenheit wahrzunehmen und ihre eigenen Behältnisse mitzubringen.


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