Die Baubranche kann weiterarbeiten – unter der Einhaltung der notwendigen Hygiene- und Abstandmassnahmen

  03.04.2020 Coronavirus

Schulen und Restaurants, Coiffeursalons und viele weitere Betriebe sind wegen der Ausbreitung des Coronavirus geschlossen. Die vom Bundesamt für Gesundheit getroffenen Massnahmen legen die Wirtschaft fast lahm, indirekt betroffen vom Lockdown sind viele weitere Branchen: Taxifahrer, Physiotherapeutinnen, Zahnärzte, Zulieferer von Gastrobetrieben usw. Kein Arbeitsverbot gibt es für die Baubranche. REDAKTION AVS

ERICH KÄSER
Wie geht die Baubranche im Saanenland mit den strengen Vorlagen des BAG um? Ein Augenschein vor Ort.

Telefonisch anmelden
Wo normalerweise der Zugang zum Unternehmen möglichst unkompliziert vonstatten geht, sind jetzt Schranken eingebaut. So auch bei der Zimmerei Hauswirth in Feutersoey. Der Kunde oder der Lieferant muss sich vor der verschlossenen Türe zuerst telefonisch anmelden. Marcel Hauswirth erzählt, dass es ihm im Moment noch leicht falle, seine vier Mitarbeiter nach den vorgeschriebenen Regeln einzusetzen. Bei der sanften Renovation einer Wohnung wird in verschiedenen Zimmern gearbeitet. Das benutzte Werkzeug ist grösstenteils das eigene. Die verschiedenen auf der Baustelle involvierten Unternehmungen haben sich auf einen bestimmten Ablauf geeinigt, damit sich nicht zu viele Arbeiter gleichzeitig auf der Baustelle aufhalten.

Auch positive Seiten
Das Familienunternehmen der Wagnerei Oehrli in Lauenen erlebt in der jetzigen Situation auch Positives. Er habe festgestellt, so Simon Oehrli, dass er wegen seiner Spezialität, des «saddletree» (= Sattelbaum: das Grundgerüst eines Reitersattels), vermehrt über das Internet aus England, Indien oder Brasilien gefunden wird. Oehrli ist klar, dass er hochwertige «Nischenprodukte» herstellt und diese am ehesten von der Einkaufsliste gestrichen werden. Bei unserem Besuch sitzt die ganze Familie Oehrli am «Znünitisch» – da liegt das Thema «Homeschooling» natürlich nahe. Petra Oehrli erzählt, dass sie ihre Kinder (4 und 6 Jahre) schon vor der neuen Situation offiziell, von der Schulbehörde genehmigt und von einer Lehrerin begleitet, im Homeschooling nach Lehrplan 21 unterrichtet habe und sie damit nur positive Erfahrungen mache.

Gesundheit der Mitarbeitenden geht vor
Jürg Tschanz von Tschanz Elektro fühlt sich gegenüber seinen Mitarbeitenden verpflichtet, die Anordnungen des Bundes ernst zu nehmen und er ist froh, dass noch gearbeitet werden darf. Er hat verschiedene Räume für die acht Büroangestellten zugemietet und sein eigenes Büro in einem Bauwagen eingerichtet. Alle Mitarbeitenden sind mit Desinfektionsmitteln ausgestattet und gefährdete Mitarbeiter sollen zu Hause bleiben. Die 30 Monteure kommen nicht mehr ins Lager, das benötigte Material wird auf dem Parkplatz bereitgestellt. Die Kommunikation erfolgt über Telefonkonferenz, Videotelefonie und Whatsapp-Gruppen. Jürg Tschanz erzählt, dass Kleininstallationen, wie sie von privaten Haushalten in Auftrag gegeben werden, total weggebrochen sind. Die Baustellen, wie zum Beispiel die Renovation im Hotel Hornberg, kann dank dem gemeinsam ausgearbeiteten Bauprogramm planmässig und gestaffelt voranschreiten. Es gibt auf jedem Stockwerk Waschgelegenheiten, die protokolliert regelmässig gereinigt werden. Christian Hoefliger setzt alles daran, dass es bei einer allfälligen Kontrolle der Baustelle zu keinen Beanstandungen kommen kann. Er kann das Risiko, dass der Umbau nicht termingerecht fertiggestellt werden kann, nicht auf sich nehmen.

