Halten wir uns an die Anordnungen des Bundesrates!

  24.03.2020 Coronavirus

Der Bundesrat hat am Freitag die Massnahmen verschärft. Wer krank oder über 65-jährig ist, soll zu Hause bleiben. Viele halten sich daran, wie eine nicht repräsentative Umfrage zeigt.

ANITA MOSER
Der Bundesrat fordert die Bevölkerung eindringlich auf, zu Hause zu bleiben, insbesondere Personen, die krank oder über 65 Jahre alt sind. Nach draussen gehen soll nur, wer zur Arbeit oder zum Arzt gehen sowie Lebensmittel einkaufen oder jemandem helfen muss. Damit sollen besonders gefährdete Personen geschützt und eine Überlastung der Intensivstationen in den Spitälern verhindert werden.

Nicht mehr selber einkaufen
Wenn er Leute mit dem Rollator an der Sonne alleine spazieren sehe, dann sei das in Ordnung, sagte Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) am Samstag vor den Bundeshausmedien. «Noch schöner ist es, wenn die Leute, weil sie alt sind, an der Sonne auf dem Balkon Übungen machen – denn sie müssen sich bewegen.» Nicht so schön finde er es, wenn er die Leute mit dem Rollator im Einkaufzentrum treffe. «Es muss uns gelingen, dass diese Leute zu Hause bleiben können, dass sie nicht mehr einkaufen gehen müssen, dass jemand die Einkäufe für sie übernimmt», so Koch. «Denn das sind die Leute, die ein sehr hohes Risiko haben – auch wenn sie sich heute noch sehr gesund fühlen.»

Leere Strassen und Plätze am Wochenende
Die neuen Massnahmen gelten seit Freitag. Und sie scheinen zu wirken, wie ein Augenschein am Wochenende vor Ort zeigte. Nur wenige Menschen waren unterwegs, man geht sich aus dem Weg, geht abseits von Dörfern spazieren. Spazieren gehen, frische Luft schnappen, das ist auch für die Risikogruppe der über 65-Jährigen zentral. Man ist froh, hat der Bundesrat keine Ausgangssperre verhängt. Wie eine via Telefon geführte, nicht repräsentative Umfrage zeigt, halten sich die älteren Personen an die Weisungen, aber nicht alle haben in der Nähe Verwandte oder Nachbarn, die für sie einkaufen. Da sind noch Lösungen gefragt.

Sie sitze vor der Wohnung in der Sonne, begrüsst mich eine 72-jährige Saanerin. Sie gehe nicht mehr einkaufen, ihr Mann gehöre zur Risikogruppe. Bis am vorletzten Sonntag seien sie noch mit den Fahrrädern unterwegs gewesen – «immer mit einem grossen Bogen um andere Menschen». Doch nun wolle ihr Mann auch das nicht mehr. «Nun ist die Vorgabe so und wir bleiben zu Hause», habe er erklärt. Sie liessen sich nun das Essen bringen, aber auf die Dauer sei das keine Lösung – auch aus Kostengründen. Sie kenne aber leider niemanden, der für sie einkaufen könnte. Ihre Kinder wohnten nicht in der Nähe, die Nachbarn gehörten ebenfalls der älteren Generation an. «Wir wären froh über eine Plattform, auf der man sich melden kann, wenn man niemanden in der Nähe hat, der für einen die Einkäufe erledigen kann.»

Ihr Partner und sie hätten sich fest vorgenommen, nicht mehr selber einkaufen zu gehen, betont auch Bethli Küng (74) auf Anfrage. Ihre Grossnichten übernähmen die Einkäufe für sie. Aber sie gingen bis jetzt täglich eine gute Stunde spazieren, abseits der Zivilisation. «Eine gewisse Bewegung brauche ich in meinem Alter, sonst bin ich in einem Monat nicht mehr gehfähig.» Ihr Ziel sei es, die momentane Beweglichkeit zu erhalten. «Wir treffen auf unseren Ausflügen selten Leute, es ist praktisch niemand unterwegs. Und wenn einem jemand entgegenkommt, geht man auf Abstand. In Läden sollten wir in unserem Alter wohl schon nicht mehr gehen …» Sie hätten noch kurz vor dem Lockdown eingekauft. Für die nächsten Tage hätten sie noch genügend Vorräte. Es gebe ja auch Adressen – auch im «Anzeiger von Saanen» –, bei denen man sich melden könne bei Bedarf. «Das muss man in Anspruch nehmen. Auch jene, die keine Verwandten in der Nähe haben», so Bethli Küng.

