Spital Zweisimmen braucht eigenständiges Profil!

  22.05.2020 Leserbriefe

Die Neubesetzung der ehemaligen Wallbach-Praxis durch einen Praxisbetreiber mit zugehörigem Spitalbetrieb zeigt, dass im Gesundheitswesen der Region wirtschaftliches Potenzial liegt. Und dass sich die Spielregeln ändern – ob es den Einwohnern und bisherigen Interessenvertretern gefällt oder nicht. Für das Spital Zweisimmen ergeben sich daraus neue Aufgaben – aber wer soll sie erfüllen?

Jahrelang wurde lamentiert und geredet über die problematische Hausarztversorgung im Simmental und Saanenland. Absehbar war, dass viele der noch praktizierenden Ärzte innerhalb weniger Jahre in Pension gehen würden. Und dass es in Zeiten eines allgemeinen Ärztemangels kaum möglich sein würde, diese Lücken in der althergebrachten Art zu schliessen. Die Praxen von Medbase in Zweisimmen und nun auch von Medaxo in der Lenk sowie ab Juni in Erlenbach, zeigen dabei den Weg, der den Einwohnern bevorsteht.

Gruppenpraxen dieses Zuschnitts bieten den dort arbeitenden Ärzten attraktive Bedingungen: Als Angestellter gibt es klare Arbeitszeiten, Ferienansprüche, Sozialleistungen und Vergütungen. Alles geregelt im Arbeitsvertrag – einschliesslich der Entschädigung von Bereitschaftsdiensten, die somit keinesfalls noch weiter aus Steuermitteln bezuschusst werden müssen. Damit den Ärzten aber solche attraktiven Arbeitsbedingungen geboten werden können und zugleich die Betreibergesellschaft noch eine gute Rendite erzielt, ist die blosse Hausarzttätigkeit nicht genug.

Praxen solchen Zuschnitts sind keine altruistischen Wohlfahrtseinrichtungen. Sie sind profitorientierte Dienstleistungsunternehmen. Dienstleister, die das Marktpotenzial der Region möglichst umfassend abschöpfen wollen. Und das bedeutet auch, dass mittels Zuweisungsentscheidungen der dort arbeitenden Ärzte vor allem wirtschaftlich interessantes Patientengut in die hauseigenen Spitäler bzw. zu den wirtschaftlich verbundenen Fachspezialisten überwiesen werden. Ob dies im Interesse der Patienten oder gar der regionalen Gesundheitsstrukturen ist, ist dabei nachrangig.

Für das Spital Zweisimmen bedeutet das veränderte Strukturen. Denn nun versucht nicht nur die Spital STS AG und – via Medbase-Praxis – auch die Migros-Gruppe, Patienten am Spital Zweisimmen vorbeizuschleusen. Eine Praxis im Skigebiet Lenk, die im Winter mit Werbeplakaten im Tal und in den Bergbahnen für die schnelle und kompetente Versorgung von Skiverletzungen im konzerneigenen Spital Hohmad in Thun wirbt, ist die unvermeidbare Zukunft. Pikanterweise also ein Spital, welches die STS AG vor drei Jahren kaufen wollte, um unliebsame Konkurrenz auszuschalten. Absehbar ist jedoch, dass das Modell Schule macht und weitere Praxen mit weiteren Betreibergesellschaften zukünftig um Patienten buhlen werden.

Übrig bleibt für das Spital Zweisimmen dann der anderweitig ungewollte, unrentable Rest. Statt junger und sonst gesunder Skifahrer bleiben die mit diversen Vorerkrankungen und schlechten Heilungsverläufen zu versorgenden Senioren nach häuslichen Unfällen. Die Patienten, die die profitorientierten Praxisbetreiber nicht in ihren eigenen Spitälern haben wollen, sondern mit allerbesten Grüssen den öffentlichen und steuersubventionierten Spitälern überlassen.

Es ist völlig offensichtlich, was (spätestens) jetzt zu tun wäre: Das Spital Zweisimmen braucht ein eigenständiges und klar kommuniziertes Profil. Ein individuelles Leistungsportfolio, das zunächst konsequent an den vorhandenen, aber durch STS-Entscheidungen brachliegenden Kompetenzen der derzeit dort tätigen Ärzte ausgerichtet ist. Ein Spektrum, das mittelfristig gezielt weiterentwickelt wird. Statt sich in der eigenen Region achselzuckend die Patienten abwerben zu lassen und ansonsten tatenlos dem ökonomischen Patienten «Spital Zweisimmen» beim Sterben zuzuschauen, ist das Angebot auszubauen und vor allem aktiv zu vermarkten. Auch mit dem Ziel, Patienten von auswärts zur Versorgung nach Zweisimmen zu holen. Die Schrumpfung der Fallzahlen ist kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis einer verfehlten Strategie verbunden mit ungeschicktem Handeln und verschlafenen Chancen.

Nicht wenige der lokalen Politiker vertreten offensiv die Forderungen nach «mehr Markt und weniger Staat». Diese Politiker sind es, die jetzt gefordert sind und ganz besonders diejenigen, die auch als Gemeindevertreter im Verwaltungsrat der GSS AG sitzen. Denn wer «Ja» zum Markt sagt, der muss den Akteuren auf diesem Markt auch die Möglichkeit geben, auf diesem Markt wettbewerbsfähig aufzutreten.

Die Spital STS AG wird das Spital Zweisimmen nicht entsprechend aufbauen und vermarkten, wenn die Region nicht laut, deutlich und kompromisslos Entsprechendes einfordert. Möglicherweise auch in Kooperation mit der Medaxo-Gruppe – dies zu klären wäre eine weitere dringliche Aufgabe für die GSS AG. Nicht ausreichend ist es jedoch, in immer neuen Varianten neue Arbeitsgruppen zu bilden, die «langfristig» neue Konzepte entwickeln sollen. Wie der Ökonom John Maynard Keynes bereits sagte: «In the long run, we’re all dead» – «langfristig gesehen, sind wir alle einfach tot.» Was einmal möglich war, kann unter veränderten Bedingungen wieder werden – vorausgesetzt die Region will, und zwar ohne langes Zögern.

KERNGRUPPE IG-PLUS SPITALVERSORGUNG

SIMMENTAL-SAANENLAND, HANS-JÖRG PFISTER


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