Dialog der Religionen

  31.07.2020 Kirche

«Prüft alles und behaltet das Gute.» (Paulus in 1. Thessalonicher 5,21)

Es nimmt jede Religion – und auch jede Konfession – für sich in Anspruch, aus ihrer Position heraus auf die existenziellen Fragen der Menschen eine Antwort zu geben. Über Jahrhunderte hin hat die europäische Christentumsgeschichte die Konkurrenz zwischen den Religionen und damit die Frage nach der Bewährung des christlichen Glaubens verdrängt.

Mit dem Ende der christlichen Einheitskultur und mit der gleichzeitigen Globalisierung ist jedoch diese Frage in ganz neuer Qualität aufgebrochen und fordert dringlicher denn je eine Antwort. Auch bei uns hier im Saanenland bleibt diesbezüglich die Zeit nicht stehen.

Bei der Vielzahl der Versuche, die Verhältnisbestimmung von Christentum und anderen Religionen zu durchdenken, lassen sich in Anlehnung an den evangelischen Theologen Wilfrid Härle mehrere Modelltypen unterscheiden:

1. Illusionsmodelle
Sie gehen davon aus, dass bereits die Frage nach dem Verhältnis von unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen falsch gestellt ist, da religiöse Aussagen immer nur Wunschvorstellungen ausdrücken (vgl. die Religionskritik beim Philosophen Ludwig Feuerbach oder beim Psychoanalytiker Sigmund Freud). Wenn religiöse Aussagen ohnehin nicht wahrheitsfähig, also weder wahr noch falsch sind, bleibt es ein sinnloses Unterfangen, über Scheinprobleme zu streiten.

2. Exklusive (ausschliessende) Modelle
Sie sind davon überzeugt, dass es ausserhalb des Christentums keine gültige Gotteserfahrung und keine Wahrheit geben kann. Eine solche These geht von zweierlei Voraussetzungen aus: a) Es gibt nur einen einzigen Gott, auf den sich folgerichtig die Bekundungen aller Religionen beziehen lassen müssen.
b) Dieser Gott hat sich in der eigenen Religion gültig offenbart und damit einen Massstab gegeben zur Beurteilung der anderen.

3. Inklusive (einschliessende) Modelle
Sie gestehen den anderen Religionen eine eigene Wertigkeit zu – bis hin zu ihrer Anerkennung als in einem relativen Sinne gültige Heilsweg. «Relativ» darf hier nicht abwertend verstanden werden oder gar im Sinne von «falsch», sondern als Beschreibung der kulturellen «Erdung» jeder Religion. Freilich sieht diese Konzeption erst in der Selbstoffenbarung des universalen Gottes in Jesus Christus die Erfüllung aller religiösen Suche.

4. Pluralistisch-relativistische Modelle
Sie lehnen jeden für den christlichen Glauben erhobenen exklusiven Absolutheitsanspruch ebenso ab wie den Gedanken einer inklusiven Vollendung nichtchristlicher Religionen in Christus. Sie sprechen anderen Glaubensweisen eine vollständige und gleichwertige Gültigkeit zu und erkennen sie als gleichberechtigte Wege an, die den Menschen zum wahren Menschsein führen können.

In der Tat scheint ein pluralistisch-relativistischer Denkansatz auf den ersten Blick den Erfordernissen der Toleranz und dem Dialog zwischen den Religionen angemessener zu sein als andere Modelltypen. Aber abgesehen davon, dass hier die Religionen mit ihren jeweiligen Wahrheitsansprüchen nicht ernst genommen werden, lässt ein solches Vorgehen den Verdacht der Indifferenz aufkommen: Wenn alles gleichgültig ist – ist dann nicht alles gleichgültig? Verbirgt sich hinter der vermeintlichen Standpunktlosigkeit des Relativismus nicht doch ein besonders dezidierter Standpunkt, gar ein heimlicher Absolutheitsanspruch? Wenn Religionen, die sich in ganz wesentlichen Fragen unterscheiden, als völlig gleichwertig zu gelten haben, besteht dann nicht die Gefahr, dass die eigentlichen Konflikte bloss verdrängt und nicht mehr ausgesprochen werden?

5. Pluralistisch-positionelles Modell
Eine neuere Sicht versucht, die Anerkennung der Vielfalt von Religionen mit einem klaren eigenen Standpunkt zu verbinden. Dieses Modell möchte zwei Voraussetzungen im Blick behalten: «Wenn das Evangelium eine universale Botschaft beinhaltet, kann es nicht entfaltet werden ohne expliziten Bezug auf die Begegnung mit den Religionen in einer pluralen Welt. Und wenn die Religionen beitragen sollen zu den Zukunftsaufgaben des Lebens und Überlebens von Menschheit und Welt, können sie das nicht über das Konstrukt einer Welteinheitsreligion, sondern nur im dialogischen Zusammenwirken, in das jede Glaubensgemeinschaft ihre unverwechselbaren Glaubensgrundlagen einbringt (Johannes Lähnemann). Deshalb geht der «positionelle Pluralismus» (Wilfried Härle) davon aus, dass die Pluralität religiöser Positionen als Realität grundsätzlich zu akzeptieren ist. Im Unterschied zum exklusiven wie zum inklusiven Modelltyp zielt dieser Denkansatz darauf, den Geltungsanspruch der anderen Religionen zu achten, ohne dass damit die Glaubensgewissheit der eigenen Religion aufgegeben wird. So kann man aus der eigenen Religion zumindest gedanklich heraustreten und ein Verständnis für den Wahrheitsanspruch der anderen Religionen entwickeln. Umgekehrt schliesst dieses Modell den Geltungsanspruch der eigenen Religion und die Bezeugung des eigenen Glaubens anderen gegenüber nicht aus, sondern erfordert ihn geradezu.

Fazit
Die Frage nach «Gott und den Religionen» kann nicht nur theoretisch erörtert werden. Sie drängt auch im praktischen Zusammenleben zwischen Menschen unterschiedlicher religiöser Zugehörigkeit auf Beachtung. Ein gutes Beispiel dafür, wie und in welchen Bereichen hier um Antworten gerungen wird, bieten das «Haus der Religionen» am Europaplatz in Bern und die «Nacht der Religionen», ebenfalls in Bern.

(Die Darstellung dieser Denkmodelle folgt jener im Evangelischen Erwachsenenkatechismus, Gütersloh 9.2013, S. 157ff.)

IHR PFARRER PETER KLOPFENSTEIN


DAS MENSCHENRECHT AUF RELIGIONSFREIHEIT

«Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.»
«Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden.»

1) Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist gewährleistet.
2) Jede Person hat das Recht, ihre Religion und ihre weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu bekennen.
3) Jede Person hat das Recht, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören und religiösem Unterricht zu folgen.
4) Niemand darf gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören, eine religiöse Handlung vorzunehmen oder religiösem Unterricht zu folgen.

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Artikel 15

(Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 1 und 18)


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