Eine Postmarke

  19.05.2020 Region

Erinnerungen an die 1999 verstorbene, einheimische Trachtenschneiderin Elianne Frautschi-von Siebenthal.

Der Briefträger brachte einen Brief – etwas fast Alltägliches, nichts Aussergewöhnliches. Aber wie oft, seit die «Post» umgebaut wurde und an den Postschaltern keine Briefe mehr gestempelt, sondern alle in den Verteilzentren ab- oder eben nicht abgestempelt werden, war auch diese Marke auf dem Couvert noch postfrisch. Beim genaueren Hinschauen und Abreissen (für Philatelisten) sah ich, dass es sich um die Einfrankenmarke «Lötschental» aus der Postmarkenserie «Historische Trachten der Schweiz», die 2019 herausgebracht wurde, handelte. Und vor mir sah ich Elianne mit bordeaufarbigem Stoff hantieren.

Lang, lang ists her, seit ich wieder einmal die viel zu früh erblindete und 1999 verstorbene Trachtenschneiderin Elianne Frautschi-von Siebenthal besuchte. Es war zu der Zeit, als mein Trachtenbüchlein am Entstehen war.

«Was Cheibs gits us däm Stoff – emel sicher nit e Saanertracht?» Elianne war von den Trachtenleuten aus dem Lötschental angefragt und dann beauftragt worden, ihnen neue Trachten zu schneidern – nach alten Mustern und einer farbigen Abbildung «Brautpaar aus dem Lötschental in der Tracht zu Anfang des 19. Jahrhunderts» (aus dem dritten Band «Volkstrachten der Schweiz» von Julie Heierli, Rentsch-Verlag, 1928). Bei meinem Besuch war Elianne eben dabei, nach vorgezeichneten Schnittmustern den bordeaufarbigen Stoff zuzuschneiden. Voller Stolz war sie an der Arbeit und freute sich, wieder etwas Historisches neu schaffen zu können. So wie sie das auch war bei jeder neugeschneiderten historischen Saaner Festtagstracht. Auch diese hatte sie, zusammen mit ihrer Tante Nelly Hermenjat-von Siebenthal, aus zwei alten geblümten Trachten – die eine gehörte Nelly – wieder auferstehen lassen. Viele Frauen hat sie als begabte Schneiderin zu stolzen Trägerinnen schöner Trachten gemacht.

Die Krönung für Eliannes Arbeit an den Lötschentalertrachten beschrieb A.R. im Nachruf für Elianne in dieser Zeitung im Herbst 1999: «Im Sommer 1987 wurde diese Tracht in der Kirche in Ferden eingesegnet und im würdigen Rahmen gefeiert, was für Elianne ein Höhepunkt ihres Wirkens als Trachtenschneiderin war.»

Wer hätte gedacht, dass zweiundreissig Jahre später Eliannes Lötschentalertracht als Sujet für eine Helvetia-Marke dienen würde? Wie gross wäre ihr Stolz gewesen, hätte sie es erleben dürfen?

HEINI HAUSWIRTH, GSTAAD


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