Liebe Leserinnen und Leser des «Anzeigers von Saanen», liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des «Anzeigers von Saanen»

Es ist sicher nicht ganz einfach in Zeiten, wo alle Veranstaltungen und Sportanlässe abgesagt sind, eine Lokalzeitung zu machen. Ich stelle fest, dass der «Anzeiger von Saanen» kreative Wege geht und abwechslungsreiche Beiträge bringt. Anlass zum Schreiben meines Leserinnenbriefs ist die neue Serie «Alltagshelden». Wie schon so oft, fällt mir auf, dass im Saanenland die Männer die wirklichen Helden sind. Wie in verschiedenen saisonal erscheinenden Zeitschriften beschreitet auch der «Anzeiger von Saanen» den Weg, Frauen weniger oder gar nicht wahrzunehmen. Natürlich bestimmen die Genannten in dieser Serie den Nachfolger, über den berichtet wird, aber es hätte ein Zeichen sein können, die Serie mit der erste Heldin des Alltags zu eröffnen. Wir hatten in den letzten Wochen wahrlich viele Heldinnen des Alltags erlebt: alle Mütter, die neben der täglichen Arbeit im Job oder auf dem Hof noch den Unterricht der Kinder übernommen haben. In der Pflege, einem Beruf, der noch immer mehrheitlich von Frauen ausgeübt wird. Die Frauen, die für ältere Mitbürger die Einkäufe erledigt haben und sich in ein virales Umfeld gewagt haben …

Wir alle wissen, hinter einem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau. Die, die nährende Arbeit übernimmt (sprich den Kühlschrank füllt, kocht und die Kinder betreut), welche die Organisation des Alltags übernimmt (Wäsche, private Termine, soziale Kontakte), die, die auch mal Mut zuspricht und reflektierende Gespräche anregt und ihren Helden zu Hause wieder aufbaut und päppelt, damit er gestärkt in die Welt treten kann. Es gibt weitere konkrete Beispiele hier bei uns im Saanenland: Die Frau, die sich neben ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter eine neue Tätigkeit aufgebaut hat und am Wochenende Musik für die Ausgehfreudigen in Bars und Kneipen auflegt, oder die Frau, die immer wieder neue kreative Ideen in einem Pop-up-Hotel einbringt und die Gäste beglückt, oder die Frau, die jahrelang in einer Bürotätigkeit war und nach einem Job im Gastroevent zu einer erfolgreichen Sozialpädagogin geworden ist oder die vielen Frauen, die sich eine fernöstliche Meditations- und Bewegungskultur angeeignet haben und für Hunderte von Saanerinnen und Saaner einen Beitrag zum gesundheitlichen Wohlbefinden leisten, oder die Frauen, die den Schritt in die Selbständigkeit gemacht haben und Lernende und Mitarbeitende führen und Verantwortung übernehmen, oder die, die tatsächlich schon in Führungspositionen sind – um nur einige Beispiele zu nennen. Allerdings ist es mir ein Anliegen, meinen Gedanken grundsätzlich zu formulieren. Nicht nur im «Anzeiger von Saanen» stelle ich einen Überhang von männlichen Darstellungen fest. Wie überall, sind im Saanenland leitende Stellen überwiegend mit Männern besetzt. Sogar in Vereinsvorständen sind wie selbstverständlich überwiegend Männer vertreten, von der Politik, die unsere Gesellschaft gestaltet, gar nicht zu reden. Natürlich höre ich nun das altbekannte Argument «Frauen wollen nicht», aber wie wollen wir jungen Frauen und Mädchen für die Zukunft stark machen und Freude an der Verantwortung vermitteln, wenn im Alltag die Beispiele für verantwortungsvolles und mutiges Handeln weiterhin von Männern besetzt werden? Wie sollen Frauen Mut bekommen, wenn sie wissen, sie müssen doppelt so gut sein wie Männer, weil sie noch mehr unter Beobachtung stehen, alles richtig oder gar perfekt zu machen?

Ich wünsche mir vom «Anzeiger von Saanen» eine Berichterstattung, die auch die andere Hälfte unserer Gesellschaft im Visier hat, auch wenn sie manchmal schwieriger zu entdecken ist. Um die gesellschaftlichen Bedingungen zu verändern, gibt es viele starke und engagierte Frauen im Saanenland, die wir alle weiterhin unterstützen – gell! Vielen Dank.

URSULA BREUNINGER, SAANEN