Sie sei nicht eine, die drinnen bleiben könne, sagt auch eine 81-jährige Saanerin. Sie mache täglich einen Spaziergang in der Umgebung, aber sie begegne selten jemandem. Sie halte sich an die Vorgaben. Momentan sei ihr Sohn zu Besuch – aber auch innerhalb der Wohnung hielten sie sich an die Hygiene- und Abstandsregeln. Wenn sie alleine sei, werde sie auf den Hauslieferdienst zurückgreifen, sie habe aber auch jüngere Verwandte, einen Neffen, der einkaufen gehen würde. «Ich kann gut einkaufen für eine Woche. Ich bin es von früher, aus den Kriegszeiten, gewohnt, Vorräte anzulegen. Ich könnte einen Monat überleben, ohne hinauszugehen.»

Sie stehe nicht allzu früh auf, verbringe den Morgen mit Hausarbeiten, mache Frühlingsputz, sagt eine 66-Jährige. Sie ist verwitwet, lebt alleine. Sie gehe nur ins Dorf, wenn es ganz dringend notwendig sei. «In die Grossverteiler gehe ich nicht mehr. Die Einkäufe übernehmen meine Kinder.» Zu den Grosskindern habe sie keinen physischen Kontakt – das sei relativ einfach, da sie nicht in der Region wohnen. Und einmal im Tag gehe sie an die frische Luft, meistens alleine. «Wenn ich unterwegs jemandem begegne, spreche ich mit ihnen auf Distanz, aber nur kurz, nicht einmal eine Viertelstunde lang.» Wie viele andere ihrer Generation pflegt sie vermehrt telefonischen Kontakt. «Ich probiere, mich an die Weisungen zu halten. Wir haben es selber in der Hand, damit die Ausgangssperre nicht kommt.»

Man fühle sich schon etwas diskriminiert. Sie seien zwar bisher nicht schräg angeschaut worden, in den Läden auch freundlich bedient worden, meint eine 70-Jährige. Man müsse sich halt erst an die neue Situation gewöhnen, man sei es halt gewohnt, selber einzukaufen. Aber: «Ich verstehe die Massnahmen voll und ganz. Man muss sich daran halten.» Auch sie und ihr Mann haben noch vor dem Lockdown einen Grosseinkauf gemacht. Wie sie es machen, wenn die Vorräte aufgebraucht sind, respektive wenn sie frische Lebensmittel benötigen, haben sie noch nicht organisiert. «Unsere Kinder wohnen nicht hier, die Nachbarn sind auch älter oder sind gesundheitlich vorbelastet.» Hauslieferdienst sei gut und recht, aber wenn man regelmässig Frischprodukte möchte, koste das auch. Aber sie ist zuversichtlich: «Wir werden schon eine Lösung finden.»

«Wir halten uns an alles, hüten keine Grosskinder mehr», sagt eine Gstaaderin. Sie und ihr Mann sind über 65-jährig und haben beide Diabetes. «Wir halten uns in der Natur auf, auch im Garten, das darf man ja.» Am Freitag habe sie noch eingekauft, nun reichten die Vorräte – gelagert im Keller, im Tiefkühler – eine Weile. Einkaufen gehe sie nun vielleicht nicht mehr, ihre Tochter würde das übernehmen. Mit den Enkeln sind sie per Video verbunden. Sie finde es schwierig, weil sich Jüngere nicht an die Vorschriften hielten. «Nicht hier, sondern in den Städten.» Auch die alten Leute, die sich nicht an die Weisungen hielten, begreife sie nicht. «Jetzt muss man sich daran halten.»

«Wir halten uns ohne Wenn und Aber an die Vorgaben des Bundesrates. Punkt!», betont ein Ehepaar (71 und 73) aus Lauenen. Ob man sich in Lauenen an die Vorgaben halte, wisse er nicht. «Ich bin nicht draussen, ich bleibe zu Hause.» Behelfen würden sie sich mit Hauslieferungen.