Kreativität und Einfallsreichtum
Auch Claudio Thoenen betont, dass er sehr froh ist, dass noch gearbeitet werden darf. Alle Angestellten wurden über die neuen Regeln – in sechs verschiedenen Sprachen – informiert und alle mussten mit ihrer Unterschrift bezeugen, dass sie diese verstanden haben. Mit viel Kreativität und Einfallsreichtum wird der tägliche Betriebsablauf umorganisiert. Claudio Thoenen erzählt, dass es ganz schwierig war, eingeschliffene Gewohnheiten auszuräumen. Vor dem Lockdown trafen sich am Morgen jeweils alle Mitarbeitenden im Aufenthaltsraum, begrüssten sich, tranken einen Kaffee und organisierten den Tagesablauf. Um diese Ansammlung von 35 Mitarbeitenden zu vermeiden, gilt nun ein allgemeiner späterer, aber dafür direkter Arbeitsbeginn. Es habe zu dieser Massnahme von der Belegschaft schon einen gewissen Unmut gegeben, dieser habe sich inzwischen gelegt und jeder trage Eigenverantwortung, so Claudio Thoenen. Ein Mehraufwand ist aber unbestritten. Zum Bespiel muss mit dem Sechsplätzerbus wegen dem geforderten Abstand mindestens zweimal zur Baustelle gefahren werden. Die Arbeitsweise von gefährdeten Personen wird direkt mit den Betroffenen diskutiert und nach praktikablen Lösungen gesucht.

Anfängliche Verunsicherung der Bauherren hat sich gelegt
Es seien Bauvorhaben verschoben worden, teils aus Angst vor eventuellen finanziellen Engpässen oder der allgemeinen Unsicherheit, erzählt Jonas Wanzenried von der Bauwerk AG. Das Unternehmen hat sich so weit organisiert, dass einer allfälligen Kontrolle der Suva problemlos standgehalten werden kann. Die Pausen werden je nach Fall gestaffelt bezogen – im 14-plätzigen Bus fahren nur sechs Mitarbeiter mit – zusätzliche Transportfahrzeuge stehen zur Verfügung. Alle Angestellten wurden mit einem mehrsprachigen Schreiben des Baumeisterverbandes über die kritische Situation informiert und mussten dies mit ihrer Unterschrift bestätigen. Wöchentlich werden die Angestellten in der grossen Werkhalle über den neusten Stand aufgeklärt. Der Verantwortliche der Baustelle (Polier) steht in der Pflicht, dass die Anordnungen des Bundes auf der Baustelle eingehalten werden. Zurzeit arbeiten 80 Prozent der Angestellten, 20 Prozent beziehen Ferien oder stehen auf Abruf bereit, namentlich Saisonniers aus Portugal. Neuland wurde mit der Kommunikation beschritten, Jonas Wanzenried lernt die Vorteile der Digitalisierung kennen, Konferenzen werden vermehrt über Video abgehalten, ohne viele Autokilometer zurückzulegen und auch der zeitliche Gewinn gefällt ihm. Wanzenried begrüsst es sehr, dass in seinem Unternehmen gearbeitet werden darf. Er gibt aber zu bedenken, dass auch an die «Misere» der vielen, vielen Kleinunternehmen gedacht werden sollte, die keine Einnahmen generieren können.

Keine Einschränkung
Patrick Ryter von Ryter Haustechnik AG ist meistens alleine mit seinem Geschäftswagen und auf den Baustellen unterwegs. Gerne würde er im Sommer einen Auszubildenden anstellen. Ob dies dann – vor allem wegen der Abstandsregel – möglich ist, weiss er noch nicht. Er kann der kritischen Situation sogar Positives abgewinnen. Auf den Baustellen gehe es viel weniger hektisch zu und her als im «normalen» Betrieb und man habe mehr Platz, so Ryter. Bisher hat er keine Probleme, seine bestellte Ware termingemäss zu erhalten. Mit gebührendem Abstand wird auch das traditionelle Feierabendbier am Freitagabend in der «Bude» weitergeführt, schmunzelt Ryter.

Anmerkung der Redaktion: Es ist uns bewusst, dass viele Branchen unter dem Lockdown leiden, in finanzielle Engpässe geraten. Bei all den negativen Schlagzeilen setzen wir heute mit der Baureportage bewusst auf einen positiven Aspekt.


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