Auch in Gsteig und Feutersoey hält man sich mehrheitlich an die Massnahmen. Im Grossen und Ganzen kämen die Älteren nicht selber einkaufen, sagt Marlies Addor vom Lädeli Feutersoey. Es kämen vermehrt Töchter, Söhne oder Schwiegertöchter für ihre Eltern, Schwiegereltern und Grosseltern einkaufen. Im Cheeslade in Gsteig sieht es ähnlich aus. Es gebe sie schon noch, die älteren Leute, die selber einkaufen. «Aber vermehrt nutzen sie den Hauslieferdienst oder schicken Familienangehörige», sagt Peter Beetschen vom Cheeslade.

Auch Markus Willen, Gemeindepräsident von Gsteig, kauft für seine Eltern ein. «Sie gehen auch nicht mehr zu Besuch.» Wir hätten hier noch Glück, man wohne recht weit auseinander, begegne praktisch niemandem, so Willen. «Man sieht fast keine Leute mehr auf der Strasse, auch keine Gruppierungen.»

Alle Befragten sind froh, dass man noch spazieren darf. Man hofft, dass sich alle an die Weisungen halten, damit der Bundesrat keine Ausgangssperre verhängt. Auch jungen Leuten scheint dies bewusst zu sein. Da und dort sah man am Wochenende zwar eine Gruppe junger Menschen lachend und diskutierend – aber maximal zu fünft und mit dem vorgegebenen Abstand zueinander. Solidarität ist nun gefragt – von allen. «Bleiben Sie auf Distanz», schreibt Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga in einem offenen Brief. «Wir, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, haben es in der Hand. Im Namen des Bundesrats rufe ich Sie deshalb auf: Bleiben Sie daheim, wenn Sie älter als 65 oder krank sind. Bleiben Sie auf Distanz zu anderen Menschen. So helfen Sie sich. Und so helfen Sie den anderen.» (Siehe Kasten)


OFFENER BRIEF VON BUNDESPRÄSIDENTIN SIMONETTA SOMMARUGA

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

Unser Leben hat sich über Nacht verändert. Schulen, Kinos und Läden sind geschlossen, Veranstaltungen verboten. Ältere und kranke Menschen bleiben zu Hause. Viele Berufstätige arbeiten von daheim aus. Im Büro oder auf der Strasse kommen wir uns nicht näher als zwei Meter. Ansammlungen von mehr als fünf Personen sind draussen verboten.

Diese Regeln sind wichtig. Denn sie retten Leben. Darum müssen wir sie unbedingt einhalten. Nur so können wir Ansteckungen vermeiden und die Verbreitung des Coronavirus verlangsamen. Und das ist jetzt entscheidend. Wenn sich das Virus zu schnell verbreitet, sind die Intensivstationen in unseren Spitälern überlastet. Die Folgen können verheerend sein. Jetzt kommt es auf uns alle an.

Die Opferzahlen in der Schweiz steigen. Das tut weh. Bund, Kantone und Gemeinden arbeiten Tag und Nacht an Lösungen. Es ist aber wie so häufig in unserem Land: Es braucht die Bevölkerung.

Wir, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, haben es in der Hand. Im Namen des Bundesrats rufe ich Sie deshalb auf: Bleiben Sie daheim, wenn Sie älter als 65 oder krank sind. Bleiben Sie auf Distanz zu anderen Menschen. So helfen Sie sich. Und so helfen Sie den anderen.

Die Behörden lassen die Bevölkerung nicht allein. Wir kümmern uns um Betriebe und Arbeitsplätze. Der Bundesrat hilft Unternehmen, Angestellten und Freischaffenden, die um ihre Existenz kämpfen. Er sorgt dafür, dass Löhne bezahlt werden können und Firmen Kredite erhalten. Mehr als 40 Milliarden Franken stehen ab sofort zur Verfügung, rasch und unbürokratisch.

Ein riesengrosses Dankeschön! Nicht alle Menschen können zu Hause bleiben. Wir brauchen das Gesundheitspersonal, die Pöstler, die Verkäuferinnen, die Lastwagenfahrer, Buschauffeure, unsere Bäuerinnen und Bauern, die Armeeangehörigen: Sie schauen, dass die Versorgung auch weiterhin funktioniert. Ihnen gebührt ein riesengrosses Dankeschön! Genau das hat die Schweiz immer ausgezeichnet. Wenn es darauf ankommt, sind wir mehr als 26 Kantone und 8,5 Millionen Menschen. Wir sind ein Land. Und wir sind füreinander da.

IHRE SIMONETTA SOMMARUGA

BUNDESPRÄSIDENTIN

 

 

 


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